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Das Internet, Segen oder Fluch?, fragen Sascha Lobo und Kathrin Passig in ihrem neuen Buch.
© p-a

Interview: "Die Diskussionskultur entscheidet, wie die Politik mit dem Internet umgeht"

Sie gehörten zur Avantgarde des Web 2.0: die Blogger Sascha Lobo und Kathrin Passig. Jetzt rufen sie mit einem Buch zu mehr Sachlichkeit im Streit zwischen Netz-Optimisten und Pessimisten auf. Sascha Lobo erklärt, warum.

Ihr neues Buch „Internet – Segen oder Fluch“, das Sie gemeinsam mit der Schriftstellerin Kathrin Passig verfasst haben, referiert die wichtigsten Netzdebatten der vergangenen Jahre – es geht um Liquid Democracy und Schwarmintelligenz, um den Informationsoverkill, um die Zukunft des Urheberrechts, um Algorithmen und die Privatsphäre. Warum dieser Rundumschlag?

Darauf gibt es eine einfache Antwort: Das Netz prägt inzwischen das Leben der meisten Menschen, ob sie es wollen oder nicht. Das Problem aber ist, dass die Debatte darüber defekt ist. Immer wieder werden dieselben Argumente ausgetauscht. Es gibt wenig Bewegung und kaum Interesse, auf die je andere Seite zuzugehen. Dabei entscheidet die Diskussion zwischen Netzoptimisten und Netzskeptikern darüber, wie Politik und Regierungen in Zukunft mit den Herausforderungen des Internets umgehen.

Sascha Lobo, Blogger, Werber, Autor, Berater.
Sascha Lobo, Blogger, Werber, Autor, Berater.
© dpa

Auffällig ist der abwägende, um Sachlichkeit bemühte Tonfall. Standpunkte der Netz-Avantgarde werden ebenso vorgestellt wie die Argumente der Skeptiker. Ist dieses Buch so etwas wie ein Runder Tisch?
Es geht darum, die Debatte auf die nächste Stufe zu überführen. Es ist unklar, ob das eine Herkules- oder eine Sisyphusaufgabe ist. Da gibt es fest zementierte Haltungen, die in Variationen immer neu gespielt werden. Vereinfacht gesagt stehen auf der einen Seite diejenigen, die die alte Welt verteidigen, die Internet-Skeptiker. Und auf der anderen Seite diejenigen, die die neue digitale Welt verteidigen, die Netz-Optimisten. Die Bedürfnisse der jeweils anderen Seite werden mit einer Selbstverständlichkeit ignoriert, die sehr kontraproduktiv ist.

Kathrin Passig und Sie untersuchen die scharfe Rhetorik, mit der Netzavantgarde und alte Eliten übereinander herfallen. Die Auseinandersetzung sei voller Ressentiments, lautet das Fazit. Ein Beispiel ist die gegenseitige Kriminalisierung im Streit ums Urheberrecht. Digitale Natives beschimpfen die Musikindustrie als „Content-Mafia“, die anderen brüllen „Raubkopierer“. Warum diese Emotionalität?
Das hat zum Teil mit dem Erfolg der Piratenpartei zu tun. Die Piraten sind in verschiedene Parlamente eingezogen. Dadurch sind Netzthemen in den Mittelpunkt der Gesellschaft gerückt. Von ihnen ging auf einmal eine echte politische Wirkung aus, das wirkt emotionalisierend, besonders für diejenigen, die sich vom Netz irgendwie bedroht fühlen. Ein weiterer Knackpunkt war die Petition gegen die Netzsperren im Jahr 2009.

Stichwort „Zensursula“.
Über 130 000 Unterzeichner hat die Petition gefunden. Das hat großen Eindruck in der Politik hinterlassen, und leider war verbale Aufrüstung die Folge. Gewitterte Morgenluft versus drohender Weltuntergang sozusagen.

Als Web-Experte hätten Sie den Piraten beitreten können. Stattdessen waren sie im Online-Beirat der SPD aktiv. Warum ist es nie zu einem Engagement für die Piraten gekommen?
Anfangs kam immer wieder die Frage: Willst du mitmachen? Aber für mich war das nie wirklich ein Thema. Ich bin Autor und lebe seit vielen Jahren von meinen Büchern, zumindest zu einem Teil. Und ich nehme bei den Piraten Tendenzen wahr, die auf eine Ablehnung bestimmter Mechanismen schließen lassen, mit denen ich meinen Lebensunterhalt verdiene. Die Bestrebungen, Filesharing komplett zu legalisieren, halte ich persönlich für problematisch – ebenso wie Bestrebungen, das Urheberrecht wenige Jahre nach der Werkveröffentlichung erlöschen zu lassen. Obwohl es für beides durchaus ernsthafte Argumente gibt, kann ich so was nicht mit Sympathie betrachten. Dankbar bin ich den Piraten aber dafür, dass sie die gesellschaftliche Debatte um die Digitalisierung befeuert haben.

Im Buch geben Sie Anleitungen, wie man konstruktiv über Für und Wider einzelner Entwicklungen im Web diskutiert. Wenig überraschend raten Sie von Sätzen wie „Alles wird besser“ oder „Alles wird schlechter“ ab. Braucht der Netzdiskurs etwa einen Klassensprecher?
Es gibt Leute, die mir jahrelang diese Funktion zugeschrieben haben. Ich glaube nicht, dass ich jemals so etwas war. Aber wir halten es für wichtig einzusehen, dass auf der jeweils anderen Seite ebenso intelligente Menschen sitzen, die nicht unter einem dramatischen Informationsmangel leiden oder gar dumm sind, sondern eine gegensätzliche Haltung haben.

