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Der Kampf um den Suhrkamp Verlag: Der Suhrkamp-Komplex

Seit Hans Barlach Anteile an dem Traditionsverlag hält, gibt es Streit mit der Geschäftsführung. Daran könnte die Kulturinstitution kaputtgehen. Anatomie eines Dauerkonflikts.

Spaziert man dieser Wintertage bei einbrechender Dunkelheit an der Rehwiese in Nikolassee entlang, stellt sich schnell die Frage: Wohnt hier eigentlich jemand? Auf den Wegen kaum ein Mensch, in den Häusern brennen nur sehr vereinzelt die Lichter. Auch in der Gerkrathstraße 6 ist alles düster. Wie eine Trutzburg steht die riesige, vorn immerhin von einer großen, lichten Fensterfront dominierte Villa hier am Hang, zu erreichen ist sie nur über mehrere begrünte Terrassen und gut 50 Treppenstufen. 

Es ist dies die Villa, die gerade in der Kulturwelt für Aufregung sorgt; sie gehört der Suhrkamp-Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz und ihrer Familie. Ihr Erwerb, vor allem aber ihre Nutzung nicht nur zu Wohnzwecken hat den Suhrkamp Verlag in Turbulenzen gestürzt, die gleichbedeutend mit seinem Ende sein könnten. Sechs Namen stehen unten am Klingelschild neben der Eingangstür, zweimal ist der Name Schmidt verzeichnet. Schmidt heißen Ulla Unseld-Berkéwicz und ihr Bruder bürgerlich. Als die 1948 geborene Ulla Unseld-Berkéwicz Schauspielerin und später Schriftstellerin wurde, nahm sie den Nachnamen ihrer jüdischen Großmutter an.

Oben links an den Klingeln jedoch steht einfach nur „Suhrkamp Verlag“, und das deutet unmissverständlich darauf hin, dass die Villa zu Verlagszwecken genutzt wird. 552 Quadratmeter haben Ulla Unseld-Berkéwicz und ihr Bruder über eine von ihnen gegründete Gesellschaft zu einer Warmmiete von 6600 Euro monatlich an den Verlag vermietet. Genau dagegen hatte Hans Barlach, der 39 Prozent Anteile haltende Minderheitsgesellschafter des Suhrkamp Verlags und Enkel des Bildhauers Ernst Barlach, zwei Klagen angestrengt. Zum einen, weil er hier eine unzulässige, dem Verlag Schaden zufügende Vermischung von Privatem und Geschäftlichem vermutete. Und weil seine Zustimmung für diese Nutzung von der gegenwärtigen Geschäftsführung des Verlags und eben der Mehrheitsgesellschaft, der „Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung“, nicht eingeholt wurde.

Er kämpft mit Paragrafen, sie hat die Autoren, die hinter ihr stehen

Am vergangenen Montag hat das Landgericht Berlin Barlach und seiner Medienholding AG im nahezu vollen Umfang Recht gegeben. Die Geschäftsführung muss Schadenersatz an den eigenen Verlag zahlen, 282 500 Euro. Und sie ist, das war die damit verbundene Forderung Barlachs, abberufen worden, namentlich neben Ulla Unseld-Berkéwicz die vor allem im Verlag für das Repräsentative und das Operative zuständigen Geschäftsführer Thomas Sparr und Jonathan Landgrebe.

Der Verlag, also die Mehrheitsgesellschaft und ihr Anwalt Peter Raue werden gegen dieses Urteil Berufung einlegen, es ist noch nicht rechtskräftig. Und doch hat es ein Beben ausgelöst: im Verlag selbst, wo man sich nicht nur „überrascht“, sondern bestürzt und geradezu „geschockt“ zeigte. Aber auch in der bürgerlichen Kulturwelt, die dem Traditionsverlag seit seiner Gründung 1950 genauso traditionell verbunden ist: Suhrkamp ist Bildungsinstanz und Mythos in einem, der Verlag von Bertolt Brecht und Hermann Hesse, von Max Frisch, Uwe Johnson, Thomas Bernhard, Peter Handke, und wie sie alle heißen.

