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Sieht so ein Polizist aus? Regenjacke, Motorroller, Kopfhörer, so kümmert sich Kommissar Stellbrink (Devid Striesow) um die kleine Melinda (Mila Böhning). Foto. SR
© SR/Manuela Meyer

Neuer Tatort-Fahnder: Der gute Kommissar von der Saar

Devid Striesow bricht in seinem ersten SR-„Tatort“ aus dem Saarland alle Regeln, um ein arabisches Mädchen zu schützen.

Beim ARD-„Tatort“ geht es Schlag auf Schlag: An diesem Sonntag hat ein weiterer prominenter Schauspieler seine Premiere als TV-Ermittler. Devid Striesow, ausgezeichnet mit dem Deutschen Filmpreis, übernimmt im Saarland als Kriminalhauptkommissar Jens Stellbrink seine neue Stelle. „Nein, Mama, dass ich von der Bundespolizei zur Landespolizei wechsel, ist kein Karriereabstieg“, sagt er gleich zu Anfang am Telefon. Ganz im Gegenteil: Der „Tatort“ des Saarländischen Rundfunks (SR) steigt mit der Besetzung Striesows in die Liga jener ARD-Krimis auf, über die am Tag nach der Ausstrahlung bundesweit diskutiert werden dürfte. Denn einen Kommissar wie Jens Stellbrink hat selbst der mit inzwischen 21 Teams überreiche „Tatort“ noch nicht gesehen.

Seine Kollegen trauen ihren Augen nicht, als sie den Neuen das erste Mal sehen – auf einer Überwachungskamera. Da ist Stellbrink noch gar nicht im Dienst. Weil er bei der Renovierung seines außergewöhnlichen Penthouses – eines heruntergekommenen Glaskastens auf dem Dach eines Saarbrücker Gebäudes – noch einige Materialien benötigt, fährt er in gelben Cargo-Shorts, Regenjacke und Gummistiefeln mit seiner alten Vespa zum nächsten Baumarkt. Dort irrt ein kleines Mädchen (Mila Böhning) herum, dessen er sich annimmt. In einem Hotel ganz in der Nähe wird das offenbar aus dem arabischen Raum stammende Mädchen bereits vermisst. Kaum hat Stellbrink Melinda abgegeben, hört er aus dem Zimmer eine Frau schreien. Er bricht die Tür auf, schnappt sich das Mädchen und wird auf der Flucht beschossen. Worum es in der Folge „Melinda“ genau geht, wird erst viel später klar, langweilig wird es jedenfalls zu keinem Zeitpunkt.

Das Debüt des neuen SR-„Tatort“ zeigt zweierlei: Zum einen, wie schwer es geworden ist, nach all den neuen und noch kommenden „Tatorten“ (am 10. März startet Til Schweiger in Hamburg) eine originelle Figur zu schaffen. Zum anderen unterstreicht die außergewöhnliche Auftaktfolge, wie leicht es Striesow fällt, eine solche unkonventionelle Rolle mit Leben zu füllen und aus der Figur einen zwar schrägen, aber glaubhaften Charakter zu formen. „Erst kommt bei Stellbrink der Bauch, und dann kommen die Gedanken hinterher. Mir selbst kommt das sehr entgegen, das ist auch ein Teil von mir“, sagte der Schauspieler in einem dpa-Interview.

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Der 39-jährige Striesow, der zu Recht als einer der besten Schauspieler seiner Generation gilt, spielt einen äußerst sympathischen Polizisten. Wenn er sich über sämtliche Regeln hinwegsetzt, dient das immer einem höheren Ziel. Für ihn zählt weder die Kriminalstatistik noch die eigeneKarriere. Er setzt sich ohne Zögern für Schwächere ein, bei ihm siegt nicht Frechheit, sondern Menschlichkeit. Dabei agiert er immer mit einem gewissen Augenzwinkern. Stärker könnte der Bruch mit dem Vorgänger-Duo Franz Kappl und Stefan Deininger (Maximilian Brückner und Gregor Weber) nicht ausfallen. Deren Zeit hatte vorzeitig geendet, weil die Geschichte „auserzählt“ sei, wie der Sender seinerzeit behauptete.

