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Gerd Matuschek (Uwe Bohm) bittet Isa von Brede (Sabine Postel) um Hilfe. Gegen ihn wird wegen Förderung gewerbsmäßiger Prostitution ermittelt.
© ARD

Anwaltsserie: Der Tod und das TV-Märchen

Wie geht es weiter mit der Anwaltsserie "Der Dicke", die nach dem Ableben von Dieter Pfaff "Die Kanzlei" heißt? Beobachtungen zur Trauerarbeit in der Fiktion.

"Nicht auf diesen Platz", sagt Yasmin (Sophie Dal), als sich der Neue (Herbert Knaup) versehentlich an den Schreibtisch des verschwundenen Chefs Ehrenberg setzen will. In diesem Szenenmoment spricht ein weiblicher Cherub, schön und unerbittlich wie ein Engel. Klar, dass Markus Gellert, der Neue, wie geblendet zurückweicht. Aber der Stuhl, auf dem der 2013 verstorbene Dieter Pfaff 52 Folgen lang als "Der Dicke" gesessen hat, wird nicht leer bleiben. Der reale Tod ist zwar groß, aber eine Erfolgsserie wie diese kann er nicht stoppen. Gutes Fernsehen will Ewigkeit. Der fiktionale Mensch stirbt nur an Erfolglosigkeit. Die Quote ist der wirkliche Sensenmann des Fernsehmärchens.

Im Fall des Dieter Pfaff sagt sich das mit der Loslösung des Werks vom Leben und Tod des Darstellers nicht so leicht. Der Schauspieler hatte sich mit seiner gewaltigen Physis die Dickens-Figur Ehrenberg im wahrsten Sinne des Wortes einverleibt, dem Guten und Gerechten einen fleischlichen Ort gegeben, ein einmaliges unübersehbares Gefäß geschaffen für den heiligen Zorn auf die Unterdrücker der kleinen Leute. Aber Pfaff ging es in seinem Spiel um den guten Geist der Serie, nicht um ein tyrannisches Schauspieler-Ego, das alles an sich reißt.

So wuchsen aus der Feder des schreibenden Serienlenkers Thorsten Näter neben der skurrilen Hauptfigur Ehrenberg andere Wohltäter, die so gar nichts mit der Sterilität der Gutmenschen zu tun haben. Gudrun (Katrin Pollitt) zum Beispiel, die "Reinigungsfachkraft", zu deren Berufsfeld auch die Aufgabe zählt, bösen Jungs eins auf die Nase zu geben. Oder besagte Yasmin, die empfindlichste und zugleich selbstbewussteste unter allen ungelernten Rechtskanzleigehilfinnen, eine Fachfrau beim Thema, wie man deutsch-türkisches Kultureinverständnis anstrebt und regelmäßig versiebt.

Die blonde Serienfrau

Und natürlich Sabine Postel als Isabel von Brede, die blonde Serienfrau vom Dienst, seit die Ehrenberg-Gattin (Gisela Schneeberger) das Feld dieser gerechten Rechtsverdrehten geräumt hat. Adelsverachtend, amourös zuhältergefährdet, norddeutsch zugeknöpft und gestreng, bis das ängstliche kleine Mädchen aus der Panzerung herausguckt. Unter der Eiche Ehrenberg sind eigenständige Charaktere gewachsen. Nun ist der große Baum gefallen, aber der gewachsene Wald wird nicht gerodet. Pfaff hätte das nicht gewollt, das Publikum auch nicht.

In den neuen 13 Folgen schlägt das Alt-68er-Herz der Serie weiter. Die kleinen Leute sind vom Grundsatz her die großen Leute, Recht muss sein, was sozial gerecht wäre. Aber seit auf Pfaffs szenische Präsenz verzichtet werden muss, fällt neues Licht auf Habitus und Bühnenbild. Die Akteure wirken eleganter, das Büro wandelt sich von der Bruchbude in ein manierliches Arbeitsgehäuse, der Köter und die Türklingel wirken nur noch wie Zitate aus fernen alternativen Zeiten. Selbst der Kaffee fließt lockerer aus der Maschine. Nur Rauchen bleibt draußen.

Die Mandanten entstammen nicht mehr nur aus der Legion der bedingungslos Bedauernswerten. Manche haben einen Vollschuss wie die Nagelstudio-Besitzerin Gerda (Carolin Spiess) , die einen Wahrsager mit dem platonischen Namen Timaios (Barnaby Metschurat) für ihr Liebespech juristisch verantwortlich machen will, der sich aber als unangreifbarer genialischer Lebensberater erweist. Den Huren, die einen Verein durchsetzen wollen, geht es, wie sich herausstellt, um kein soziales Anliegen, sondern um die Einrichtung eins Puffs, der vielleicht, setzte man den zuständigen Sachbearbeiter beim Finanzamt unter Druck, auch noch steuermindernd als gemeinnützig anerkannt werden könnte. Diese Frechheit, aus der Kiezbasis kommend, siegt nicht.

Ein Gegenstück zum "Dicken"

In Pfaffs Lücke drängt Markus Gellert (Herbert Knaup). Ein Gegenstück zum "Dicken". Figürlich sowieso und sittlich ebenso. Ein Lebemann, voller Schulden und dauerbelästigt durch Forderungen von verlassenen Frauen. Ein Bruder Leichtfuß, von dem zunächst kein tränenreicher sozialer Hintergrund erklärt, warum er aus einer fetten Kanzlei in die Kiezklitsche wechselt. Die Kunst Knaups besteht darin, die Frage nach moralischem Engagement als Grille zu verkleinern: Er findet das Strafrecht interessanter als die öden Wirtschaftssachen. Gerechtigkeitspositivismus könnte man zu dieser Haltung sagen, für den sendungsbewussten Pfaff wäre das undenkbar gewesen.

Ein bisschen schauspielerisch beengt ist in den neuen Folgen die kinderlose Mutter der Kompanie, Isa von Brede, die nun Chefin wird. Der Tod des Kanzleipartners verschlägt ihr die Resolutheit, mit der ihre Darstellerin Sabine Postel sonst brilliert. Die neurotische Verleugnung ihrer Adelsherkunft wirkt aufgesetzt. Dass ihr Bruder sie mörderisch bedroht und sie nach einer gewaltsamen Auseinandersetzung mit ihm seinetwegen in U-Haft kommt, ist reichlich dicke. Als Objekt sexuellen Begehrens von Unterweltsgröße Matuschek (Uwe Bohm) und dem erwachenden erotischen Interesses des Neuen wirkt sie überfordert - eine Frau im Dauerstress, die immer nur beherrscht zu sein hat.

Weichheit ist Postels wahre Stärke

Allerdings: Wie die (natürlich fälschlich beschuldigte) Anwältin mit mädchenhafter Schläue in der Knasthierarche vom angstgepeinigten Außenseiter zur geschätzten Rechtsberaterin aufsteigt, ist ein schauspielerisches Kabinettstück. Weichheit ist Postels wahre Stärke, sie wird zu selten gezeigt.

"Der Dicke" hat sich im Serientitel in "Die Kanzlei" gewandelt und geweitet. Die Folgen ruhen auf mehr Protagonisten-Schultern. Der Geist ist geblieben, der Modernisten nie gefallen wird: zu deutsch, zu gutmenschlich, zu unrealistisch, zu unzynisch, zu spießig. Sie glauben nicht an Märchenschlüsse, wie sie zu dieser Serie passen: Und als der Held gestorben war, lebte das Märchen weiter.

"Die Kanzlei", Dienstag, ARD, 20 Uhr 15

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