Was soll also daran falsch sein, dies in Berlin genauso zu halten?

Es ist dieses Ansehen des Verlags, das Ulla Unseld-Berkéwicz in Sicherheit zu wiegen scheint, sie in dem Glauben bestärkt, immer das Richtige zu tun: für den Verlag, für die Buchkultur in Deutschland, für die deutsche Kulturnation. Und im Sinn ihres 2002 verstorbenen Mannes, des immer noch geradezu übergroßen Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld, mit dem sie, so unken ihre Feinde gern, noch immer intensive Zwiesprache führt. „Als eine der letzten großen Bastionen gegen die Macht der Beliebigkeit“ hat sie den Verlag in einem ihrer seltenen Interviews einmal bezeichnet, noch bevor der Streit mit ihrem Minderheitsgesellschafter begann.

Und nachdem Hans Barlach 2006 seine Anteile von dem langjährigen und still alles duldenden Schweizer Suhrkamp-Mitgesellschafter Andreas Reinhart übernommen hatte und der Kampf um den Verlag vor den Gerichten seinen Anfang nahm, erklärte sie: „Die Festung Suhrkamp ist uneinnehmbar. Wir werden uns nicht von irgendwelchen Haifischen, Heuschrecken oder Investmentbankern übernehmen lassen.“

In diese Bilder von der „Festung“ und „Bastion“ fügt sich die Nikolassee-Villa natürlich aufs Beste; sie sollte nach dem Umzug des Verlags von Frankfurt nach Berlin Anfang 2010 eben nicht nur Wohnort, sondern Verlagsrepräsentanz sein. Das war schließlich auch in Frankfurt in der Klettenbergstraße immer so gewesen; hier feierte Unseld in seiner – allerdings viel kleineren – Villa immer mit seinen Autoren, hier gab es Kulturabende, und hier findet heute noch während der Frankfurter Buchmesse der traditionelle Kritikerempfang des Verlags statt.

Was soll also daran falsch sein, dies in Berlin genauso zu halten? Seit September vergangenen Jahres gibt es in der Villa an der Rehwiese alle paar Wochen einen Salon, zu dem Schriftsteller und Philosophen, Wissenschaftler und nur selten ein Politiker geladen sind.

„Auf diese schönen Abende werden wir jetzt wohl verzichten müssen“ – das war eine der ersten Reaktionen am vergangenen Montag im Berliner Landgericht in der Littenstraße, nachdem der Richter seine Urteile verlesen hatte. Die Äußerung kam aus der Runde der Literaturkritik, die hier weitgehend vollständig an einem ungewohnten Ort erschienen war und sich nach dem Urteilsspruch erst einmal orientieren musste. Denn so schnell man bei der Urteilsverlesung verstanden hatte, dass die Geschäftsführung der Suhrkamp-Mehrheitsgesellschaft zu einem an den Verlag zu zahlenden Schadenersatz verurteilt worden war, so irritierend waren zunächst, ohne es schwarz auf weiß geschrieben gesehen zu haben, die Urteilspunkte, in denen es um die Absetzung von Unseld-Berkéwicz ging.

Während sich nun die einen um die Schriftfassung des Urteils kümmern und auf die Begründung warten, formulieren die anderen Solidaritätsadressen. Von Stephan Thomé über Peter Handke und Hans Magnus Enzensberger, der mit dem Verlassen des Verlags droht, sollte Barlach die Verlagsführung übernehmen, bis zu Andreas Maier, der dem „Börsenblatt“ gegenüber äußerte: „Ich habe eine geradezu körperliche Abneigung gegen Leute, die sich einkaufen und vor Gerichten irgendwelche Dinge erstreiten wollen.“

Barlach gibt sich zugeknöpft

Auch in den Reihen der Berliner Politik ist man besorgt, so sagte Kulturstaatssekretär André Schmitz: „Der Berliner Suhrkamp Verlag ist in seiner jetzigen Aufstellung ein Kulturgut von höchstem Rang. Das darf man nicht gefährden. Hier kann es nicht um die wirtschaftlichen Interessen eines Hamburger Unternehmers gehen.“

