Medien: Der Blender
„Speer und Er“: Heinrich Breloer enthüllt am Ende, was er von Anfang an weiß
Als Albert Speer zum ersten Mal das Büro von Hitler betritt, putzt der gerade seine Pistole und legt die Mordwaffe auf die Pläne des Architekten: Speer registriert es mit leisem Erschrecken. Bei der zweiten Begegnung auf der Baustelle der Reichskanzlei wird Speers Jacke mit herabtropfender Farbe bekleckert – worauf Hitler ihn in eine Uniform steckt. Die erste, die des Führers Baumeister in „Speer und Er“ trägt. Die Macht nimmt den integren Bürgerssohn in ihren Dienst.
Wenn heute in der ARD die beiden letzten Teile von Heinrich Breloers viel diskutiertem Doku-Drama ausgestrahlt werden, wird der Zuschauer am Ende erfahren, dass es anders war: Dass Speer doch kein Engel war, der in die Hölle geriet, sondern dass er die Hölle mit organisiert und verantwortet hat. Aber der Zuschauer erfährt es eben erst ganz zuletzt. Zuvor raunt es kräftig im Erinnerungsraum. Die Kamera, ein Zeitzeuge, ist immer und überall dabei. Sie schaut den Protagonisten über die Schulter, geht dort in Deckung, inszeniert sich selbst als Zaungast, als blinder Passagier der NS-Geschichte. Sie suggeriert die Nähe eines Komplizen und zugleich das Klandestine eines recherchierenden Detektivs.
„Wir gucken“, sagt Breloer im Film, „durch den Rauch der Schornsteine von Auschwitz auf das Dritte Reich.“ Diesen Rauch inszeniert er mit. Wenn Speer auf dem Gefängnisflur seinen Anklägern gegenübertritt, blinzelt die Kamera gleichsam, Lichtflecke tanzen vor dem Objektiv. Die Trennscheibe, in der sich die Gesichter des Angeklagten und seines Anwalts ineinander schieben, transparentes Zeichenpapier, Zigarettendunst, Äste – immer wieder behindert etwas den Blick. Eine Ästhetik der Spiegelungen, der Projektionen. Breloer setzt den Selbstmythos Speers ins Bild: die Scheinwelt, den Größenwahn, die Verblendung. Die leise wagnernde Musik tut ihr Übriges.
Nebulöse Vergangenheit, Schlaglichter der Geschichte, Nachfragen der Gegenwart: Die seit dem „Todesspiel“ und in den „Manns“ bewährte Technik der Doku-Fiction funktioniert hier besonders gut. Denn der echte Speer spricht kaum in den überlieferten Dokumenten, er tritt dort meist nur als Nebenfigur auf. Da ist es ein Leichtes, seine Authentizität ins Fiktive hinein zu verschieben. (Was bei Hitler unmöglich ist: Anders als Bruno Ganz in „Der Untergang“ gelingt Tobias Moretti über weite Strecken nur die Charge).
Zugleich ermöglicht die Doku-Fiction eine dreifache Perspektive. Wir sehen Speers Welt mit dessen eigenen Augen, sind konfrontiert mit der späteren Vergegenwärtigung der NS-Verbrechen in den Nürnberger Prozessen und nehmen teil an der Wahrnehmung der Nachgeborenen. Das gründliche Möblieren des Geschichtsraums hat etwas Tautologisches. Aber das Smoothing zwischen den Zeitebenen, die hautenge Verzahnung von historischem Dokument, nachgestellter Wirklichkeit und heutiger Beglaubigung beziehungsweise Ungläubigkeit der Kinder und Historiker entspricht präzise unserem Rückblick auf die NS-Zeit 60 Jahre nach ihrem Ende. Wie Speer erkennt Deutschland seine allgemeine Schuld längst an, bloß mit der individuellen ist das immer noch so eine Sache. Auch unser Blick ist verstellt. Erinnerungsschichten haben sich abgelagert, hinzu kommen Fälschung, Verdrängung, Enthüllung, Medialisierung, Historiker-Debatten.
Die Geschichte: eine Montage, ein Vexierbild. Allerdings kurvt die deutsche Öffentlichkeit dabei weniger elegant als Gernot Rolls Kamera durch die eigene Vergangenheit. Sie hat es eher mit den scharfen Kanten eines gesplitterten Spiegels zu tun: Man denke nur an Mahnmals- und Flick-Collection-Streit oder die Auseinandersetzung um Götz Alys Buch über „Hitlers Volksstaat“. Auch „Speer und Er“ leistet sich gelegentlich harte Kontraste. Aber noch die Konfrontation von Weltreichs-Vision und Deportationen, von Reichskanzlei-Pracht und Kriegswinter-Elend bleibt eingebettet in den eleganten Fluss der Bilder.
Breloer, der Verführer. Ein Unbehagen schleicht sich ein. Drei 90-Minuten-Folgen lang staffieren der Regisseur und sein Ko-Autor Horst Königstein Speers Maske vom guten Nazi opulent aus und folgen bis ins Detail dessen Selbstinszenierung. Die Kinder und Experten deuten Zweifel an dieser Maske an. Aber erst in „Die Täuschung“, dem vierten, überwiegend dokumentarischen Teil (der nicht zur Primetime, sondern erst zur Nachtzeit programmiert ist), wird sie Speer effektvoll vom Gesicht gerissen. Die sympathische Seriosität des Hauptdarstellers Sebastian Koch, des Mannes, der einen Schnaps trinkt, nachdem er im KZ Mittelbau-Dora geschundene Sträflinge gesehen hat, der im Spandauer Gefängnisgarten tapfer seine Runden dreht: All das wird zuletzt Lügen gestraft. Albert Speer war kein verführter Künstler, sondern ein Täter, ein Lügner. Aufklärung als raffinierter dramaturgischer Effekt: Man könnte es auch Propaganda nennen.
„Speer und Er“, Teil 3, 20 Uhr 15, ARD, Teil 4, ARD, 23 Uhr
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