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Späte Reue. Der Namensgeber des Preises, Egon Erwin Kisch, hat die erste seiner Reportagen auf ähnliche Weise verfasst.
© dpa

Nannen und die Folgen: Die Ehrung wird in ihr Gegenteil verkehrt

Die Aberkennung des Henri-Nannen-Preises für René Pfister ist eine Schmähung für den Autor. Und das hat Pfister sicher nicht verdient.

Katrin Bauerfeind wird in die Geschichte des Moderationswesens eingehen, als erste Moderatorin, die einen von ihr interviewten Preisträger versehentlich um seine Ehrung gebracht hat. Denn bei der Verleihung des Nannen-Preises (der in der Kategorie Reportage nach Egon Erwin Kisch benannt ist), des Oscars der deutschen Journalisten, hat sie den „Spiegel“-Mann René Pfister gefragt, wie er in den Hobby-Keller des von ihm porträtierten CSU-Politikers Seehofer gelangt sei. Pfister antwortete, da sei er gar nicht gewesen. Seehofer hat ihm davon erzählt, Kollegen Pfisters waren auch wirklich dort. Nun wurde Pfister der Preis aberkannt.

Wenn man die Story liest, stellt man fest, dass Pfister auch gar nicht behauptet, den Keller betreten zu haben. Er lässt es offen. Er beschreibt den Keller, sehr anschaulich und auch sachlich richtig, wie ein Historiker, der ein Buch übers alte Rom schreibt und die Römer anschaulich beschreibt. Ein journalistischer Text ist keine Doktorarbeit, in dem jede Quelle zitiert werden muss.

Nicht nur deshalb finde ich die Entscheidung, Pfister den Preis zu entziehen, überzogen. Die Aberkennung eines Preises ist ein pathetischer Akt, der eine Ehrung in ihr Gegenteil verkehrt, in eine öffentliche Schmähung, und das hat der Autor Pfister nicht verdient. Er hat nicht betrogen, nicht gelogen, alle Fakten stimmen, und seine Geschichte ist gut. Jetzt steht er in der Ecke von Tom Kummer und Guttenberg, zu Unrecht. Auch seine Kritiker sagen ja nicht, dass sein Text nicht hätte gedruckt werden dürfen, er sei lediglich, im Nachhinein betrachtet, nicht preiswürdig.

Der Namensgeber des Preises, Egon Erwin Kisch, hat die erste seiner berühmten Reportagen – behauptete er selbst – auf, wie es scheint, ähnliche Weise geschrieben. Er sollte über den Brand einer Mühle berichten, kam zu spät, und beschrieb den Brand, als sei er dabei gewesen. Später bereut er und schwört, so etwas nie wieder zu tun.

Pfisters Text unterscheidet sich von Kischs Text, weil bei Pfister die Fakten stimmen und nachgeprüft sind, Kisch hatte frei erfunden. Pfisters Text ist auch etwas anderes als eine Reportage, nämlich ein Politiker-Porträt, und wenn wir Journalisten in Politiker-Porträts nur noch auf das zurückgreifen dürften, was wir gemeinsam mit ihnen erlebt haben, dann könnten solche Porträts nur noch selten veröffentlicht werden.

Für die Qualität eines Textes gibt es viele Kriterien, die Eleganz des Stils, die Struktur, die Intelligenz der Analyse, die richtige Auswahl der Fakten, die man bringt oder weglässt, und wenn man Glück hat, dann entsteht in der Summe ein Bild, das der „Wahrheit“, diesem komplizierten Begriff, zumindest nahekommt. Auch literarische Texte können wahr sein. Mag sein, dass dem Nannen-Preis einfach eine Kategorie fehlt, für Essays, Analysen und Porträts, diese Kategorie sollte man einführen und sie im ersten Jahr René Pfister verleihen.

Der Autor ist Kisch-Preisträger (2004) und Nannen-Preisträger (2008).

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