Interview: „Der Seewolf kotzt nicht“
Sebastian Koch über eine klassische Neuverfilmung, verlogene Moral und falsche Freundlichkeit
Herr Koch, bei „Seewolf“-Verfilmungen wird immer wieder nach dieser einen Szene gefragt: die mit der rohen Kartoffel, die der Kapitän Larsen zerquetscht – können Sie das überhaupt noch hören?
Nein! Aber es gehört wohl dazu. Wir haben den „Seewolf“ ja in Englisch gedreht, eine internationale Produktion. Weder der Engländer noch der Amerikaner interessiert sich überhaupt für die Kartoffel. Die sagen immer: Was denn für eine Kartoffel?
Die haben Raimund Harmstorf in dieser Verfilmung von 1971 nicht gesehen.
Wahrscheinlich. Da reduziert es sich fast auf diese Szene.Wie so ein Comic. Ich bin froh, entdeckt zu haben, dass da noch vielmehr in diesem Stoff von Jack London steckt. Die Harmstorf-Verfilmung, das waren ja mehrere Jack-London-Romane in einem. Was allerdings auch sehr spannend war.
Wieso?
Da gab es die erfundene Geschichte mit den Jungens Larsen und van Weyden, die später auf See zu erbitterten Feinden werden. Ein großer Link für unsere Generation. Ich war Anfang der 70er genau in dem Alter von diesen Buben. Wir sind jetzt aber viel enger an der Romanvorlage. Mit der Abenteuerecke, mit Harmstorf, hat das nicht mehr viel zu tun.
Sie lieben diese „Seewolf“-Geschichte.
Ja, ich habe daraus auch ein Hörbuch gemacht. Als ich das Buch vor drei, vier Jahren nach über 30 Jahrzehnten wieder in die Hand nahm, wusste ich nicht, dass „Der Seewolf“ so toll ist. Hochwertige Literatur. Man entdeckt immer wieder Neues, das ist unfassbar. So viele Metaphern, hochintelligent, ganz spannend.
Sie sollen sich drei Monate lang die körperliche Fitness für die Rolle des Kapitän Wolf Larsen antrainiert haben. Was ist davon übrig geblieben?
Die Muskelpakete sind so gut wie wieder weg. Fünf Wochen habe ich im Studio verbracht und Gewichte gestemmt. In dem Roman wird der Körper beschrieben als Instrument, als gefährliche Waffe. Der Seewolf tötet mit den Händen. Eine unbändige Energie. Das muss man als Schauspieler im Ansatz wenigstens spüren, dass das möglich sein könnte. Die Figur ist aber nicht nur körperlich, die hat einen brillanten Geist, in der Einfachheit und Klarheit bestechend.
Was ist daran bestechend?
Er ist ein Mensch mit einer unbeschreiblichen Energie. Ein absoluter Instinktmensch, der besessen ist von seinen Visionen. Wolf Larsen sagt, das Leben hat keinen Wert, nur den, dem ich ihn selber beimesse. Die Moral der Menschen ist eh verlogen. Und setzt damit van Weydens Moral seinem Denken entgegen. Larsen macht seine eigenen Gesetze und nur die zählen. Er ist wie ein Straßenköter, der immer raufen will. Er trägt eine unbeschreibliche Energie in sich, will kämpfen und sich seinen Machtanspruch immer aufs Neue beweisen. Und er hat Spaß daran. Das ist sein Leben.
Das scheint Sie zu faszinieren.
Für mich ist das eine faustische Angelegenheit. Der sogenannte Böse macht ja immer das, was die Guten sich nicht trauen. Daher wird der „Seewolf“ immer wieder verfilmt. Eine Frage, die sich jede Generation neu stellt: Inwieweit die Freiheit des Einzelnen so grenzenlos ist, wann muss der Einzelne Kompromisse machen für die Gesellschaft, in der er lebt? Der Seewolf legt die Finger in die Wunde, ohne Rücksicht auf Konsequenzen.
Sie haben große Männer gespielt, historische und zeitgenössische Figuren, Speer, Klaus Mann, Andreas Baader – ist Ihnen die Rolle des „Seewolf“, dieses Übermenschen, doch näher ans Herz gewachsen?
Ich mache den Beruf seit 20 Jahren und habe das Glück, dass ich nur Filme annehmen kann, die mich wirklich interessieren. Und dabei lasse ich mich nicht festlegen. Zurzeit drehe ich in England eine Kino-Komödie. Fakt beim „Seewolf“ ist: Wenn man den Rahmen gut baut, kann man in diesem Spiel sehr weit kommen und sehr sehr ernst werden. Wir haben ja draußen auf hoher See gedreht. Im Unterschied zu den meisten anderen Produktionen hatten wir dann abends nach dem Dreh noch diesen Puffer, diese gemeinsame Rückfahrt. Da wurde die Energie wieder runter gefahren.
Mal seekrank geworden?
Wolf Larsen kotzt nicht. Das geht nicht. Wenn mir übel wurde, habe ich es nicht gezeigt.
Hand aufs Herz, Herr Koch, wer ist Ihnen näher : Humphrey van Weyden, der Moralist, der Gentleman, oder Wolf Larsen, der Instinktmensch, der Raufbold?
(überlegt) Das kann ich einfach nicht beantworten. Für uns, die so viele Regeln haben, ist dieser regellose Larsen natürlich spannend. Und der Mann ist verschlossen bis zu seinem Tod, hat aber in sich auch eine Widersprüchlichkeit, offenbar eine nicht erfüllte Sehnsucht. Fast eine romantische Figur. Es war mir ein Anliegen, ihn als Grenzgänger zu zeigen. Es gibt Situationen, in denen man sich mit Ekel von ihm abwendet, aber dann fängt einen diese Figur doch wieder ein. Das ist das, was dem Zuschauer passiert: mal ist er fasziniert, mal abgestoßen.
Sie sprachen von der Zeitlosigkeit des Stoffs. Welche Frage stellt sich uns im Jahre 2009 mit diesem Roman von 1904, mit diesem Regelbrecher, mit der Figur des Seewolfs, neu?
Dass jemand in aller Klarheit sagt, was er denkt, auch wenn es noch so unpopulär ist. Mir fehlen in unserer Zeit Menschen, die sagen, was sie denken, die aufrütteln, die polarisieren. Große Koalitionen können das nicht. Der andere Pol fehlt. Wenn der nicht da ist, dann wird es irgendwie so freundlich. Irgendwie freundlich, das ist der Tod jeglicher Demokratie und wohl auch des Lebens. Für mich ist dieser Seewolf ein steter Anstoß zum Nachdenken.
Vielleicht kommt das via ZDF bei den Zuschauern besser an als die Pro-7-Verfilmung mit Thomas Kretschmann vor einem Jahr. Haben Sie sich mal mit Kretschmann über die Rolle des „Seewolf“ unterhalten?
Wir haben uns paar Mal getroffen in der Zeit, in der wir das gemacht haben. Aber die Vergleiche mit den anderen „Seewolf“-Darstellern und -Verfilmungen interessieren mich nicht.
Das Gespräch führte Markus Ehrenberg.
"Der Seewolf" läuft am 1.11. und 4.11. im ZDF, jeweils 20 Uhr 15