Der Trophäensammler: Das Rätsel David Lynch
Warum der Träger des Kölner Filmpreises das Fernsehen trotz „Twin Peaks“ nicht wirklich liebt.
David Lynch hat Elizabeth Taylor geküsst. Das war 1987, auf einer dieser Partys nach der Oscar-Verleihung. Lynch erinnert sich genau daran. „Ihre Augen waren veilchenblau“, sagte er am Freitag in Köln langsam und genießerisch. Und dann „diese Lippen – unglaublich“. Den Oscar hat Lynch nie gewonnen, auch 1987 nicht, als er mit „Blue Velvet“ nominiert war. „Aber das ist in Ordnung.“ Hauptsache, er hat seinen Kuss bekommen.
Man muss ihm das nicht glauben, aber man hört ihm gerne zu. Der US-amerikanische Regisseur und Künstler David Lynch hat am Freitagabend den mit 25 000 Euro dotierten Kölner Filmpreis erhalten. Im vergangenen Jahr standen die Veranstalter noch ohne Preisträger da, denn Roman Polanski war gerade in der Schweiz unter Arrest gestellt worden. Diesmal ging alles gut, und Lynch redete auf Einladung der 20. Cologne Conference – dem Festival, bei dem „Twin Peaks“ 1991 erstmals in Deutschland zu sehen war – auch in einem Werkstattgespräch über seine Arbeit. Der Vortragssaal im Museum für Angewandte Kunst war voll besetzt, auch viele junge Leute waren gekommen. „Ein cooler Typ, oder?“, fragte hinterher einer seine Freundin. Das mag David Lynch trösten. „Was Steven Spielberg und George Lucas mögen, mögen Millionen Menschen. Was ich liebe, vielleicht zehn Prozent“, sagte er ohne wirkliches Bedauern. Er sei glücklich, dass niemand wegen seiner Arbeiten Geld verloren habe. Aber auch, dass niemand damit zu viel verdient habe.
Mit seinen rätselhaften Filmträumen, von „Eraserhead“ bis „Mulholland Drive“, hat Lynch sein Publikum fasziniert. Außerdem malt und fotografiert er, und viele Kritiker suchen in dieser grenzüberschreitenden Begabung den Grund für den eigentümlichen Reiz von Filmen wie „Wild at Heart“ und „Lost Highway“. Der 64-Jährige mag es jedoch nicht besonders, wenn seine Werke analysiert werden. Schrecklich sei das, sagte er in Köln. Wenn ein Film fertig sei, sei er ein Film, ein fertiges, komplettes Werk, das nicht entzaubert werden dürfe. David Lynch will selbst ein Rätsel bleiben, und das schafft er mit links. Weder im Kino noch in der Malerei dürfe es Regeln geben, sagte er. „Die Idee ist alles.“ Lynch redete konzentriert und bedächtig, er bewies Humor und verstand es, Pointen zu setzen. Von einer frühen Europa-Reise berichtete er, dass Salzburg die sauberste Stadt sei, in der er jemals gewesen sei. „Mit der Folge, dass ich dort keine Inspiration fand.“
Wenn er etwas betonen wollte, wiederholte er die Adjektive gleich dreimal. „Beautiful, beautiful, beautiful“ ist so einiges, nicht nur Elizabeth Taylor. Beim Sprechen waren die Finger an seiner rechten Hand ständig in Bewegung, sie wanderten auf und ab, als wollten sie jemanden kitzeln oder irgendetwas Unsichtbares abtasten. Von seinem Faible für „Transzendentale Meditation“ oder von seiner „Stiftung für bewusstseinsorientierte Erziehung und Weltfrieden“, die auf dem Berliner Teufelsberg eine Universität gründen wollte, war in Köln nicht die Rede. Wie ein kruder Esoteriker gab sich Lynch nicht, allenfalls wie eine eigenwillige, versponnene Künstler-Type. Das Schreiben einer Geschichte sei so magisch, sagte er. „Du befindest dich in einer Art Traum.“ Und: Es gebe viele Dinge unter der Oberfläche. „Wir können sie spüren.“
Wie in „Twin Peaks“, der Fernsehserie, die ihn mehr noch als seine bekanntesten Kinofilme populär gemacht hat. „Wir wollten nicht wirklich fürs Fernsehen arbeiten, aber es gab eine gewisse Freiheit“, sagte Lynch. Gemeinsam mit Mark Frost schrieb er das Drehbuch um den Mord an der jungen Laura Palmer, die eines Tages, in einer Plastikfolie verpackt, in Twin Peaks gefunden wird. Die Autoren entfalten von Beginn an eine unheimliche Atmosphäre: Die Kleinstadt als mysteriöser Ort, eingebettet in einer engen Landschaft aus Bergen und düsteren Wäldern. Die scheinbar heile Bürgerwelt als Hort von Grausamkeiten, Intrigen und Affären. Ein abgründiger Humor und kauzige Figuren, wie den zu Hilfe gerufenen FBI-Agenten Cooper (Kyle MacLachlan), der pedantisch auf die Spesen achtet und die Ermittlungen fortwährend für seine Sekretärin ins Diktaphon protokolliert.
Der arg strapazierte Begriff Kult geht hier unbeanstandet durch, denn „Twin Peaks“ hat zu Beginn der neunziger Jahre nicht nur das Publikum des amerikanischen Networks ABC und des deutschen Privatsenders RTL gefesselt, sondern die Serien-Landschaft nachhaltig beeinflusst. Die Lust auf Mystery geweckt zu haben, von „Akte X“ bis „Lost“, darf sich Lynch ans Revers heften. Zugleich hat er Maßstäbe im spannungsreichen, seriellen Erzählen gesetzt. „Twin Peaks“ gehört gewissermaßen zum Bildungskanon, wenn man die Geschichte des jungen Mediums Fernsehen Revue passieren lässt.
Lynch führte teilweise Regie („Es war sehr kalt“) und übernahm auch eine kleine Gastrolle als schwerhöriger Chef von Agent Cooper. Nach 30 Folgen war Schluss. „Die Serie starb, als wir gezwungen waren zu verraten, wer Laura Palmer tötete“, sagte Lynch in Köln. Mit dem Medium Fernsehen verbindet er trotz des Erfolgs keine übermäßige Liebe. „Mulholland Drive“ sollte zehn Jahre später eigentlich eine weitere Serie werden, doch da gab es einen „Executive“ des Senders ABC, einen Manager also, der den Pilotfilm „hasste“, wie Lynch berichtete. „Executive“ klang bei ihm tatsächlich nach exekutieren. Schließlich brachte er den Mystery-Thriller als Kinofilm heraus.
Lynch hat sich seine Vielseitigkeit bewahrt. In Polen hat er fotografiert, „tagsüber alte Fabriken, abends nackte Frauen“, in Paris mehr als 100 Lithografien gedruckt. In Deutschland sammelt er nun Preise ein. Von Köln geht es weiter nach Goslar, wo ihm am 9. Oktober der Kaiserring verliehen wird, einer der bedeutendsten Auszeichnungen für bildende Künstler. Und nach neuen Ideen für einen Film suche er auch. „Wollen Sie darüber reden?“, fragt der Moderator in Köln. „Ich habe ja noch keine.“ Eine Idee ist eben alles.
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