Es sind diese Solidaritätsadressen, die die gedrückte Stimmung im eigentlichen Suhrkamp-Verlagsgebäude in der Pappelallee in Prenzlauer Berg ein wenig aufhellen, wie Verlagssprecherin Tanja Postpischil zugibt. Ansonsten hat man zwei Tage nach dem Urteil immer noch den Eindruck, als befinde sich der Verlag in einer Schockstarre; Postpischil erklärt, von der Geschäftsführung sei im Augenblick keiner zu sprechen. Was zu verstehen, aber nichts Neues ist: Aus der „Suhrkamp-Festung“ flossen die Mitteilungen stets spärlich. Immerhin bestätigt Postpischil, dass die Schwierigkeiten, ein geeignetes Verlagsgebäude in Berlin zu finden – das Haus in der Pappelallee sollte nur ein Provisorium für zwei Jahre darstellen –, mit dem Streit zusammenhängen: „Uns fehlt die Zustimmung der Medienholding zu möglichen Gebäuden.“

Aber auch Barlach gibt sich zugeknöpft. In einer Pressemitteilung verweist er auf seine finanzielle Unterstützung beim Umzug nach Berlin und die jahrelange Ignoranz von Unseld-Berkéwicz betreffs der „vereinbarten Rechte der mit fast 40 Prozent beteiligten Medienholding AG“.

Der Konflikt hat das Zeug, das Ende des Verlages zu bedeuten

Und, im Hinblick auf einen weiteren Prozess in Frankfurt, in dem es um den von beiden Gesellschaftern angestrengten Ausschluss des jeweils anderen und die von Barlach nachträglich eingereichte Auflösungsklage geht, ist Barlach der Auffassung, dass ein Gesellschafterwechsel „nicht nur das langfristige Überleben der Verlagsgruppe“ sichere, sondern auch die Grundlage geschaffen werde, „an die alten Erfolge der Frankfurter Zeit unter Peter Suhrkamp und Siegfried Unseld anzuknüpfen. Auch der Suhrkamp Verlag ist übrigens (...) aus einer Situation des Zerwürfnisses und der Auflösung heraus entstanden.“

Dieser letzte Satz zeugt von einer gewissen Anmaßung. Denn damals waren es mit Gottfried Bermann Fischer und Peter Suhrkamp zwei Buchverleger, die sich überwarfen. Und der bei S. Fischer in die Lehre gegangene Peter Suhrkamp konnte mithilfe von Hermann Hesse seinen Verlag gründen. Barlach hingegen hat keinerlei Erfahrungen in der Buchverlagsbranche. Er ist der Nachlassverwalter seines Großvaters, Zeitungs- und Zeitschriftenkäufer und- verkäufer, Investor. So sind von ihm bisher auch nur Verlautbarungen zu hören, dass er es besser könne als die gegenwärtige Suhrkamp-Geschäftsführung und es genügend jüngere Verlegertalente gebe, die er sich an seine Seite holen werde.

Als Konzept klingt das vage; weniger vage als triumphierend klingt der Satz Barlachs, dass der vorläufige Ausgang der beiden Prozesse auch Einfluss auf den Frankfurter Prozess habe. Der findet am 13. Februar 2013 statt und könnte tatsächlich ein paar weitere Steine aus der Festung Suhrkamp brechen. Ob Ulla Unseld-Berkéwicz es bis dahin vermag, so wie in den vergangenen Monaten, ruhig und zurückgezogen in ihrer Villa an einer Erzählung mit dem Titel „Reine Erfindung“ zu schreiben? Die soll im Mai 2013 erscheinen und „vom Ende der Angst- und Spaßgesellschaft, von der Überwindung aller religiösen Frömmelei im anarchistischen Ausdruck der Liebe“ handeln. Reine Erfindung: Dass der Suhrkamp Verlag schon bald sehr anders aussehen könnte, erscheint realer denn je.

Gerrit Bartels

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