Auf technologische Innovationen wurde in der Menschheitsgeschichte zunächst oft negativ reagiert. Als in Preußen die erste Eisenbahn fuhr, hieß es, ein solches Gefährt sei dummes Zeug. Als das Telefon eingeführt wurde, fragte sich der US-Präsident Rutherford Hayes, wer denn so ein Gerät nutzen wolle. Warum liegen Menschen mit ihren Prognosen so häufig daneben?
Das Lustige ist: Auch Fortschrittsgläubige haben häufig Unfug von sich gegeben, wenn neue Technologien eingeführt wurden. Als das Maschinengewehr erfunden wurde, dachte man zum Beispiel, nun gebe es endlich Frieden auf der Welt. Eine so furchtbare Waffe würde dazu führen, dass kein Soldat mehr aufs Schlachtfeld marschieren würde. Es scheint, als könnte der Mensch die Zukunft wahnsinnig schlecht einschätzen.

Aber Sie bleiben trotzdem Netzoptimist, oder?
Jein. Die Ambivalenz ist ja ein Teil des Buches. Es gibt Leute, für die das Internet positive Folgen hat – ein webaffiner Mensch, wie ich es bin, gehört sicherlich dazu. Es gibt aber auch Leute, für die durch das Internet erhebliche Schwierigkeiten entstehen. Wie kann ich dem klassischen Buchhändler um die Ecke, dessen Geschäft wegbröckelt, begreiflich machen, dass das Internet eine ganz großartige Veranstaltung ist? Das Urteil, was gut und schlecht ist, ist viel komplizierter, als man glaubt.Sogar zu sagen, dass die positiven Aspekte überwiegen, ist eine sehr subjektive Schlussfolgerung.

Im Buch wird Ronald Reagan mit den Worten zitiert: „Der Goliath des Totalitarismus wird besiegt durch den David des Mikrochips.“ Teilen Sie denn die Auffassung, dass Computer die Demokratisierung der Welt fördern?

Kathrin Passig, Schriftstellerin, Bloggerin, Journalistin.
Kathrin Passig, Schriftstellerin, Bloggerin, Journalistin.
© Doris Spiekermann-Klaas

Nach meiner Einschätzung gibt es im Moment leichte Vorteile für die Fraktion derjenigen, die an die freiheitsfördernde Wirkung des Internets glauben. So groß, wie oft behauptet wird, sind diese Vorteile aber nicht. Denn natürlich kann man das Netz auch als Kontrollinstrument benutzen. In China zum Beispiel ist das Internet zu einem Überwachungsinstrument geworden. Eine sachkundige Diktatur wird immer Mittel finden, die Transparenz, die das Netz tatsächlich schafft, zu ihren Gunsten zu nutzen – und damit gegen die Interessen des Volks.

In einer Passage des Buchs stellen Sie sich selbstironisch als „industrienahen Netzkolumnisten“ vor – eine Anspielung auf Ihre Rolle als ehemalige Werbefigur für Vodafone und Ihre Tätigkeit als Kolumnist bei Spiegel Online. In der Blogosphäre spricht man Ihnen deswegen zuweilen die Glaubwürdigkeit ab.
Die Passage fanden wir lustig, sie hat aber auch eine symbolische Bedeutung. In der Netzgemeinde war ich schon immer eine kontroverse Figur, bereits vor der Vodafone-Kampagne. Es gab Leute, die fanden mich doof, andere fanden mich nicht doof. Mit dieser Selbstattacke wollte ich zeigen, dass man Distanz zur eigenen Position braucht. In der Netzdebatte ist es wichtig, sich vom eigenen Standpunkt zu lösen. Man sollte zumindest versuchen, die Position anderer nachzuvollziehen. „Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere recht haben könnte“, sagte der Philosoph Hans-Georg Gadamer.

Können Sie ein Beispiel nennen?
In manchen Altersgruppen ist es praktisch unmöglich, sich Facebook oder anderen sozialen Netzwerken zu verweigern. Dort findet ein großer Teil des Soziallebens statt. Wer nicht registriert ist, kriegt keine Einladung zur nächsten Party. Das setzt einen Sog in Gang, dem man sich nicht widersetzen kann, damit ist es keine wirklich freiwillige Entscheidung mehr. Schon deshalb darf man Kritiker nicht als fortschrittsfeindlich bezeichnen, nur weil sie mit Facebook ein Problem haben.

Sie gehörten zu den ersten, die die neuen Möglichkeiten des Web 2.0 nutzten. Sascha Lobo studierte an der Universität der Künste in Berlin und versuchte sich als Werber. Heute bezeichnet er sich auch als „Strategieberater“, er schreibt Bücher, hält Vorträge zu Netzthemen und schreibt für Spiegel-Online seit etwa eineinhalb Jahren die Kolumne „Die Mensch-Maschine“. Kathrin Passig ist Journalistin und Schriftstellerin. 2006 wurde sie mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis für ihre Erzählung „Sie befinden sich hier“ ausgezeichnet. Beide schrieben mit an dem kollektiven Blog „Riesenmaschine“, das 2006 mit einen Grimme-Online-Award ausgezeichnet wurde. Ihr jüngstes gemeinsames Buch mit dem ziemlich grundsätzlichen Titel „Internet. Segen oder Fluch“ ist bei Rowohlt erschienen und kostet 19.99 Euro. Das Gespräch führte Philipp Wurm.

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