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Krimi an der Grenze: Das Monster im Mann

Die Kommissare werden im Hessen-„Tatort“ mit einer Gewaltorgie konfrontiert.

Ruppig, rau und rabenschwarz. Das waren die beiden ersten Fälle des neuen Kommissarteams vom Hessischen Rundfunk. Nina Kunzendorf spielt die etwas prollige, stets ungestüme Conny Mey und Joachim Król gibt den Kommissar Frank Steier, ein analytischer Kopf, gehemmt, ein verkapselter Mann. Die beiden sind ein spannendes, konfliktreich-dynamisches Paar. Nach den Auftaktfolgen durfte man auf den dritten Streich gespannt sein. Bleibt dieses Team so mutig, so anstrengend-anspruchsvoll und so unkonventionell?

Es ist harte Kost, was dem Zuschauer an diesem Sonntag serviert wird. Dieser Fall und Film ist ungemein brutal, die Bilder sind schockierend, der Jugendschutzbeauftragte des Senders dürfte drei Mal überlegt haben, ob er diesen Film für das Hauptabendprogramm freigibt. „Es ist böse“, sagt Steier, das ist sein erster Satz, und er meint damit den Anblick der ermordeten Prostituierten. Die Frau wurde mit einem Messer bearbeitet, Körper und Bett sind mit Blut getränkt. Ein Serienkiller geht um, und diese Frau ist nicht sein letztes Opfer. Und immer wieder führt der Täter einen tiefen „postmortalen Kehlkopfschnitt“ durch. Wir sehen blutbeschmierte Wände, zerschnittene Körper, wir hören ungeheuerliche Tatbeschreibungen, wir werden Zeuge eines fortgesetzten Gemetzels. Warum diese Gewalt? Diese Gewaltbilder? Ist das noch Unterhaltung? Was darf Unterhaltung?

Das sind Fragen, die sich der amerikanische Krimi kaum noch stellt. Dort ist das Böse gesetzt, und in der Welt und in Serien wie „Criminal Minds“ oder der CSI-Familie herrscht das Grauen. Dort muss das Böse nicht erklärt werden, das ist eine kulturelle Differenz, auch wenn der Killer siebzig Frauen ermordet und ihnen die Haut vom Leibe zieht.

Dieser „Tatort“ ist in der Intensität sehr amerikanisch, aber in der Auflösung doch sehr deutsch. Denn die Gewalt hat eine Ursache. Der Täter ist nicht einfach böse, er wurde böse gemacht. Die Kamera nimmt auch seinen Blick und Standort ein und tatsächlich wird so etwas wie Empathie mit dem Täter ins Bild gesetzt. Das ist riskant, aber hier glückt es, weil darüber kein anderes Leid aus den Augen verloren wird.

Bis zur Hälfte des Films operiert der Krimi als Whodunit. Ein Mann, der wahre Lust nur bei Prostituierten findet (Uwe Bohm) ist ein Verdächtiger – und dann ein Reporter, der sich auf krankhafte Weise für Serienkiller interessiert. Doch diese Dramaturgie gibt der Film auf, weil er einen Täter einführt, der an Georg Büchners „Woyzeck“ erinnert. Dieser Typ ist eine geknechtete Kreatur, ein Männlein, stets unterdrückt von Frauen und ihrer Sprach- und Befehlsmacht über ihn.

Die Geschichte, so heißt es, basiere auf einem wahren Fall. Lars Kraume schrieb das Drehbuch nach einer Begebenheit, die der „Tatort“-Analytiker und Kommissar Axel Petermann in seinem Buch „Auf der Spur des Bösen“ schildert. Ungewöhnlich an dieser Erzählweise sind auch die verschiedenen Tempi und Perspektiven. Obwohl der Zuschauer bald weiß, wer der Täter ist, stagnieren die Ermittlungen, laufen sich fest, wir werden auf Nebengleise geführt. Doch das schadet dem Film nicht, weil er dort zeigt, was die Gewalt aus Menschen macht und wie verführbar man selbst für sie ist. So wird Conny Meyer zeitweilig von dem Fall abgezogen, weil sie, traumatisiert von der erlebten Gewalt, einen Tinnitus erleidet. Und als sie bei einem anderen Einsatz einen Mann mit einem veritablen Kung-Fu-Tritt in eine Badewanne befördert, weil er seine Frau brutal misshandelt hat, ahnt man, was für Fantasien in dem Kopf dieser Frau toben.

Alle Figuren, die in diesem Fall agieren, ob Täter, Kommissare oder Verdächtige, sind beschädigt, verwundet, weit entfernt von einer gesunden, harmonisch entwickelten Persönlichkeit. Deshalb inszeniert dieser „Tatort“ Gewalt nicht nur als billiges und reißerisches Genremittel, sondern er arbeitet sich engagiert an dieser Conditio humana ab. Was ist es, das in uns hurt, stiehlt, mordet und lügt? Vielleicht ist es sentimental, im Angesicht des Ungeheuerlichen noch etwas verstehen zu wollen. Vielleicht ist es verschwendete Zeit, die Psyche eines Monsters zu erkunden. Aber wo eine Gesellschaft diesen Anspruch aufgibt, die Gewalt, die in ihr haust, verstehen zu wollen, wird sie selbst monströs. Es gibt keine Monster, es gibt nur Menschen. Weil dieser „Tatort“ solche Fragen stellt, ist er hart und schonungslos. Und das macht ihn auch am Sonntagabend, ganz ohne Schmunzelmomente und Bratwurstbudengemütlichkeit, sehr sehenswert.

„Tatort: Es ist böse“, 20 Uhr 15, ARD

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