Der neue Frankfurter "Tatort": Die Untermieter
Wie sich Liebe in Hass und Verrat verkehrt: Das neue Frankfurter „Tatort“-Team sucht einen Familien-Mörder – und ein bisschen noch sich selbst.
Paul Brix scheint an diesem Morgen etwas unausgeschlafen zu sein. Der neue Frankfurter „Tatort“-Kommissar wohnt zur Untermiete und schlurft mittags im Schlüpfer in die Küche zum Kaffeeautomaten. Seine Kollegin Anna Janneke sitzt am Tisch, wartet und schaut fragend drein. Brix beachtet sie nicht, holt sich seinen Kaffee und schlurft an der staunenden Frau vorbei wieder nach oben.
Es sind Momente wie diese, die dem neuen mit Spannung erwarteten „Tatort“ des Hessischen Rundfunks einen Reiz verleihen. Aber es gibt auch rund 40 „Tatort“-Kommissare aktuell, und irgendwie muss man da auffallen. Die Frage war ja: Wohin würde in Frankfurt die Reise gehen, nach dem Gespann Nina Kunzendorf und Joachim Król. Die Forsch-Prollige und der mürrische Alkoholkranke, das war eines der besten „Tatort“-Teams der vergangenen Jahre. Dann kann man es so machen wie Autor Michael Proehl: bei den Nachfolgern Margarita Broich/Janneke und Wolfram Koch/Brix – der Mann von der Sitte und die Psychologin – in Sachen Exzentrik die Bälle erst mal flach halten, damit der Vergleich zu den grandiosen Vorgängern gar nicht erst aufkommt.
Ein bisschen mehr Profil, ein bisschen mehr Tiefe und bessere Dialoge zur Premiere hätten bei den neuen, nach Frankfurt versetzten Kommissaren aber nicht geschadet. Allzu krude ist dann noch dieser erste Fall, die Geschichte um eine Familienauslöschung samt unglaublichem, generationenübergreifenden Familiengeheimnis, welches einen Zeitraum von über 20 Jahren umspannt.
Der unglaublichste Verdächtige ist der Notarzt Kern
Nach jenem burlesken Treffen in Brix’ Küche werden die beiden Ermittler an einen grausigen Tatort gerufen. Fast eine ganze Familie wurde erschossen. Vater, Mutter, Sohn. Verstörend: In dem Haus läuft eine Single-CD aus den Neunzigerjahren in Endlosschleife, ein leicht schmieriges Synthiepop-Stück, das, natürlich, eine große Rolle bei der Aufklärung spielen wird. Die 17-jährige Tochter Jule (Charleen Deetz) und ihre Nachhilfelehrerin Miranda (Emily Cox) sind nicht unter den Opfern, sie scheinen entführt. Oder haben sie etwas mit dem Mord zu tun? Die Kommissare schlagen sich in der Folge mit einem kotzbrockigen Chef (Roeland Wiesnekker), einer Vielzahl von Motiven (Erbschaftsstreitigkeiten, verschmähte Liebe, der Voyeurismus eines einsamen Postboten) und unglaublichen Verdächtigen herum. Der unglaublichste ist der Notarzt Kern, Schwager der toten Frau mit Geldnöten. Roman Knizka hat schon bessere Rollen spielen dürfen.
Genauso wie Margarita Broich und Wolfram Koch. Sie können’s ja, sie haben es vor allem auf der Bühne bewiesen. Vielleicht liegt’s am Drehbuch. Vielleicht haben die beiden die Herauforderung mit dem Fernsehkrimi auch etwas auf die leichte Schulter genommen. Broich sagte neulich im „Kölner Treff“, sie habe sich über Casting und Berufung zur „Tatort“-Kommissarin gewundert.
Und Koch? „Ich lag in meinem ersten ,Tatort’ nur als Leiche rum“, hat der für seine Darstellung in „Warten auf Godot“ preisgekrönte Volksbühnen-Star in einem Interview gesagt. Das sei vor rund zehn Jahren in einem Bremer Beitrag gewesen. Die Kommissar-Rolle, das sei schon etwas anderes, auch im Vergleich zu einer Rolle als Bösewicht, „der geht ja wieder weg“. Nun müsse weitergedacht werden, es sei so ein bisschen eine Reise ins Blaue. Die Geschichte der Kommissare ist noch nicht bis ins Letzte festgelegt, sie soll sich unter Mitarbeit der Schauspieler entwickeln.
Kommissar Brix sollte sich eine eigene Wohnung suchen
Dann muss schleunigst weitergedacht werden. Mehr Drive. Bei seinem Ex-Job, der Sitte, müsste Brix doch viele Leichen im Keller haben. Stoff für Hintergrundgeschichten. Die ostentative Gelassenheit, mit der die Quereinsteiger-Kommissare an ihren ersten Fall herangehen, schafft statt trashigem Vergnügen nur unschöne Verfremdungseffekte. Hält den Zuschauer – bis zum erwartbaren Ende – auf Distanz. Allem Anfang liegt ein Zauber inne. Sollte es zumindest. Der Dortmunder „Tatort“ mit Jörg Hartmann wurde für die ersten vier Folgen mit vertikaler Erzählweise aufgepeppt, die die Vorgeschichte des durchgeknallten Ermittlers Faber in der Schwebe hält.
Dem Frankfurter Krimi-Relaunch wurde ein Filmtitel von R. W. Fassbinder mitgegeben. Liebe ist kälter als der Tod. Große Worte. Der Umschlag der Gefühle, wie sich Liebe in Hass und unerbittlichen Verrat verkehrt, gerade in einer Familie, das wirkt hier jedoch alles nur herbeigeschrieben. Von modernem Melodram wenig zu spüren. Da mag sich Regisseur Florian Schwarz (drehte immerhin den preisgekrönten Dellwo/Sänger-„Tatort“ „Weil sie böse sind“) noch so sehr mit Split-Screens, SMS-Einblendungen und Flashbacks an einer eigenen Handschrift für diesen Krimi abmühen.
Das Ermittler-Gespann Margarita Broich und Wolfram Koch im „Tatort“, das fühlt sich noch an wie zur Untermiete. Kommissar Brix, der Langschläfer, sollte sich eine eigene Wohnung suchen.
„Tatort – Kälter als der Tod“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15