Der Komikansatz ist ein Risiko

Doch auch Jens Stellbrink muss aufpassen. Kollegen mit der Waffe zu bedrohen und sie mit Handschellen festzusetzen, ist auf Dauer selbst für die sympathischsten Kommissare nicht tragbar. Seinem durchgeknallten „Tatort“-Kollegen Peter Faber (Jörg Hartmann) aus Dortmund bläst der Gegenwind inzwischen heftig ins Gesicht. „Wer sich so verhält, würde im echten Leben sofort aus dem Verkehr gezogen. Bei der Polizei hat er nichts zu suchen“, ärgerte sich der designierte NRW- Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft, Arnold Plickert, und forderte Fabers Absetzung durch den WDR. Auch Stellbrink wird in „Melinda“ bis an die Grenzen gehen. Man darf gespannt sein, wie die Polizei und ihre Interessensvertreter diesmal reagieren. Auch von anderer Seite droht dem SR-„Tatort“ Kritik – so wenig Lokalkolorit war selten.

Der Komikansatz ist ein weiteres Risiko, zumal er im „Tatort“-Gefüge ganz und gar nicht einmalig ist. Das Münsteraner Duo fährt seit inzwischen zehn Jahren gut mit der Mischung aus Krimi und Komik, obwohl sich bei Professor Boerne und Kommissar Thiel (Jan Josef Liefers und Axel Prahl) die Gewichte zuletzt („Das Wunder von Wolbeck“) sehr stark Richtung Slapstick verschoben haben. Immerhin kann Devid Striesow die leichten Logikschwächen im Plot der Premierenfolge aus Saarbrücken (Buch: Lars Montag und Dirk Kämper) problemlos ausgleichen. Eine tiefer gehende Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen sollte diesem Film ohnehin nicht unterstellt werden, und auch die Spannung wird weniger vom Kriminalfall getragen als von der Frage, wie sich Stellbrink aus dem selbst angerichteten Kuddelmuddel befreien kann, und ob es ihm gelingt, das kleine Mädchen zu beschützen.

Auch wenn der neue SR-„Tatort“ vor allem auf Striesow ausgerichtet ist, kämpft er nicht allein. Während Stellbrink auf Yoga, Reggae und Kiffen steht, gibt Elisabeth Brück als Lisa Marx die toughe Ermittlerin, die ein Faible für schnelle Motorräder, scharfe Waffen und Kickboxen hat. Die Schauspielerin stammt sogar aus Saarlouis. Der Sender tut somit gut daran, diesen Aspekt künftig stärker zu betonen. Auch die Figur von Staatsanwältin Nicole Dubois (Sandra Steinbach), die sich für die Methoden von Stellbrink erwärmen kann, ist ausbaufähig. Ein Detail zur Person: Steinbach gehört zum festen Ensemble des Berliner Kriminaltheaters.

Regie führte Hannu Salonen, der langjährige „Tatort“-Erfahrung mitbringt und das Debüt von Stellbrink und Marx mit großer Leichtigkeit inszeniert hat. Vor allem hat er Striesow genügend Raum für eigene Ideen gelassen. Die Yoga-Übungen musste der nicht erst trainieren. Dass Stellbrink und Melinda so gut harmonieren, mag indes daran liegen, dass Mila Böhning mit Striesow und Brück schon einmal für den SR/RBB-Film „Hänsel und Gretel“ vor der Kamera stand.

In jedem Fall freut man sich nach diesem Einstand auf den nächsten „Tatort“ von der Saar, der bereits am 7. April läuft. Unter dem Titel „Eine Hand voll Paradies“ wird im Rockermilieu ermittelt, es geht um Drogen und Bandenkriminalität. Der SR-„Tatort“ kommt somit im Tagesgeschäft an. Dennoch soll es sich auch um einen Stellbrink-Krimi handeln, denn der Sender will auch in Zukunft bei Striesow auf die Humorkarte setzen.

Auf die dritte Folge muss dann jedoch länger gewartet werden. Zwar wird bereits im April und Mai gedreht, die Ausstrahlung findet voraussichtlich erst im Januar 2014 statt.

„Tatort: Melinda“, ARD, 20 Uhr 15

Kurt Sagatz

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