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Mit allen Mitteln. Susanne Kröhmer (Anna Loos) geht mit einem kompromittierenden Handyvideo in den Wahlkampf um das Amt des Regierenden Bürgermeisters.
© ARD/Frédéric Batier

"Die Stadt und die Macht": Die Serie zur Wahl

In der ARD-Serie „Die Stadt und die Macht“ will Politik mehr sein als ein Geschäft ohne Gewissen. Als Juristin kandidiert Anna Loos für das Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin.

Die Sozialdemokratische Union (SDU) ist in Berlin an der Macht. sie stellt mit Manfred Degenhardt (Burghart Klaußner) den Regierenden Bürgermeister. Die SDU regiert in einer großen Koalition mit der Christlich Demokratischen Partei (CDP). Deren mächtiger Mann ist Fraktionsführer Karl-Heinz Kröhmer (Thomas Thieme). Kröhmer und Degenhardt sind ausgewiesene Strippenzieher der Macht, wahre Profis, wenn eigene und Vorteile der Partei gewahrt bleiben müssen. Gerade zieht wieder eine Krise herauf. Der Bauunternehmer Oliver Griebnitz liegt tot auf dem Gehsteig. Mord? Selbstmord? Griebnitz waren öffentliche Bauaufträge entzogen worden. Olivers ohnmächtiger Vater, Frank Griebnitz (Jürgen Heinrich), erzwingt den Rücktritt des Bausenators, er hat Degenhardt und Kröhmer in der Hand, er weiß von gemeinsamen „Leichen im Keller“. Wenn Untergang, dann Untergang zu dritt.

Rücktritt also, Neuwahlen, Auftritt Susanne Kröhmer: der intensive Gerechtigkeitssinn ließ die Anwältin und CPD-Abgeordnete an Oliver Griebnitz’ dunklen Geschäften nicht vorbeisehen. Spontan entschließt sie sich zur Spitzenkandidatur, tatsächlich schafft sie, als CPD-Kandidatin für das Bürgermeisteramt gewählt zu werden. Gut, ihr Lebensgefährte Maik Burmeister (Stephan Kampwirth) ist dagegen, dann erfährt sie von ihrer Schwangerschaft, der Vater, nur „KK“ genannt, ist von ihren politischen Ambitionen mäßig begeistert. Der Countdown läuft, noch 60 Tage bis zur Abgeordnetenhauswahl in Berlin. Susanne Kröhmer wirbt ihrem Gegner Degenhardt den Wahlkampfmanager Georg Lassnitz (Martin Brambach) ab.

Jetzt endlich, über die erste Folge der sechsteiligen ARD-Miniserie hinaus, sind die Figuren platziert, bekommt das, was doch sehr großspurig als „Die Stadt und die Macht“ annonciert ist, Gehalt und Gestalt. „Im Kern ist es eine zeitlose, sehr emotionale und dramatische Entwicklungsgeschichte einer Frau – vor dem Hintergrund aktueller politischer Vorgänge“, sagt Regisseur Friedemann Fromm. Ganz wichtig und ganz richtig ist diese Feststellung: Das Autorentrio Annette Simon, Christoph Fromm und Martin Behnke dekliniert nicht zuvorderst Ränke, Ranküne und Rache im politischen Feld – „Die Stadt und die Macht“ wird zur Coming-of-age-Geschichte einer Frau um die 40. Susanne Kröhmer auf dem Weg zu ihrem Wesenskern, weg vom übermächtigen Papi, weg vom Schmutz, hin zur proklamierten Ehrlichkeit, zur Transparenz, hin zum Gleichklang von Wort und Tat. Susanne Kröhmer kommt vor die entscheidende Frage: Wer bin ich eigentlich, wer will ich sein?

Politik ist die Folie, Berlin der Schauplatz, Fiktion ist die Basis mit Bezügen in die Realität, nicht die Realität die Basis mit Ausflügen in die Fiktion. Nicht: Wie funktioniert Politik? Sondern: Was macht Macht mit Menschen? Nicht: Wie haben die Patriarchen mit den schmutzigen Händen Berlin in Ost und West zur Pfründewirtschaft verbogen? Sondern: Berlin als das Spiegel- und Vexierbild einer überkommenen Politik(er-)haltung. Nicht: der Stobbe-Vogel-Weizsäcker-MomperDiepgen-Wowereit-Müller-Senat. Sondern: die sehr zufällige Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen.

