Thomas Gottschalk wird 65: Der Schelm der Nation
Rückzug vom Fernsehen? Altersweise? Ausgesöhnt mit sich und der Welt? Von wegen. Thomas Gottschalk zum 65. Geburtstag.
Jetzt tingelt er wieder, liest vor, plaudert mit Gregor Gysi und erzählt Markus Lanz alle Pointen aus seinem Buch, als hätte er sie gerade im Gespräch frisch erfunden. In einer Fußballrunde kokettiert er sogar dezent mit einem „Wetten, dass..?“Comeback. Für Thomas Gottschalk, der immer auf sein Äußeres achtet, hat es große symbolische Bedeutung, die Locken nun nicht mehr blondieren zu lassen, sondern offen grau zu tragen. „Herbstblond“ ist seine Autobiografie betitelt, in der er mitteilt, dass im Grunde genommen in seinem Leben immer alles zur rechten Zeit passiert sei. Ein wenig erzählt er das auch, um sich selbst davon zu überzeugen.
Es ist ein Buch geworden, das man gut weglesen kann. Es segelt auf mittlerer Flughöhe dahin. Als flotter Erzähler vermeidet Gottschalk allzu Banales, aber selbstverständlich auch Grübeleien.
Der Tommy ist, davon ist Gottschalk fest überzeugt, so wie viele Deutsche auch gerne wären: lustig und locker. Nie hatte er eine Mission – außer der, anderen Leuten gute Laune zu machen. Tatsächlich hat Thomas Gottschalk aus seiner Begabung, selbstgewisse „Wurschtigkeit“ mit höchster Präzision im Erfassen einer Situation verbinden und sofort kommunikativ wenden zu können, das Bestmögliche gemacht. Als allzeit fröhlicher Spaßvogel hat er es zu Ruhm und Reichtum gebracht – und doch zweifelt er zu seinem 65. Geburtstag ein wenig, ob es das schon gewesen sein soll.
„Kaum biste tot, biste der Größte“ – das hat Thomas Gottschalk am Beispiel seines einzigen Vorbilds Hans-Joachim Kulenkampff gelernt, dem er einst im „Spiegel“ einen schönen Nachruf schrieb. Gottschalk ist also noch nicht der Größte, aber schon ein Großer, „ein Stück Glotze“, wie er sich selbst bezeichnet, und damit auch ein Stück Geschichte. Als „Volksschullehrer“ und als „Präsident“ der Fernsehrepublik Deutschland wurde er schon bezeichnet.
David Bowie auf dem Sofa neben Norbert Blüm
In seiner Jugend war er ein Radiorebell, ein Rock ’n’ Roller mit losem Mundwerk und toupierter Langhaarfrisur. Mit dem Fernsehen stieg er auf zu einem jedermann bekannten Kobold, der Enkel und Opa erfreute. Schrill gekleidet wie keiner vor ihm, aber nahbar. Ganz bei sich und eins mit der Sache war er als Showmaster von „Wetten, dass..?“. In der größten europäischen TV-Show schlug er im Idealfall Funken aus dem Zusammenprall der provinziellen deutschen Welt der Baumarktkünstler und Stadthallen mit der globalen Pop- und Hollywood-Kultur. Cher in Böblingen, David Bowie auf dem Sofa neben Norbert Blüm – das war Gottschalks Welt.
Er wollte nicht nur viele erreichen, sondern alle, nie Teil einer Fraktion sein, sondern die gesamte Nation erwärmen. So wurde er zum ersten Mann der Mitte, der frech blieb und schlagfertig. Wie Bayern München, Helmut Kohl oder die stabile D-Mark schaffte er es, zum Inventar der späten, aufgeblühten Bundesrepublik zu gehören, an die alle vornehmlich gute Erinnerungen haben. Dieses geläuterte Land hatte es nicht mehr nötig, mit der niederwalzenden Fröhlichkeit ihrer frühen Jahre die Leichen im Keller zu übertönen. Es war weltoffen und mit sich weitgehend im Reinen – so wie der gut gelaunte Thomas Gottschalk.
