Geschichte einer Trauerarbeit: „Der Tsunami war eine Strafe“
Die Spuren sind beseitigt, die Angst ist geblieben: Teamworx dreht in Thailand für das ZDF einen Film über die Katastrophe 2004.
Laurence Walker schläft schlecht. Die Bilder von damals kommen wieder hoch und mit ihnen die Angst. Jetzt ist die Nacht vorbei, aber der Albtraum geht weiter. Der 58-Jährige sitzt in kurzen Hosen und T-Shirt auf einem Klappstuhl vor dem Wat Kosit Wihan Tempel auf der thailändischen Insel Phuket und starrt auf die Plastiksäcke, die auf dem Vorplatz in langen Reihen nebeneinander liegen.
Regisseurin Christine Hartmann ruft Anweisungen für die nächste Szene, Kameraleute regulieren mit Sonnensegeln Licht und Schatten, Requisiteure verteilen Trockeneis, so dass weißer Dampf über dem Set aufsteigt. Dass Schauspielstar Veronica Ferres direkt vor ihm steht und von der Maskenbildnerin abgepudert wird, interessiert Walker nicht. Er fixiert einen schwarzen Stumpf, der aus einem der Plastiksäcke schaut – ein verwester Fuß.
Laurence Walker ist Komparse beim Dreh zu „Tsunami – das Leben danach“. Die Produktionsfirma Teamworx verfilmt für das ZDF das Schicksal von Billi Cramer (Veronica Ferres) und Michael Schäffer (Hans-Werner Meyer). Die beiden Deutschen waren am 26. Dezember 2004 mit ihren jeweiligen Familien in Phuket und Khao Lak, um Urlaub zu machen, als die Monsterwelle über die thailändischen Inseln hereinbrach. Cramer und Schäffer verloren bei der Naturkatastrophe ihre Kinder und die Ehepartner. Durch einen Zufall lernten sie sich kennen, halfen sich in ihrer Trauer, verliebten sich und gründeten gemeinsam eine neue Familie. Eine wahre Geschichte, die die „Bunte“ damals aufschrieb und die nun, teilweise an Originalplätzen, nachgespielt und am Sonntag, dem 5. Februar, im ZDF ausgestrahlt wird.
Rund 230 000 Menschen hat der Tsunami damals getötet, das Leben Hunderttausender auf der ganzen Welt verändert. Auch das von Laiendarsteller Laurence Walker. Der Deutsch-Kanadier ist 1974 nach Thailand gezogen, hat hier seine Existenz aufgebaut. Als der Tsunami kam, blieben er und seine Frau zwar unverletzt, doch die Welle zerstörte sein Haus und seine Tauchschule, viele Freunde starben in den Fluten. „Als ich den Komparsen-Job zugesagt habe, wusste ich nicht, welches Thema der Film haben würde“, sagt Walker. 2000 Bath, umgerechnet 50 Euro, würden die Statisten bekommen. „Ich dachte, das ist leicht verdientes Geld. Aber die Szene ist so realistisch dargestellt, der Fuß da drüben sieht so echt aus, dass es mich bis ins Herz friert. Das Einzige, was fehlt, ist der schreckliche Verwesungsgeruch, der damals über der Insel lag“, sagt Walker.
