Interview mit "Transparent"-Star Jeffrey Tambor: „Der Charakter fühlt sich als Frau besser“
Jeffrey Tambor ist mit seiner fulminanten Rolle als Mann/Frau in der US-Serie „Transparent“ der Schauspieler der Stunde.
Jeffrey Tambor, 70, wuchs als Sohn eines Bodenlegers in San Francisco auf. Nach dem Schauspielstudium spielte er in über 120 TV- und Kinoproduktionen. Den Golden Globe bekam der fünffache Vater für die Rolle als emeritierter Professor in Jill Soloways „Transparent“. Die Serie dreht sich um das Leben der Familie Pfefferman: Mort, Exfrau Shelly, drei erwachsene Kinder. Mort ist Professor, Politologe. Das Leben der Familie aus L.A. ändert sich schlagartig, als Mort sich als transsexuell outet und beschließt, als Frau mit dem Namen Maura zu leben. „Transparent“ läuft in deutscher Synchro ab Freitag auf Amazon Prime Video.
Herr Tambor, wie wichtig ist die Rolle des Mort/der Maura für Sie? Es erfordert ja auch Mut, sich so zu zeigen.
Als ich die Rolle angeboten bekam und die Autorin und Produzentin Jill Soloway traf, wusste ich, dass ich das unbedingt spielen musste. Hey, ich bin 70 Jahre alt und andere bekommen ihr ganzes Leben lang nicht so einen Stoff angeboten.
Für mich ist das eine Frage der Identität: Wer bin ich. Wir Männer brauchen ja Zeit, um uns selbst zu erkennen.
Ich war 23, als ich das erste Mal geheiratet habe. Ich wusste damals gar nichts, nicht einmal, wie man einen Scheck ausstellt. Ich glaube, die Grundfrage lautet auch: Wenn ich mein Geschlecht wechsle, werden sie mich immer noch mögen?
Und die Frage, ob Sie sich selbst lieben.
Noch mehr musst du dich finden und die Frage beantworten: Wer bist du? Als 70-Jährige bricht Maura aus in die Freiheit. Ich denke, sie wird ein besserer Elternteil, weil sie authentischer ist. Die Kinder haben natürlich ein Problem, ihr zu folgen. Aber wir sind erst am Anfang der Geschichte. Maura weiß vieles noch nicht, auch, wie man korrekt geht, aber sie ist happy und lernt in der zweiten Staffel dazu.
Was sind die Hauptmerkmale einer männlichen oder weiblichen Identität?
Wir alle haben beide Qualitäten in uns. Die Leute fragen mich, ob ich, um Maura zu spielen, in Berührung mit meiner femininen Seite kommen musste. Ich musste mich dazu jedoch Jeffrey nähern und nicht meiner femininen Seite. Um Maura spielen zu können, musste ich Zugang zu allen Eigenschaften und Charakteristika von Jeffrey finden.
Wie nahe sind Sie sich selber gekommen?
Mein Schauspiel-Lehrer hat gesagt: Wenn du spielst, spielst du so, als hänge dein Leben davon ab. Diese Rolle ist alles, was ich mir immer gewünscht habe. Es gefällt mir, es gefällt den Zuschauern, sie zeigt das ganze Leben. Wenn ich mit Jill an „Transparent“ arbeitete, kamen wir immer wieder an den Punkt, wo wir feststellten: Dieses Projekt ist größer als ich, als wir, so etwas wollte ich immer schon mal erleben. Ich fühlte mich erfüllt am Ende des Tages.
Wie hat Ihre Familie reagiert?
Meine achtjährige Tochter Eve sah mich am Set in Frauenkleidern. Am Ende kam sie zu mir und sagte: Daddy, dein Charakter fühlt sich als Frau einfach besser. Die Kinder verstehen das schneller als die Erwachsenen. Meine 40-jährige älteste Tochter kam auch ans Set. Sie wissen, dass Papa gerne spielt. Sie sind stolz.
In der Serie „Transparent“ haben alle Sex, nur Sie nicht. Ist Sex überschätzt?
Maura wird auch noch Sex haben. Jetzt geht es erst mal darum, ihre Einsamkeit zu überwinden. Sie hat nur einen Freund. Für mich privat ist Sex, Kunst, Musik, alles, was dir Begeisterung gibt, wichtig. Wenn du älter wirst, wird das Gewöhnliche immer wichtiger. Ich liebe es, Menschen zuzuschauen. Ich lese gerade Haruki Murakamis „Kafka am Strand“. Er ist sehr interessiert an Sex, vor allem an dem, den man sich vorstellt. Für mich ist erst die spirituelle Übereinstimmung mit dem Partner wirklich erregend.
Sie waren sechsmal für den Emmy nominiert und haben nie gewonnen. Jetzt haben Sie den Golden Globe für „Transparent“.
Jedes Licht, das auf diese Serie fällt, ist wichtig. Natürlich war ich stolz, als ich den Preis bekam. Ich war überwältigt und brachte keinen Ton heraus. Ich musste mich setzen.
Was hat sich denn in Sachen TV-Serien generell verändert?
Da ist eine Revolution im Gange, mit dem Streaming. Das alte Modell existiert nicht mehr. Die Kids schauen Serien auf dem Weg zum Bus in ihren Smartphones.
Sie haben in „Kojak“ Ihre TV-Karriere begonnen.
Vorher habe ich viel Theater gespielt. Als junger Mann hab’ ich über das Fernsehen verächtlich die Nase gerümpft. Das hat sich gründlich geändert. Ich liebe den Augenblick zwischen Action und Cut.
Seit wann wissen Sie, was Sie wollen?
Seit ich acht bin. Ich ging ins Theater gegenüber, stellte mich auf die Bühne und war erfüllt von Glück. Da wollte ich nie wieder weg.
Sind Sie politisch interessiert?
Natürlich. Ich mag Obama. Er ist ein guter Präsident mit den besten Absichten. Ich würde ihn wieder wählen.
Hatten Sie jemals Existenzängste?
Ich konnte immer viele verschiedene Dinge tun, hatte immer gute Agenten. Ich habe mich aber immer an den Rat meines Vaters, eines Bodenlegers, gehalten: Sei immer du selbst. Dafür gab es mal mehr, mal weniger Geld, aber ich war glücklich.
Jörg Seewald
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