In seinem Biotop blühte er auf, wenn etwas schiefging. Als Marcel Reich-Ranicki den ihm zugedachten Fernsehpreis verweigerte, schaffte er es, dies nicht so aussehen zu lassen, als spucke nur ein griesgrämiger Opa beim Familienfest in die Suppe. Er wahrte die Würde des zornigen älteren Herrn und verteidigte milde den eigentümlichen TV-Preis. Nach dem schon Legende gewordenen Unfall Samuel Kochs in seiner Sendung erfasst er sofort, dass nun nichts mehr sein würde wie zuvor, die Show sofort abgebrochen werden musste. Vor allem aber fand er dazu die richtigen Worte. Eine herausragende Ausgabe von „Wetten, dass..?“ fand am 4. November 1995 in Duisburg statt. Michael Jackson führte seinen „Earth Song“ auf, mehr als 17 Millionen schauten zu und wieder passierte etwas: Jitzchak Rabin war ermordet worden. Ein Laufband zeigte es an. Gottschalk brachte die Sendung gefasst zu Ende.
Der „Smoke-on-the-Water“-Musikgeschmack
Das Größte ist nun vorbei. Da ist Gottschalk illusionslos. Aber er ist sauer, wie schnell es danach bergab ging. Könnte nicht doch noch einmal Großes kommen? Dieses „noch“ durchzieht sein „Herbstblond“. Gottschalk ist zufrieden, aber keineswegs gelassen. Das spürt der genaue Leser hinter dem Plauderton seines Buches.
Da ist zunächst das Älterwerden. Gottschalk schwört sich darauf ein, ihm mit einer gesunden Mischung aus Humor und Verdrängung zu begegnen und findet es doch „scheiße, dass man es sieht“. Er spürt, dass er sich entfernt hat von einer Jugend, die es immer „krasser“ haben will und seinen „Smoke-on-the-Water“-Musikgeschmack nicht mehr teilt. Er hielt den Soundtrack seines Lebens, den zum Mainstream gewordenen Rock und Pop der Stones und Beatles für universell und zeitlos. Nun wird er eines Besseren belehrt, fremdelt selbstironisch mit der Jugend und stellt gleichzeitig bedrückt fest, dass es für seine Generation keinen Kodex des richtigen Alterns gibt. Aber loslassen will er auch noch nicht.
In seiner besten Zeit konnte er die Deutschen versammeln, um sie zu zerstreuen. Die Zeit der Befehle war vorbei – und die Zeit, in der sich jeder für sich selbst zu Tode amüsiert, noch nicht angebrochen. Und Gottschalk bespielte alle Medien: vom Supernasenfilm über die Haribo-Werbung bis zur Hitparade. Zum menschenfressenden Boulevard hat er nie eine kritische Haltung entwickelt. Zwar schreibt er ironisch über diese Blätter, lässt aber keine Zweifel daran, dass der Doppelpass mit „Bild“ und „Bunte“ zum Geschäft gehört.
Seinen Frieden mit der Kritik aber hat Gottschalk nie gemacht. Als Gegenbild zu seiner Fröhlichkeit geistert ein Popanz durch sein Werk: Das ist der ewig missmutige, schlecht verdienende, schlecht gekleidete Kritiker, der den anderen ihre Lebensfreude nicht gönnt und darum verbissen Verrisse produziert. Bei aller Würdigung zum 65. soll nicht unterschlagen werden, dass Gottschalk lange einen recht kleinkarierten Anti-Intellektualismus pflegte, den er erst mit der späten und demonstrativen Verbrüderung mit Marcel Reich-Ranicki ablegte.
Mit 65 Jahren steht Thomas Gottschalk nun irgendwo dazwischen – sein Können und die Verdienste sind unbestritten. Er und kein anderer ist der Schelm der Nation. An Rückzug aber mag er nicht denken. Als altersweise will er nicht gelten. Ausgesöhnt mit sich und der Welt ist er auch noch nicht. Heutzutage ist 65 ein schwieriges Alter.