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Porträt: Die Fußball-Flüsterer

Immer mehr Live-Kommentatoren im Fernsehen arbeiten mit Assistenten. Einer davon ist Gerrit Meinke, rechte Hand von ARD-Mann Tom Bartels.

Die meisten Zuschauer wissen nicht, dass es ihn überhaupt gibt. Man sieht ihn nicht, man hört ihn nicht, und trotzdem ist Gerrit Meinke omnipräsent. Er arbeitet sozusagen wie ein Gespenst des modernen Fußballs. Am heutigen Donnerstag, wenn Hertha BSC in der Relegation auf den Zweitligisten Fortuna Düsseldorf trifft, wird er wieder durchs Fernsehen geistern.

Dann sitzt Meinke mit zig Zetteln vor der Nase am Tischchen neben Tom Bartels und füttert den ARD-Kommentator mit Informationen. Vieles von dem, was Bartels während der Liveübertragung sagt, hat er von seinem Assistenten. Doch für das Publikum existiert nur die Stimme des Reporters.

Es ist nicht so, dass Gerrit Meinke die Rolle als stilles Helferlein im Hintergrund stören würde. Er findet das „völlig in Ordnung. Ich muss nicht im Mittelpunkt stehen.“ Jedenfalls nicht in seinem Nebenjob. Denn hauptberuflich ist er immer noch als Leiter für Finanzen und Controlling beim Zweitligisten SC Paderborn angestellt. Viel fehlte nicht, und Meinke hätte am Donnerstagabend den Auftritt seines eigenen Klubs analysiert. Doch der SC Paderborn hat die Relegation knapp verpasst und der 44 Jahre alte Mann hat einen Konflikt weniger. So sehr er sich über den Aufstieg der Paderborner gefreut hätte, die Rolle als Experte fürs Fernsehen ist nun etwas einfacher. Ein bisschen unbefangener, vielleicht auch ein Stück weit professioneller kann er die Begegnung verfolgen.

Großartig vorbereiten muss er sich dafür nicht. „Die Arbeit im Vorfeld beläuft sich etwa auf zehn Prozent“, erzählt er. „Neunzig Prozent passiert während des Spiels.“ Natürlich legt Meinke auch Statistiken parat: zurückgelegte Kilometer, Ballbesitz, Zweikampfwerte und so weiter. In erster Linie allerdings ist er der Mann für die Taktik. Er schaut sich an, wie die Mannschaften sich auf- und anstellen und flüstert seine Erkenntnisse an Tom Bartels, mit dem er über Ton verbunden ist, weiter. „Bestimmte Dinge kann man einfach nicht sehen, wenn man nicht selbst einmal als Profi da unten gestanden hat“, sagt Gerrit Meinke. Als er sich in den 90er Jahren noch professionell durch die deutschen Stadien kickte, gab es Leute wie ihn beim Fernsehen noch nicht.

Inzwischen aber gehört seine Tätigkeit zum Fußball wie das Kurzpassspiel. Seit der Jahrtausendwende hat nahezu jeder Kommentator bei Liveübertragungen einen Hintermann. Quasi einen Experten neben dem Experten, einen – für die Zuschauer – unsichtbaren Sidekick.

In der Anfangszeit waren es oft gewöhnliche Angestellte der Fernsehsender – „Eckenzähler“ nennt sie Meinke, weil sie die Analyse des Spiels meist nicht ganz so gut beherrschen wie die Profis. Aus dem Controller Meinke wird etwa zehn Mal pro Saison der Assistent von Tom Bartels. Stehen große Turniere wie die Europameisterschaft oder die Weltmeisterschaft an, opfert er schon mal seinen Jahresurlaub für diesen Zweitjob. Aber braucht es solchen Einsatz? Ist der Fußball wirklich so viel wert? Die Fernsehsender sind davon überzeugt. Ihrer Ansicht nach ist der Sport so schnell und so komplex geworden , dass es für einen Einzelnen schwierig ist, den Überblick zu wahren. Außerdem, glaubt Gerrit Meinke, seien die Ansprüche des Zuschauers viel größer als noch vor ein paar Jahren. Ihn interessiert jeder Aufreger, jede Regung, jede Bewegung, auch die abseits des Balls. Während Tom Bartels sich also aufs Spielgeschehen konzentriert, schaut sein Kollege über den Monitor hinweg auf das, was sonst noch passiert auf dem Rasen.

In letzter Zeit setzen sich immer mehr ehemalige Spieler oder Trainer auf die Presseplätze der Fußballarenen. Das Duo Bartels-Meinke ist ebenso eingespielt wie andere Paare auf der Tribüne. Michael Oenning, der frühere Trainer des Hamburger SV, arbeitet für Sky und Kai Dittmann. Vorher hatte Oenning zehn Jahre zu Marcel Reif rübergeflüstert, seit 2010 heißt der Mann an der Seite des Sky-Chefkommentators Christoph Biermann; er ist Autor zahlreicher Fußballbücher und Mitglied der Chefredaktion von „11Freunde“. Seit 1994 ist Martin Schneider die rechte Hand von ZDF-Kommentator Béla Réthy.

Für Tom Bartels ist Gerrit Meinke der „wichtigste Kollege“. Acht Jahre lang sitzen Bartels und Meinke bei Livespielen der ARD schon nebeneinander. In Wirklichkeit aber bilden die beiden viel länger ein Team. Sie kennen sich aus der Schulzeit und bolzten früher gemeinsam auf dem Sportplatz in Melle. „Uns verbindet eine lange Freundschaft“, erzählt Meinke. „Wir beide wissen, wie der jeweils andere tickt und verstehen uns ohne Worte.“ Nicht die schlechteste Voraussetzung für die Arbeit während der Übertragung. Wie viel Meinke seinem Freund dabei hilft, hängt von den jeweiligen Begegnungen und vom Spielverlauf ab.

Manchmal greift er nur zweimal pro Halbzeit ein, manchmal, wenn es hektisch oder zerfahren wird, flüstert er Tom Bartels ständig etwas zu. Und dann gibt es wieder Phasen, in denen Meinke einfach nur Bartels’ Kontrollinstanz spielt, seine Absicherung. Er nickt, hebt den Daumen und gibt dem Kommentator „das Gefühl, dass er mit seiner Einschätzung richtig liegt“. In den ersten zehn Minuten einer Partie dagegen redet der Assistent meistens gar nicht. Da schaut er, macht sich ein Bild vom Geschehen und bleibt ruhig. So wie er ohnehin meistens gelassen ist. Nur wenn sein Arbeitskollege und Freund es mal übertreibt, wird Gerrit Meinke ein wenig lauter. „Sei jetzt einfach mal still!“, ruft er dann zu Tom Bartels.

Gute Fußball-Reportagen leben auch von kurzen Momenten des Schweigens.

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