Dschochar Zarnajew: Der „Rolling Stone“ hebt mutmaßlichen Boston-Attentäter auf den Titel
"Was für eine Schande, einen Mörder wie einen Rockstar aussehen zu lassen“, schreiben aufgebrachte Leser auf der Facebook-Seite der Zeitschrift.
Die Locken fallen ihm weich in die Stirn, sein Blick ist melancholisch in die Kamera gerichtet, das Licht weichgezeichnet. Wie ein Popstar wirkt der Mann, den das US-Musikmagazin „Rolling Stone“ auf seinem neuen Cover präsentiert. Doch der 19-Jährige will keine Charts und Festivalbühnen erobern. Er muss sich vor Gericht verantworten – als mutmaßlicher Terrorist und Bombenleger des Boston-Marathons, bei dem im April drei Menschen getötet und über 200 weitere verletzt worden sind.
Seitdem das Magazin den Titel mit Dschochar Zarnajew in der Nacht zu Mittwoch veröffentlich hat, wird es heftig kritisiert. „Was für eine Schande, einen Mörder wie einen Rockstar aussehen zu lassen“, schreiben aufgebrachte Leser auf der Facebook-Seite der Zeitschrift, „Wer immer dachte, das sei eine gute Idee, sollte gefeuert werden“, lautete ein anderer der mehr als 16 000 meist negativen Kommentare. „Geschmacklos“ nennt es der Gouverneur von Massachusetts, Deval Patrick. Bostons Bürgermeister Thomas Menino beschwerte sich per Brief bei „Rolling Stone“-Verleger Jann Wenner. Das Cover sei „schlecht durchdacht“ und bestätige, dass Mörder Ruhm ernten für ihre Taten. Es sei besser gewesen, wenn der Titel den Überlebenden des Attentats gewidmet worden wäre.
Handelsketten wie CVS und Tedeschi Food Shops reagierten mit einem Verkaufsboykott der „Rolling Stone“-Ausgabe. „Wir glauben, das ist die richtige Entscheidung aus Respekt für die Opfer und ihre Angehörigen“, erklärt CVS auf Facebook. „Musik und Terrorismus vermischt man nicht,“ schreibt Tedeschi Food Shops in dem sozialen Netzwerk.
Dabei glorifiziert die Titelgeschichte weder Zarnajew noch seine Taten. Unter der Überschrift „The Bomber“ geht es darum, wie „ein beliebter, vielversprechender Student von seiner Familie im Stich gelassen wurde, dem radikalen Islam verfiel und zum Monster wurde.“ Ein großes Recherchestück, bei dem die Autorin mit Zarnajews Kindheits- und Jugendfreunden, Lehrern und anderen Wegbegleitern gesprochen hat. Als Reaktion auf die heftige Kritik ist die Geschichte jetzt früher als geplant veröffentlicht worden.
Mitleid für die Opfer von Boston
„Unser Mitleid gilt den Opfern des Bombenanschlags beim Boston-Marathon, und unsere Gedanken sind immer bei ihnen und ihren Familien“, teilte die Chefredaktion mit. Die Titelgeschichte stehe allerdings in der „Tradition des ,Rolling Stone‘ und seinem jahrzehntelangen Bekenntnis zu ernsthafter und nachdenklicher Berichterstattung über die wichtigsten politischen und kulturellen Themen unserer Zeit. „Die Tatsache, dass Dschochar Zarnajew jung und in der selben Altersgruppe wie die meisten unserer Leser ist, macht es für uns umso wichtiger, über die Vielschichtigkeit des Themas zu berichten und ein komplettes Bild zu erhalten, wie eine solche Tragödie geschieht.“
Nun ist es auch nicht so, dass die Redaktion Zarnajew für ein Shooting ins Fotostudio gebeten hätte. Das Bild stammt aus einem sozialen Netzwerk – und wurde bereits von der „New York Times“ veröffentlicht. Ärger handelte sich die Zeitung damit nicht ein.
Der Unterschied ist jedoch folgender: Während auf der Titelseite der „New York Times“ täglich Bilder von aktuellen Ereignissen, also auch von terroristischen Anschlägen veröffentlicht werden, ist das Cover des Musikmagazins normalerweise ausschließlich für Pop- und Rockstars, für Kulturschaffende reserviert. Diesen Platz nimmt nun ein mutmaßlicher Terrorist ein. Einen ganzen Monat lang. Die „New York Times“ hat täglich ein anderes Titelbild. Hinzu kommt, dass Zarnajew vergangene Woche erstmals vor Gericht erschien und sich für „nicht schuldig“ erklärte. Die Stimmung ist entsprechend aufgeheizt.
Es ist nicht das erste Mal, dass der „Rolling Stone“ einen solchen Titel wagt. Schon 1970 hob er Mörder Charles Manson aufs Cover mit der Zeile: „The Most Dangerous Man Alive“. Auch mit Zarnajew wird das Magazin wohl deutlich mehr Auflage machen, als wenn es auf Rapper Jay-Z gesetzt hätte. Der PR-Effekt dürfte wohl kalkuliert sein. Doch gehört zu dem Bild eben keine glorifizierende Terrorismusgeschichte, sondern ein Artikel darüber, was Zarnajew zu seinen mutmaßlichen Taten getrieben haben könnte.
Der deutsche Ableger des US-Magazins, der im Springer-Verlag erscheint, will den Text ins Deutsche übersetzen lassen und in Teilen veröffentlichen. Für den Titel ist jedoch ein anderes Bild geplant.
Sonja Álvarez
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