Am Set wird gerade Tag zwei nach der Katastrophe gedreht. Billi sucht verzweifelt nach ihren Lieben. Der Tempelvorplatz ist eine Sammelstelle für Leichen geworden. An Tafelwänden hängen Fotos von Vermissten und Suchaufrufe: „Nicole Schmidt – Missed on Pipi-Island“, „Wer hat Uwe Herrmann gesehen?“. Eine junge Frau bricht schreiend zusammen, als sie ihren toten Freund identifizieren muss. „Ich selber habe damals zwei enge Freunde verloren“, sagt Produzent Nico Hofmann. Tagelang habe auch er vor dem Fernseher gesessen, wie hypnotisiert die Schreckensbilder angesehen. „Eine Katastrophe biblischen Ausmaßes. Lange habe ich mich gefragt, ob man über dieses Grauen überhaupt einen Film machen kann oder darf.“ Einige Szenen seien recht hart, aber nie effektheischend. „Wir erzählen kein Weltuntergangsszenario“, sagt Hofmann, „sondern die Geschichte einer schwierigen Trauerarbeit.“
Im Hintergrund steht Sum Mai mit kahl rasiertem Schädel und orangefarbener Mönchskutte. Im echten Leben ist er Handyverkäufer, seine Frau hat eine Garküche, in der sie scharfe Nudelsuppen kocht. Ein gutes Frühstück für die Thai – aber heute Morgen hat Sum Mai keinen Appetit. „Wenn es hier zu viel arbeitet, streikt mein Bauch“, sagt Sum Mai und tippt sich an die Stirn. Dann erzählt er, wie er die Tage nach dem Tsunami erlebte: „Beim Anheben eines Toten konnte es passieren, dass man plötzlich einen Arm in der Hand hatte. Es gab nicht genügend Kühlhäuser.“
Alex Steinbrink reicht Sum Mai eine Flasche Cola und legt ihm die Hand auf den Unterarm. Der Setaufnahmeleiter lebt seit 22 Jahren auf der Insel. Als das Wasser stieg, nahm er die Bedrohung zunächst nicht ernst. Ein Nachbar zerrte ihn mit Gewalt ins Auto und fuhr in letzter Sekunde mit Vollgas der Welle davon. „Er hat mir das Leben gerettet“, sagt Steinbrink. Ob Einheimische, Einwanderer, Schauspieler oder Crewmitglieder – fast jeder am Set hat einen privaten Bezug zu dem Drama.
Doch im Alltag wird in Thailand nur noch selten über das Geschehene gesprochen. An den Stränden sind Schilder aufgestellt, die Fluchtwege für den Tsunami-Ernstfall zeigen. Eine blaue Riesenwelle auf weißem Grund, das soll beruhigen. Auch gibt es Skulpturen, die an die Opfer erinnern. Ansonsten wollen die Menschen vergessen.
Der Fischerfriedhof Mai Kao, auf dem die zahlreichen, bis heute unidentifizierten Leichen begraben sind, liegt abgelegen in einem Palmenwald. In die Grabsteine sind Nummern eingeritzt, sie sind von Gestrüpp überwuchert. „Der Tsunami war eine Strafe. Die Menschen, die gestorben sind, hatten in ihrem vergangenen Leben Schuld auf sich geladen“, ist Sum Mai überzeugt. „Ihr schlechtes Karma ist auf sie zurückgefallen, da kann man nichts machen.“ Viele Buddhisten denken wie er.
Unten, in den vielen Hotels am Strand, haben die Angestellten Redeverbot. Der Tod vermiest die ungezwungene Ferienatmosphäre. Fragt man die Rezeptionisten im Hotel, ob es in der Bucht oder in ihrer Anlage Tote gegeben hat, schütteln sie nur erschrocken den Kopf. „Nein, hier nicht. Nebenan war es schlimmer.“
Was war wo? Als sich Veronica Ferres, als Vorbereitung auf die Rolle, auf die Spuren von Billi Cramer begab, wurden auch ihr widersprüchliche Angaben gemacht. Billis Ehemann und die beiden Söhne waren im Wellnessbereich von den Wassermassen überrascht und in die Betriebsräume gespült worden, wo sie ertranken. Erst ein paar Tage später wurden sie geborgen. Leichen im Urlaubsparadies, davon will heute im schicken Luxusresort niemand etwas wissen.
Auch wenn der Tourismus auf den thailändischen Inseln schnell wieder im Normalbetrieb lief, unter der Oberfläche hat die Welle in den Urlaubsgebieten Wunden hinterlassen. Immer wieder kommt es zu Paniken. „Zwar gibt es ein Tsunami-Frühwarnsystem, das auch regelmäßig getestet wird, aber die Leute sind misstrauisch. Die Naturkatastrophe in Japan hat das noch verstärkt“, sagt Sum Mai. „Plötzlich kommt ein Gerücht auf, dass eine neue Welle kommt. Dann lassen die Menschen alles stehen und liegen und rennen einfach davon. Ich auch.“
Gaby Herzog, Phuket
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