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Charles Aznavour begann auch eine zweite Karriere als Filmschauspieler.
© Arte

Erstes TV-Porträt von Charles Aznavour: Der Chansonnier

Schauspieler, Sänger, Komponist: Das erste TV-Porträt des 90-jährigen Aznavour.

Einmal, da liest er aus seiner Autobiografie vor, listet schonungslos all jene eigenen Fehler und Schwächen auf, unter denen er selbst jahrzehntelang litt, bis er schließlich, nach 27 harten, langen Jahren des Auftretens und Berühmtwerden-Wollens, endlich auch berühmt geworden ist. Vor Jahrzehnten hatte er sich diese Liste auf einen Zettel notiert, den er stets aufbewahrt: „Was sind meine Handicaps? Meine Stimme. Mein kleiner Wuchs. Meine Gesten. Meine geringe Bildung. Meine Offenheit. Meine fehlende Persönlichkeit.“ Heute fügt er hinzu: „Ich glaube, in einem Punkt lag ich falsch. Eine Persönlichkeit, auch wenn ich das nicht wusste, die hatte ich.“ Das mag viel erzählen über den weltweit berühmtesten Chansonnier französisch-armenischer Herkunft. Ein Weltstar. 1,61 Meter klein. Von Edith Piaf 1946 entdeckt. Heute selbst eine lebende Legende, 90 Jahre alt.

Aznavour hatte zunächst nur als Schauspieler Erfolg - erst danach als Sänger

„Ich bin ein Sohn staatenloser Eltern. Nicht einmal ein Sohn von Emigranten. Ein Sohn von Staatenlosen!“ Es zieht sich einem roten Faden gleich durch diese erste Fernseh-Dokumentation überhaupt, die Charles Aznavour zulässt und darin auch mitwirkt: Die Heimatlosigkeit, das Unbehaustsein. Melancholie spiegelt sich stets in den großen, dunklen Augen des Mannes, der am 22. Mai 1924 im Pariser Quartier Latin in armen Verhältnissen geboren wurde. Armenien ist die Heimat der Eltern, eines Künstlerpaares, das das Land einst verließ, um ins gelobte Land, nach Amerika, überzuschiffen. Der Völkermord der Türken an den Armeniern 1915 vertreibt sie. Doch sie kommen nur bis Frankreich. Paris: Aus einer Etappenstation wird die neue Bleibe. Hier gründen die Aznavourians ihre junge Familie. Auch Charles Aznavours Schwester Aïda Aznavour-Garvarentz, die während der Reisen in Thessaloniki zur Welt kam, spricht in der 2013 entstandenen Dokumentation von Marie Drucker und Damien Vercaemer über ihren jüngeren Bruder.

Der Chansonnier beginnt Ende der 1950er Jahre eine andere, eine zweite Karriere – die des Filmschauspielers. 1958 bringt ihn Regisseur Jean-Pierre Mocky dazu und besetzt ihn mehrfach, auch in „Die nach Liebe hungern“ . „Du solltest Filme machen, du siehst aus wie Charlie Chaplin“, erzählt Mocky in der Doku. Das habe er damals zu Aznavour gesagt. Mocky dreht mehrere Filme mit Aznavour, diese Filme wiederum sieht François Truffaut. Einer der nächsten Filme mit Aznavour wird Truffauts „Schießen Sie auf den Pianisten“. Es folgen „Der Zauberberg“ oder Claude Chabrols formidables düsteres Seelen-Drama „Die Phantome des Hutmachers“. Einer seiner letzten Filmauftritte ist in Atom Egoyans „Ararat“ (2002).

Der Schauspieler Aznavour ist erfolgreich, der Sänger Aznavour hingegen ist zu jener Zeit, in den frühen 1960ern, immer noch erfolglos. Dann, mit dem Chanson „Je m’voyais déjà“, verändert sich plötzlich alles, endlich: Es ist der internationale Durchbruch. 27 Jahre des Kämpfens um Anerkennung sind vorbei. Dann kommt Amerika, Japan, die ganze Welt. Nur im eigenen Land, in Frankreich, sei es immer schwer gewesen, sagt er einmal.

Der Rest ist Kulturgeschichte: hundert Millionen verkaufte Alben, tausend Chansons, dutzende Kinofilme. Noch heute singt er, nach einer vorübergehenden Zäsur. „Aznavour“ zeigt viele Ausschnitte, viel Archivmaterial, einige Interviews, darunter auch mit Regisseur Claude Lelouch und Sänger Johnny Hallyday. Für Momente gelingt ein Blick dahinter, auf den scheuen, melancholischen, kritischen Menschen Aznavour. Auf diesen Blick kommt es an.

„Aznavour“, Arte, Sonntag, 22 Uhr 50

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