Porträt der neuen "Tatort"-Kommissarin: „Das Schießtraining war mir wichtig“
Aylin Tezel spielt im Dortmunder „Tatort“ die junge deutsch-türkische Kommissarin Nora Dalay. Die TV-Ermittlerin ist enorm ehrgeizig, die Schauspielerin interessiert sich hingegen besonders für Musik.
Den erschrockenen Blick spürt sie sofort. Sensibilität gehört bei Schauspielerinnen schließlich zum Handwerkszeug. Aylin Tezel lacht ihr mädchenhaftes, unbekümmertes Lachen und schwenkt fröhlich den über und über tätowierten linken Arm: „Die Tattoos brauche ich für meine nächste Rolle. Die Maskenbildnerin wollte mal sehen, wie lange sich das hält, damit wir es nicht jeden Tag neu schminken müssen.“ Zum Glück sind die ersten beiden „Tatort“-Folgen mit Aylin Tezel als Kommissarin Nora Dalay schon im April abgedreht.
Die schmale Tochter eines türkischen Arztes und einer deutschen Krankenschwester ist mit ihren zwei Geschwistern in Bielefeld aufgewachsen. Ihr gefällt der geradlinige Menschenschlag in der Ruhr-Metropole: „Die Leute sind sehr direkt und nehmen kein Blatt vor den Mund.“ Die Begeisterung der Dortmunder über ihre eigene Stadt und die Tatsache, dass die jetzt sogar ein „Tatort“- Schauplatz ist, findet sie „richtig süß“. Am ersten Drehtag hat es an der Freitreppe gegenüber dem Bahnhof einen regelrechten Menschenauflauf gegeben. Die Leute kamen auch aus den Vororten, wollten Autogramme und erste Eindrücke sammeln. „In Dortmund wird halt nicht so viel gedreht wie in Berlin.“
Im Team der Dortmunder Mordkommission sind Aylin Tezel mit Stefan Konarske, der Kommissar Daniel Kossik spielt, die beiden Youngster. Viel Zeit bleibt ihnen und ihrer Kollegin Martina Bönisch (Anna Schudt) nicht, sich an ihren neuen Chef Peter Faber (Jörg Hartmann) zu gewöhnen. Ihr erster Fall „Alter Ego“ führt sie ins Schwulenmilieu und zu einem Dortmunder Hightech-Unternehmen – der Strukturwandel lässt grüßen.
Zur Vorbereitung auf die neue Rolle gehörte für Aylin Tezel ein Praktikum bei der Polizei. Das hat sie in ihrer Heimatstadt Bielefeld absolviert. Dort durfte sie mit auf Streife fahren, bei Vernehmungen dabei sein, natürlich erst nach Unterzeichnung einer Schweigeverpflichtung, und auch der Spurensicherung konnte sie über die Schulter schauen. „Da habe ich unheimlichen Respekt vor“, sagt sie. Es sei eben was anderes, ob man einen Krimi im Fernsehen sieht oder sich klarmacht, dass es um echte Menschen geht, die nicht mehr am Leben sind. Das Schießtraining war ihr ebenfalls wichtig, weil sie es nicht mag, wenn Details nicht stimmen. Sie wusste vorher nicht, dass man den Finger nicht am Abzug haben darf, sondern daneben, damit man nicht aus Versehen abdrückt, wenn man sich erschreckt. Auch dass man die Waffe nie nach oben, sondern immer nach unten halten muss, war ihr neu.
Aylin Tezel genießt es, „mal eine richtige Erwachsenenrolle zu spielen“, denn Kommissarin Nora Dalay ist sehr tough und zielstrebig. „Die möchte richtig Karriere machen und mit ihrem Privatleben nicht zu viel Zeit verschwenden.“
Sie selber holt sich Kraft aus ihrem Privatleben und verrät nicht viel darüber. Auftritte auf dem roten Teppich gehören zum Schauspielerberuf dazu. „Aber da bin ich nicht Aylin.“ Aylin ist sie, wenn sie mit Freunden beim Stracciatellaeis zusammensitzt. Und ja, sie hat einen Freund, aber mehr will sie dazu nicht sagen. Für eine Familiengründung fühlt sich die 28-Jährige jedenfalls noch „viel zu jung“. Sie lebt in Prenzlauer Berg, aber nicht, weil es immer noch hip ist, sondern weil sie in der Nähe einer ganz bestimmten Tanzschule leben wollte, als sie hierher zog. Tanzen war ihre Leidenschaft seit frühester Jugend. Da wird sie plötzlich ganz poetisch: „Ich mag den Umgang mit Musik, weil man im Tanz versucht, so nah wie möglich an die Musik heranzukommen. Das ist eine echte Herausforderung, denn man kommt nie an sein Ziel.“ In Bielefeld stand sie mit 15 in „Black Rider“ auf der Bühne. Da habe ich mich in den Geruch des Theaters verliebt“, sagt sie. Seitdem will sie Schauspielerin werden. Sie hofft, dass eine „Tatort“-Folge vielleicht auch mal in der Dortmunder Oper spielen wird, aber noch ist das nicht in Sicht.
