Der Mann hinter Lanz, Jauch & Co.: Der Dirigent der Augenblicke
Lanz’ Lachen, Gottschalks Grimasse, Klitschkos Kämpfe: Als Regisseur bestimmt Volker Weicker, was Zuschauer auf ihrem Bildschirm sehen. Blitzschnell muss er in Live-Sendungen entscheiden. Technik allein reicht da nicht.
Volker Weicker ist sehr oft im Fernsehen. „Günther Jauch“, „Das Supertalent“, „Lafer! Lichter! Lecker!“ und noch viele Sendungen mehr. Trotzdem ist sein Name nur wenigen Menschen bekannt. Denn Weicker ist nicht vor der Kamera zu sehen. Er sitzt hinter den Kulissen, in der Regie. Weicker ist Deutschlands erfolgreichster Live-Regisseur, viele Branchenkenner halten ihn sogar für den weltbesten. Er entscheidet, was wann zu sehen ist. Und bestimmt damit den Blick von Millionen Fernsehzuschauern.
Shows, Basketball, Boxen, Skispringen, Konzerte, Champions League – all das hat Weicker bereits dirigiert. Bei der Fußball-WM 2002 in Japan führte er Regie, auch beim Finale. Mehrfach ist seine Arbeit ist ausgezeichnet worden, für die Live-Regie der Sonderberichterstattung auf RTL zu den Terroranschlägen am 11. September 2001 erhielt er beispielsweise den Grimme-Preis. Gerade setzte er Thomas Gottschalk bei den Live-on-Tape-Aufzeichnungen fürs „Supertalent“ auf RTL in Szene, ab Oktober führt er bei „Wetten, dass..?“ Regie.
Der Zuschauer erlebt beim Fernsehen eine Abfolge von Bildern, die ihm eine Wirklichkeit suggerieren, mal geschminkt, oft ausgeleuchtet, immer perfekt getimt. Volker Weicker konstruiert diese Wirklichkeit. Rund 250 Tage im Jahr sitzt er in einem abgedunkelten Raum irgendwo in der Bundesrepublik und erschafft Fernsehrealitäten, an diesem Mittwoch in einem Studio in Hamburg-Altona, wo die Sendung „Lafer! Lichter! Lecker!“ entsteht. Eine Fernsehregie sieht ein bisschen so aus wie die Kommandozentrale bei "Star Wars". Weicker trägt Kopfhörer, vor ihm an der Wand hängen mehrere Bildschirme. Jeder zeigt ihm das Bild einer Kamera an, er muss Blickwinkel wähle, Schnitte setzen.
Weicker sagt, Regie zu machen sei eine Frage des Charakters. Man muss Menschen motivieren können und sie gleichzeitig lenken. Man muss gelassen sein und nicht während einer Sendung versuchen, alle Bewegungen einfangen zu wollen. Das kann nicht gelingen. Live-Regie bedeutet vorauszudenken. Beim Fußball oder Boxen, wo in jeder Sekunde alles ganz anders kommen kann, muss Weicker trotzdem einen Spielfluss zeigen. Fernsehen hat keine festen Parameter, Weickers Bauchgefühl ist da eine Konstante.
Wenn Johann Lafer bei „Lafer! Lichter! Lecker!“ Schnittlauch schneidet, sagt Weicker ihm aufs Ohr „Erklär’, was du machst!“. Und Lafer erklärt. Wenn Verona Pooth in derselben Sendung einen Satz sagt, analysiert Weicker: „Das ist der Pooth-Dativ!“ Ein Witz, den er dem Moderator schenkt.
Der 55-Jährige lebt fürs Fernsehen. Und irgendwie auch mit ihm. Doch der Partner hat sich verändert. „Ich hatte das Glück, zu einer Zeit zum Privatfernsehen zu kommen, als es noch in den Kinderschuhen steckte. Ich konnte mich ausprobieren, vieles erproben. Diese Chancen sind heute nicht mehr so gegeben, weil es in jedem Sender um Erfolg und Quote geht.“
Weicker meint, dass die Gleichheit im Fernsehen ein großes Problem ist. „Alle springen auf, machen alles gleichzeitig gleich. Es erstaunt mich, dass große Print-Magazine oft dieselben Titel haben. Im Fernsehen ist das ähnlich. Das, was da ist, wird ein bisschen abgewandelt und kopiert. Leute wollen kein Risiko mehr eingehen, nichts soll mehr floppen. Innovationen lässt man sausen.“
Der Regisseur kann das gut beurteilen, schließlich arbeitet er als Freiberufler für alle Sender, ob öffentlich-rechtlich oder privat. Er hat kein Problem damit, für RTL das „Supertalent“ zu machen und am 6. Oktober das zeitgleich laufende „Wetten, dass..?“ mit Markus Lanz im ZDF. Für Weicker zählt nur, dass er seinen Job gut macht. Egal, wer vor der Kamera steht.
Vor kurzem hat er einen Regiekollegen bei „Schlag den Raab“ vertreten. „Die Show zeigt, dass auch selbstentwickelte Formate erfolgreich sein können.“ Davon würde er gerne mehr im deutschen Fernsehen sehen. Dass Raab einen Polittalk plant, findet Weicker gut. Schon allein wegen des Moderators würde die Show eine andere werden, meint er.
Zu viele Kochshows, zu viele Gerichtsshows, zu viele Quizshows – irgendwann werde die Übersättigung kommen, glaubt Weicker. Nahezu jeder Sender hat inzwischen eine eigene Quizshow, die – bitte schön – genauso erfolgreich laufen soll wie „Wer wird Millionär?“. Das Problem: Sie darf nicht genauso aussehen. „Mit einem Mal hat man gelernte Muster“, sagt Weicker. „Quiz und Spannung sind immer blau, Lichtwechsel muss mit Akustik unterlegt sein, weil es bei RTL erfolgreich war, muss es per se erfolgreich sein.“ Für Weickers Job bedeutet das mehr Routine und weniger Kreativität. Fernsehmachen mit doppeltem Boden.
Dabei ist Weicker ein Typ, der kaum Fehler macht. Ein Grund, weshalb er so regelmäßig und oft gebucht wird. Im Leben, sagt er, greife man in der Regel nur einmal auf die heiße Herdplatte. Weicker spricht gerne in Bildern. Seine heiße Herdplatte war, als er das erste Mal am Regiepult saß, 1985 auf dem Mainzer Lerchenberg im 3sat-Studio. In der Kommandozentrale darf weder getrunken noch gegessen werden, doch ein Kollege wollte mit ihm anstoßen, das erste Mal, ein besonderer Moment. Das Pult ist ein sensibles Gerät und als ein bisschen was von dem Sekt runter tropfte, fiel plötzlich alles aus.
Es scheint, als könne Weicker nichts aus der Ruhe bringen. Wir operieren nicht am offenen Herzen, sagt er. Er ist keiner, der in der Regie rumbrüllt. Dem Bildmischer erzählt er lieber, dass sein jüngster Sohn eingeschult wurde. Überhaupt scheint Weicker das Zwischenmenschliche wichtig zu sein. Auf den Fluren begrüßt er die meisten mit Handschlag, viele umarmt er auch. Ein Kollege nennt ihn den „lustigen Hessen“.
Zurzeit arbeitet er nur wenige Kilometer von seiner Heimat Darmstadt entfernt, beim 3sat-Zeltfestival in Mainz. Hier führte er vor 26 Jahren Regie – hierher kehrt er jedes Jahr für zehn Tage zurück.
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