Ulrich Tukur im Tatort: Die One-Man-Show
Die spinnen, die Hessen. Ulrich Tukur verläuft sich in seinem dritten Murot-„Tatort“ im Zirkusmilieu. Es ist eine One-Man-Show, kein Krimi.
Deutscher Fernsehpreis, Deutscher Filmpreis, Grimme-Preis, Bayrischer Filmpreis, Goldene Kamera, Bambi, Jakob-Grimm-Preis für deutsche Sprache – Ulrich Tukur ist einer der renommiertesten Filmschauspieler seiner Generation in Deutschland, gerade auch wieder im Kino im Trinkerdrama „Houston“ zu bewundern. Dass der mit seinem an einem Gehirntumor leidenden LKA-Ermittler Felix Murot keinen reinen 0815-„Tatort“ abliefert, ist spätestens seit dem zweiten Fall klar, der mehr mit Edgar Wallace oder Edgar Reitz zu tun hatte als mit populär-moderner TV-Ermittlungsarbeit, wie man sie sonst am Sonntagabend gewohnt ist. Tukur ist Murot, Murot ist Tukur, der nimmt sich einfach mehr raus. Was hier auch gleich mal klar wird, wenn die „Rhythmus Boys“, die Begleitband des musizierenden Schauspielers, im Krimi mitmachen.
Der Rhythmus des Hessischen Rundfunks, einmal im Jahr mit Tukur den „Tatort“ von der Leine zu lassen, die Grenzen des Genres zu sprengen, bleibt – anders als beim WDR-„Schimanski“ – gewöhnungsbedürftig. Zwar hat Murot in „Schwindelfrei“ keine schrägen Halluzinationen mehr und spricht mit seinem Gehirntumor. Die Geschichte über einen Mord im Zirkusmilieu, die einen weiten Bogen bis in den Kosovokrieg zieht, ist aber schon arg an den Haaren herbeigezogen. Justus von Dohnányi, der schon den zweiten Murot sowie zuletzt den Kinofilm „Oh Boy“ inszenierte, hat das Buch geschrieben. Man mag sich die krausen Falten auf der Stirn des viel beschäftigten Ulrich Tukur vorstellen, als er das gelesen hat.
Murot feiert mit seiner Sekretärin Wächter (Barbara Philipp) in einem Fuldaer Grandhotel nach einer erneuten Gehirn-OP ein gutes Diagnoseergebnis. Sein Tumor ist weg. Sie besuchen eine Zirkusvorstellung. Mitten in der Vorstellung erhebt sich eine Frau im Publikum, deutet auf jemanden in der Manege und schreit: „Das ist er! Das ist Pascha, das Drecksschwein! Lasst ihn nicht entkommen!“ Das Licht geht aus. Am nächsten Morgen erfahren Murot und Wächter, dass die Frau seit dem gestrigen Abend vermisst wird. Der LKA-Mann wittert Ungemach, stattet dem Zirkus einen erneuten Besuch ab und schafft es, undercover als Pianist, in der Zirkuskapelle anzuheuern. Von Anfang an besonders verdächtig: der Messerwerfer Frank, besetzt mit einem sinistren Uwe Bohm, immerhin das absolute Highlight in diesem Krimi.
Spurensicherung? Gerichtsmedizin? Verfolgungsjagd? Fehlanzeige.Es muss ja nicht der Streit um Kaffee im Kommissariat, Kompetenzen und kaputte Kollegen sein, der den „Tatort“ Sonntag für Sonntag immer öfter gleich aussehen lässt. Etwas mehr Exzentrik? Bitte sehr. Aber wenn, dann bitte mit Spannung. Nicht wie in „Schwindelfrei“. Da mag sich die Regie noch so sehr um Düsternis ums Zirkuszelt mühen, inklusive Fellini-artiger Großaufnahmen. Im Grunde gilt für diesen „Tatort“ das, was Ulrich Tukur neulich in einem Interview über die Gesellschaft sagte. „Was bringt diese idiotische Geschwindigkeit und dieser Druck für unser Glück? Und warum erschafft der Mensch Systeme, die ihn am Ende überflüssig machen? Muss alles, was technisch möglich ist, auch gemacht werden? Es läuft etwas grundsätzlich falsch.“
Das stimmt. Es läuft was falsch. Auch in diesem Krimiformat. Wer Ulrich Tukur pur sehen möchte, geht am besten in eines seiner Konzerte.
„Tatort – Schwindelfrei“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15