Nur noch 60 Tage - das Tempo ist entsprechend hoch

Die sechs Teile à 50 Minuten bieten dramatische Unterhaltung. Das Tempo ist hoch, die Dynamik groß, 60 Tage bis zur Wahl, da kann dieses Berlin fiebrös auftrumpfen. Und die Serie häutet sich: Was zu Beginn politisches Proseminar, zuweilen lächerliches Kasperletheater mit „Flanellchen“ und „Chanelchen“ im Politmilieu ist, wird zur respektablen Menschen-Erzählung.

Wollen wir mal nicht zu euphorisch werden! Aus Gründen dramaturgischer Fallhöhe ist Frau und Mutter Kröhmer (Renate Krößner) psychisch mehr als angeschlagen, geben Rückblenden kurze Blicke auf dunkle Familiengeschichte preis, Susanne Kröhmer geht nicht nur zum Wahlkampfmanager, sondern auch zur Therapeutin, der Lebensgefährte übt den Seitensprung, Freund und Journalist Alex Moravek (Carlo Ljubek) wird konspirativ.

Die Figuren sind im doppelten Wortsinne „stark“ gebaut. Und da braucht es ein starkes Ensemble, diese Papiermonster ins wahre Leben, in die Sphäre der Glaubwürdigkeit zu ziehen. Allen voran Thomas Thieme als der schwarze Riese, als konservativer Kröhmer. Thieme hat schon Helmut Kohl und Peter Altmaier gespielt. Der Hochdruckpolitiker kommt aus einer anderen Zeit, kraftvoll, skrupellos, er hasst das Mittelmaß. Es gibt da eine kleine, sehr charakteristische Szene: Kröhmer sitzt mit Wahlkampfmanager Lassnitz bei einer ausgiebigen Fleischmahlzeit. Jede seiner rausgehämmerten Aussagen unterstreicht Kröhmer, indem er Hochprozentiges wegschluckt wie Wasser und das Glas mit Schmackes an die Wand wirft. „Das passt doch zu meinem Image!“

Die eigentliche Sensation ist Georg Lassnitz in der Darstellung von Martin Brambach. Der Wahlkampf-Terrier verrät Kröhmers Schwangerschaft an die Medien, kassiert dafür Ohrfeigen. Lassnitz bliebt cool: „Wenn’s dir hilft! Sollte aber nicht zur Gewohnheit werden.“ Diese Szenen verraten viel von der Show, die so ein Wahlkampf immer auch ist, und es ist herrlich zu sehen, wie Brambach seinen Lassnitz zwischen Spieler und Künstler, zwischen Fieslappen und Zauberkönig durchs ABC der Wählermanipulation rasen lässt.

Familiendrama, Machtspiel, Krimi

So eine Dramaserie über fast 300 Minuten bietet die eindrückliche Chance, dass Figuren plastischer werden können. Was Thieme und Brambach, Klaußner und Ljubek, Krößner und Heinrich nutzen, das nutzt auch Anna Loos. In dem Maß, wie Susanne Kröhmer ins Zentrum rückt, zeigt diese Schauspielerin Gestaltungs- und Differenzierungsvermögen. Gewinne müssen mit Verlusten gegengerechnet werden, überhaupt, Politik als Geschäft ohne Gewissen, das will begriffen, bekämpft und überwunden sein; Idealismus muss seinen realistischen Weg finden; was Kröhmer lernt, lernt der Zuschauer an Kröhmer-Loos mit. Familiendrama, Machtspiel und Krimi, die Stadt, der Müll und der Tod – fehlt da was?

Friedemann Fromm ist der Berlin-Erzähler unter den deutschen Regisseuren, vielleicht der beste Berlin-Regisseur überhaupt. „Die Wölfe“, „Nacht über Berlin“, „Weissensee“, jetzt „Die Stadt und die Macht“. Friedemann Fromm schaut auf diese Stadt, wie wenige Filmer vor ihm auf Berlin geschaut haben. Mit einem beneidenswerten Rhythmusgefühl für das Tempo, die Härte und die Emotionen Berlins und seiner Bewohner.

Also einschalten? Unbedingt. Mit der „Abendschau“ kann das televisionäre Berlins nicht sein letztgültiges Abbild gefunden haben.

„Die Stadt und die Macht“, ARD, Dienstag bis Donnerstag, jeweils Doppelfolgen um 20 Uhr 15 und um 21 Uhr.

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