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Der Regisseur und sein Star. Aljoscha Pause (r.) hat bei seiner vierstündigen BVB-Doku vor allem Marco Reus in den Mittelpunkt gestellt.
© Amazon Prime

Amazon-Prime-Doku über Borussia Dortmund: Der schwarze Februar

„Inside Borussia Dortmund“: Aljoscha Pauses Amazon-Doku startet zum Bundesliga-Beginn. Dass es ein Film ohne Happy End wird, war lange unklar.

Paco Alcacer und Axel Witsel beim Deutschunterricht. Sie lernen Wörter wie Nase, Stirn, Gesicht, sie lächeln verlegen wie kleine Jungs, die ihre Hausaufgaben nicht richtig gemacht haben. Es ist, doppelt ungewohnt, ein Filmteam im Raum. Fußballspieler werden im Alltag beobachtet, außerhalb des Spielfelds.

Für Marco Reus bedeutet das im Winter 2019 vor allem Reha, der Nationalspieler und Kapitän des BVB hat sich am Knie verletzt. Er fällt wochenlang aus, Dortmund rutscht in die Krise. Im Ultraschallbild zu bestaunen das Reus’sche Knie. Mannschaftsarzt Dr. Markus Braun bespricht mit dem Rekonvaleszenten die nächsten Schritte.

Erste Übungen mit dem Ball, mit Athletiktrainer Florian Wangler. Marco Reus ist eine, wenn nicht die Hauptfigur in der Dokumentation „Inside Borussia Dortmund“, die ab Freitag bei Amazon Prime zu sehen ist. Reus erzählt, dass seine Eltern sich eigentlich für den Vornamen Dennis entschieden hatten, dann zauberte Marco van Basten im Endspiel der Europameisterschaft 1988 ein irres Tor. Es wurde dem kleinen Marco in die Wiege gelegt.

Der erste Eindruck täuscht. Allzu viel Privates gibt der 30-jährige gebürtige Dortmunder nicht preis. Andere Spieler haben für die Kamera die Wohnungstür geöffnet, Reus nicht. Die 240-Minuten-Doku zeigt in vier Folgen die Leiden der Rückrunde, in der Borussia Dortmund einen Vorsprung von neun Punkten auf Bayern München abgab.

Der Produzent und Regisseur Aljoscha Pause besitzt das, was man street credibility nennt. Seine Filme über Homophobie im Fußball, über das Trainerdasein und die Dazn-Serie „Being Mario Götze“ beweisen seine Sensibilität für Themen, die wehtun, die tiefer gehen als vergeigte Spiele und verlorene Meisterschaften. „Inside Borussia Dortmund“ bewegt sich in anderen Dimensionen, da muss man wohl Kompromisse machen. Das westfälische Unternehmen mit dem Wahlspruch „Echte Liebe“ will sich mit dieser Amazon-Produktion stärker auf dem Weltfußballmarkt etablieren.

Hitzfeld mit feuchten Augen

„Es ist natürlich ein Film ohne Happy End“, sagt Torwart Roman Bürki. Vizemeister, nur Zweiter. Aber gerade in dieser Story vom Fast-Erfolg, vom vermeintlichen Underdog, der einen Jahresumsatz von 500 Millionen Euro anpeilt, steckt Kapital. Emotionale Werte. Letztlich zählt das im Fußball mehr als Meisterschaften, über die sich keiner mehr so richtig freut.

Ottmar Hitzfeld, Trainer beim BVB und später bei den Bayern, erzählt mit feuchten Augen, dass es doch etwas anderes sei, mit dem BVB einen Pokal zu erobern. Da brandet im Signal-Iduna-Park Beifall auf. 3000 Gäste verfolgen bei der Premiere Teile der ersten und die komplette zweite Folge von „Inside Borussia Dortmund“ auf einem Screen vor der VIP-Tribüne.

