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Zwischen TV und Theater: „Das glaubt uns doch kein Mensch“

Ein Interview mit Matthias Brandt über das Glück und das Unglück, ein Schauspieler zu sein.

Herr Brandt, im Oktober sind Sie gleich zwei Mal im Fernsehen zu sehen. Ganz schön fleißig.

Manchmal ist das eben so. Aber da ich nicht für die Programmplanung verantwortlich bin …

... in der letzten Zeit sind Sie überhaupt viel im Fernsehen zu sehen.

Obwohl ich noch gar nicht so lange dabei bin, erfasst mich jetzt auch langsam aber sicher der Wiederholungsmodus. Vielleicht daher Ihr Eindruck. Aber weil ich vom Theater her komme, fällt mir die Taktung nicht besonders auf. Ich bin tägliches Arbeiten gewohnt.

Der Erfolg hat Sie ziemlich spät in Ihrem Leben ereilt.

Im Fernseh-Methusalemalter, würde ich sagen. Im Grunde hab ich erst mit 40 Jahren angefangen zu drehen.

Spätes Glück?

Ich bin jedenfalls nicht unglücklich. Mir geht es schon sehr gut mit dem, was ich mache, meistens jedenfalls. Aber ich hatte nie so etwas wie eine Karriereplanung. Es hat sich einfach so ergeben.

Was ist so anders beim Fernsehen?

Der Grad des Glücks bemisst sich nicht zuletzt daran, was für eine Art Schauspieler man ist. Es ist nicht für jeden etwas, auf der Bühne zu stehen, so wie es für manche eben nichts ist, vor der Kamera zu stehen. Ich habe zwar sehr gerne Theater gespielt, aber mir gefällt die Genauigkeit, mit der mich eine Kamera betrachtet. Ich mag es, dass sie mir so nahe kommt und auch kleinste Dinge erfasst. Dieses merkwürdige Ding, das einem beim Denken zusieht, das ist etwas Außergewöhnliches. Das man mögen muss.

Kann man im Theater unglücklich werden?

Aber total. Der Beruf des Schauspielers hat per se ein großes Unglückspotenzial. Sie sind von so vielen Zufällen abhängig und wissen eigentlich nie, wo es Sie als Nächstes hintreibt. Man kann aber nicht nur auf der Bühne, man kann überall unglücklich werden. Das Schlimmste ist natürlich, nicht gesehen zu werden, also nicht wahrgenommen zu werden als Schauspieler. Ich hatte viele Kollegen, die nie so erkannt wurden, wie sie es verdient hätten. Und die darüber natürlich unglücklich geworden sind.

Keine Sehnsucht zurück nach den Brettern, die die Welt bedeuten sollen?

Ich bin kein Nostalgiker. Die Bühne war nie mein Wohnzimmer, wie sie es für viele meiner Kollegen ist. Ich musste mich immer überwinden, auf die Bühne zu gehen. Trotzdem fühle ich mich dem Theater immer noch sehr verbunden, ich bin irgendwie verwurzelt mit dem Theater.

Ihre erste Station als Theaterschauspieler war Oldenburg, in der Provinz.

Da bin ich gleich nach der Schauspielschule hingegangen und habe in meinem ersten Jahr neun Rollen gespielt: die beste Theaterzeit meines Lebens. Ich war praktisch ohne Unterbrechung auf der Bühne und hatte gar keine Zeit, vor irgendetwas Angst zu haben. Das war ein toller Zustand. Ich habe später an größeren Theatern viele junge Kollegen gesehen, die daran gescheitert sind, sofort unter strengster Erfolgskontrolle zu stehen. Das ist mir erspart geblieben.

Ist das Fernsehen einfach so über Sie gekommen?

Es fing damit an, dass mir eine seltsame Rolle angeboten wurde, nämlich Günter Guillaume zu spielen. Das war meine erste ernsthafte Fernsehrolle. Das hätte auch ganz furchtbar in die Hose gehen können. Dann kam eins zum anderen. Aber ich habe nie so gedacht, jetzt ist das Fernsehen da, jetzt plane ich meine Fernsehkarriere. Das könnte ich gar nicht, ich hätte nicht die Nerven dafür. Und ich wollte es auch nicht. Ich denke nicht gerne strategisch. Das Spekulative raubt mir jeden Spaß an meinem Beruf. Es wäre mein Tod als Schauspieler.

Gibt es im Fernsehen die typische Matthias-Brandt-Rolle? Sie als bürgerlicher Trauerspieler?

Ich hätte nichts dagegen, so bezeichnet zu werden. Mir gefällt die Bezeichnung, auch weil sie so schön altmodisch ist. Es stimmt, in mir schwingt immer auch ein melancholischer Grundton mit. Aber wundern Sie sich nicht, ich kann auch sehr albern sein. Was meiner Lebenstauglichkeit sehr zuträglich ist. Es muss nicht immer Drama oder Trauerspiel sein. Ich hätte nichts dagegen, auch mal in einer Komödie mitzuspielen.

