10-jähriges Jubiläum: Die Geschichte von Wikipedia
Hundert deutsche Wikipedianer haben die Geschichte der Online-Enzyklopädie aufgeschrieben. Vor allem die Interna machen das Buch lesenswert.
„Alles über Wikipedia – und die Menschen hinter der größten Enzyklopädie der Welt“ – das verspricht ein Buch, das am Samstagabend in Berlin vorgestellt wurde. Und tatsächlich ist dieses Buch etwas ganz Besonderes. Hundert deutsche Wikipedianer haben daran mitgeschrieben, auf ehrenamtlicher Basis, wie es bei Wikipedia Usus ist. Zudem erscheint es unter freier Lizenz. „Nicht nur die einzelnen Beiträge, sondern die Sammlung in dieser Zusammenstellung kann frei vervielfältigt werden, nur für das Logo gilt ein Markenrecht“, erklärt Urheberrechtsanwalt Till Jaeger. „Das gilt selbst für das geplante E-Book, das mit keinem Kopierschutz versehen sein darf.“ Das hatte Auswirkungen auf die Suche nach einem Partner: „Es gab viele Verlage, die sehr gerne ein Wikipedia-Buch verlegt hätten, doch die meisten haben bei der Creative-Commons-License zusammengezuckt, bloß Hoffmann und Campe nicht“, sagt Wikimedia-Geschäftsführer Pavel Richter.
Die Leserschaft ist zumindest potenziell gigantisch. Jeder vierte Deutsche ruft mindestens einmal im Monat einen Wikipedia-Eintrag auf. Aber auch darüber hinaus gibt es gute Gründe, warum das Buch nicht nur für Insider interessant ist. Die Wikipedianer investieren viel Zeit in ihre Vision. Wikipedia ist keine Enzyklopädie, sondern das Projekt zur Schaffung einer solchen, sagen sie und verweisen auf das Ziel: Das Wissen der Menschheit frei zugänglich zu machen. Und obwohl Wikipedia darum niemals fertig sein kann, ist es inzwischen für Neulinge nicht ganz einfach, ihren Platz zu finden. Trotz aller Begeisterung zeigen die Buchbeiträge aber auch, dass die Autoren die kritische Distanz zum Projekt bewahrt haben und in der Lage sind, ihre Arbeit durchaus selbstironisch zu betrachten. Der ständige Streit um die Relevanzkriterien und darum, was in die Wikipedia hineingehört und was gelöscht werden muss, hat daran seinen Anteil. Aber auch manche Interna werden ausgeplaudert, beispielsweise von Michael Schlesinger in seinem Beitrag „Die dunklen Seite der Wikipedia“. Schlesinger ist Wikipedianer aus dem Ruhrgebiet. Die Autoren aus dem Pott haben es dem in Berlin ansässigen Verein noch immer nicht verziehen, dass sie bei der Überreichung des Grimme Online Award 2005 nicht dabei sein durften, obwohl es doch ihr Heimspiel war.
Die Vorbereitungen zu dem Buchprojekt begannen vor einem Jahr. Zum zehnjährigen Jubiläum von Wikipedia, das Jimmy Wales im Januar 2001 auf den Weg gebracht hatte und das in Deutschland zwei Monate später gestartet war, sollten mit dem Buch zwei Ziele erreicht werden. Zum einen soll die Arbeit der Lexikonautoren gewürdigt werden. Im Vordergrund aber steht die Absicht, den vielen Wikipedia-Nutzern einen Blick hinter die Kulissen dieses außergewöhnlichen Projekts zu geben. Für Pavel Richter ist es deshalb auch kein Widerspruch, wenn das größte Freiwilligenprojekt des Internets nun in gedruckter Form erscheint – „auf totem Holz“, wie er es nennt. „Auch eine gedruckte Enzyklopädie ist etwas herrliches, leider hat sich dieses Geschäftsmodell überholt“, bedauert Richter.
Die Idee zur Wikipedia-Biografie nahm die Community der Wikipedia-Autoren anfangs nicht nur positiv, sondern mit einer gehörigen Portion Skepsis auf, wie sich Marcus Cyron erinnert. Als der deutsche Wikipedia-Autor, der selbst 4700 Artikel angestoßen hat, die Community zur Teilnahme an dem Buch aufforderte, fragten einige, was das überhaupt soll und warum man dabei mitmachen sollte. Eine Antwort darauf hat Tobias Lutzi. Er hat schon als Schüler Wikipedia-Einträge verfasst. Als Jurastudent erfährt er derzeit, wie viel speziell von der Geisteswissenschaften produziert wird, aber wie wenig davon öffentlich zugänglich ist. „Das zu ändern, daran muss dringend gearbeitet werden“, sagt der Mitautor des Buches.
„Alles über Wikipedia – und die Menschen hinter der größten Enzyklopädie der Welt“, Hoffmann und Campe 2011, 352 Seiten, 16,99 Euro.
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