Es soll ein möglichst großes Publikum international erreicht werden: Also braucht es Background, BVB-Historie. Sieg im Champions-League-Finale 1997 gegen Juventus Turin, mit Lars Rickens Lupfer. Sieg im Pokalendspiel 1989 gegen Werder Bremen, mit Norbert Dickels Galaauftritt, der ihn – wieder das Knie – die sportliche Karriere kostet. Jetzt steht er mit dem Mikrofon auf dem roten Teppich, der hier naturgemäß ein schwarzer ist, und fängt die Prominenten ab. Marcel Schmelzer sagt den Journalisten, dass die Mannschaft noch nichts von der Serie gesehen hat. Reus meint, mit der Doku habe man auch etwas für später.

Es fühlt sich komisch an, im Stadion Tore zu bejubeln, die an Ort und Stelle vor einem halben Jahr gefallen sind, mit Blick auf die leeren Ränge an diesem Mittwochabend in Dortmund. Einzeln marschieren die Spieler zum Triumphmarsch aus Verdis „Aida“ wie sonst auch über den dunklen Rasen zum Podium, wo die Moderatorin Johanna Klum in knallenger schwarzer Lackhose und BVB-Trikot wartet. BVB-Legenden wie Siggi Held, Wolfgang Paul und Paul Lambard sind da. Die Doku greift in der zweiten Folge dann auch bis in die siebziger Jahre zurück, Borussia steigt ab. Borussia im Jahr 2005 vor der Pleite – all das gehört zum Doku-Drama, das eindeutig von der Erwartung künftiger Triumphe lebt.

Böse Vorahnung. 3:0 zur Halbzeit

Und dabei stehen doch die Verantwortlichen im Vordergrund: Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, Sportdirektor Michael Zorn, Präsident Reinhard Rauball. Trainer Lucien Favre hat einige emotionale Auftritte. Immer wieder gleitet „Inside Borussia Dortmund“ in die klassische Spielanalyse, Fernsehformat mit Experten, talking heads. Wenig Neues.

Die Spielszenen sind durchgehend unangenehm mit Actionmusik unterlegt. Dann wieder in der Kabine, Mannschaftsbesprechung, böse Vorahnung. 3:0 zur Halbzeit gegen Hoffenheim. Und gleich die drei Gegentore. Die Bayern rücken näher. Es war ein schwarzer Februar. Im Jahr davor der Bombenanschlag auf den Mannschaftsbus.

Im August 2019 sieht es freundlicher aus. Alle Vorbereitungsspiele wurden gewonnen, auch der Supercup gegen FC Dauermeister. Der BVB hat die Amazon-Zentrale in Seattle besucht, die neuen Geschäftsfreunde. Dortmund will Meister werden. Das haben Watzke & Co. diesmal offen erklärt. Der dramaturgische Dreh besteht darin, die vergangene Spielzeit als meisterliches Vorspiel zu deklarieren. Geschichte wird umgedacht: Als Aljoscha Pause ins Spiel kam, mit insgesamt 70 Drehtagen, träumten sie noch vom großen Triumph. Neun Punkte Vorsprung. Am Ende zwei Punkte dahinter.

So heißt es heute „näher dran als je zuvor“. Von „Inside Borussia Dortmund“ lässt sich das nach zwei Folgen nicht so sagen. Näher dran als ohnehin in all den Medien, das muss auch nicht sein. Fußballprofis haben ein Recht auf das bisschen Privatsphäre, viel bleibt ihnen davon ohnehin nicht. Wobei sich das Produkt eben damit verkaufen soll – mit dem Schlüssellochblick. Ein halb leeres Versprechen. Es gibt Geschäftsgeheimnisse.

Axel Witsel, der mehrere Sprachen spricht und für die Kollegen dolmetscht, erzählt, wie er nach einem schlimmen Foul, bei dem er einem Gegenspieler in Lüttich ein Bein brach, „fertiggemacht“ werden sollte. Er war damals neunzehn, und die Attacken richteten sich auch gegen seine Familie. Zehn Jahre später sitzt der Mittelfeldchef am Steuer seines Luxuswagens und fährt durch Dortmund. Er spricht im Film Französisch, er brauche für das Deutsche noch etwas Zeit. Am Samstag erst mal gegen Augsburg, Saisonauftakt vor 81000 Insidern.

„Inside Borussia Dortmund“, vier Teile, ab Freitag bei Amazon Prime

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