Was halten Sie von der Kennzeichnung: „Der Mann mit den traurigen Augen“? Zu viel Boulevard? Dummes Zeug?

Wenn ich das auch so sehen würde wie Sie, dann wäre das unglaublicher Kitsch. Sie haben die Freiheit, das so sehen. Aber ich würde das selbst nie so sagen. Für einen Schauspieler ist jede Kategorisierung sehr gefährlich. Weil die Gefahr so groß ist, das eigene Klischee bedienen zu wollen. Aber ich würde wegen der „traurigen Augen“ jetzt auch keine gerichtlichen Schritte gegen Sie einleiten.

Wo Sie sind, ist Drama.

Sagen wir Psychodrama. Eine Disziplin, für die ich sehr viel übrig habe. Weil sie die differenziertesten Geschichten liefert. Ich habe großen Spaß daran, Dinge psychologisch genau zu erarbeiten.

Und das Fernsehen engt Sie nicht ein?

Ich bin ja seit Neuestem auch Polizist. Wieder ein neues Metier, wieder etwas Neues für mich. Ich glaube, dass der Sonntagabend in der ARD der letzte Platz für den Experimentalfilm im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist. Was Edgar Selge im Münchner „Polizeiruf 110“ zum Teil abgeliefert hat, das konnte nur auf diesem Platz laufen. Mich reizt das Potenzial, das da schlummert. Mit dem Vehikel des Kriminalfilms kannst du dich in jedes Milieu hineinbewegen. Der Krimi ist eine unglaublich offene Form.

Der erste „Polizeiruf“ mit Ihnen als Kommissar ist abgedreht, jetzt folgt der nächste, im Frühjahr ist ARD-Premiere.

Dieser Kommissar ist meine erste Serienfigur überhaupt. Es hat mich besonders gereizt, eine Figur über eine längere Strecke zu entwickeln. Ich hoffe, dass da noch vieles möglich sein wird.

Verraten Sie uns, warum man Sie und keinen anderen für die Rolle wollte.

Da müssen Sie die fragen, die auf mich gekommen sind. Ich gehe nicht gerne mit Beurteilungen hausieren, die andere über mich abgegeben haben. Da käme ich mir komisch vor. Außerdem war mein Anfang nicht ganz unbelastet. Ich bin der Nachfolger von Jörg Hube, der den Kommissar spielen sollte und dann leider sehr krank wurde und starb.

Gibt es so etwas wie das reine Schauspiel oder die reine Kunst?

Zumindest ist es genau das, wonach ich mich sehne und worum ich mich bemühe. Wenn es nur um Effekt ginge, dann würde mir mein Beruf keinen Spaß machen. So simpel ist das.

Warum haben Sie nicht bei Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ mitgespielt?

Er hat mich nicht gefragt. Obwohl ich gerade Zeit hatte.

Sie hätten jetzt einen Oscar.

Mit Christoph Waltz habe ich noch vor zwei Jahren bei Dreharbeiten einen Wohnwagen geteilt. Der Kollege war damals ziemlich unglücklich darüber, was das deutsche Fernsehen mit ihm anfangen oder besser: nicht anfangen konnte. Dass er jetzt den Oscar bekommen hat, finde ich großartig und die ganze Geschichte drumherum einfach unglaublich. Wenn einem jemand diese Geschichte als Drehbuch angeboten hätte, dann hätte jeder gesagt, also hör mal, da müssen wir aber noch mal kräftig ran, so glaubt uns das doch kein Mensch.

Sind Sie nicht neidisch?

Überhaupt nicht. Neidisch wäre ich vielleicht, wenn ich glauben würde, ich hätte die Rolle besser gespielt. Aber das geht ja gar nicht.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

Matthias Brandt wurde am 7. September 1961 als jüngster von drei Söhnen des damaligen Regierenden Bürgermeisters von Berlin und späteren Bundeskanzlers Willy Brandt und dessen Frau Rut in Berlin geboren. Nach dem Abitur studierte Matthias Brandt Schauspiel in Hannover. Beginnend in Oldenburg folgte eine Reihe von Engagements, so an den Bühnen in München, Zürich und Bochum. Aus kleineren TV-Rollen erwuchs eine Fernsehkarriere, stark befördert durch die Entscheidung von Matthias Brandt, in dem Politdrama „Im Schatten der Macht“ 2003 den DDR-Spion Günter Guillaume zu spielen, den Mann, der 1974 seinen Vater Willy Brandt zu Fall gebracht hatte. Für die Fernsehfilme „Arnies Welt“ (2005) und „Die zweite Frau“ (2008) bekam Brandt Adolf- Grimme-Preise.

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