Türkisch spricht sie selber nicht. „Meine Eltern haben immer gedacht, dass ich das irgendwann schon noch lernen würde.“ Aber dazu ist es bislang nicht gekommen. So wie im Film „Almanya“ wirkt sie durch ihre Persönlichkeit Klischees entgegen. Sie ist gern mal zu Besuch in Istanbul. Und sie findet es toll, wie ihre Eltern zusammenleben. Jeder hat seine eigene Religion und toleriert die des anderen. Als religiösen Menschen sieht sie sich selber nicht. „Ich glaube aber an Werte, daran, dass man mit seinen Mitmenschen gut umgehen soll, und dass jeder Mensch seine Aufgaben hat und sein Potenzial ganz ausschöpfen soll.
Mit „Almanya“, der beim Deutschen Filmpreis und bei der Berlinale gefeiert wurde, hatte sie einen unerwarteten Erfolg. 1,5 Millionen Zuschauer im Kino, das ist richtig viel für einen Film dieser Art. Beim „Tatort“ sind es freilich sechs bis zehn Millionen Zuschauer pro Folge, eine andere Dimension. Sie war völlig überrascht, als sie kürzlich im ICE von Berlin nach Dortmund von einem kleinen Mädchen angesprochen wurde, das offenbar einen Film mit ihr in der Hauptrolle gesehen hat: „Sag mal, bist du Aschenputtel?“ Da hat sie das Mädchen zurück gefragt: „Wie hast du mich denn erkannt?“ Die Antwort rührt sie immer noch: „Ich hab mir die Augen gemerkt.“
Eines hat Dortmund mit ihrer Wahlheimat Berlin gemeinsam: „Es ist eine Stadt , die sich gerade ganz stark verändert, sehr im Umbruch ist.“ Am neu gefluteten Phoenixsee hat sie das so empfunden, wo auf einem ehemaligen Stahlwerksgelände gerade neue Luxuswohnungen entstehen, es aber auch noch einen alten Taubenzüchter gibt. Ein bisschen kann sie sich vorstellen, wie sich die Leute hier fühlen.
Ihre Großeltern mütterlicherseits kommen aus Recklinghausen. „Mein Opa hat auch noch unter Tage gearbeitet“. Und natürlich bekam die neue Kommissarin auch eine exklusive Führung durch das Westfalenstadion, das freilich inzwischen Signal Iduna Stadion heißt. Obwohl sie nicht fußballverrückt ist, hat sie sich dann auch ein Spiel angeschaut, indem der BVB 1:0 gegen Bremen gewonnen hat. Als Schülerin war sie der totale Fan von Borussia Dortmund. „Da hatte ich in meinem Zimmer ein Poster von Kalle Riedle hängen, der sah so toll aus.“
Es ist leicht, sich mit Aylin Tezel zu unterhalten, sie plaudert so unbekümmert drauf los, dass man ihre Lebenslust richtig spürt. Das Studium an der Schauspielschule Ernst Busch hat sie vorzeitig beendet, weil schon früh Rollenangebote kamen. Im Film „Kleine Schiffe“, in dem sie mit Katja Riemann spielt, geht es um eine Früh- und eine Spätgebärende. Dass sie deshalb eine Tätowierung tragen muss, betrachtet sie, wie vieles andere als spannende Erfahrung. „Manche gucken entsetzt, aber die Leute, die selber tätowiert sind, lächeln einen plötzlich an.“
„Tatort: Alter Ego“, ARD, 20 Uhr 15
Elisabeth Binder
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