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Sie senden, also sind sie? Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss darauf achten, dass seine Programme die Zuschauer, Hörer und Onliner auch erreichen.
© Kitty Kleist-Heinrich

Herausforderungen für öffentlich-rechtliche Sender: Das Ende der Zukunftssimulation

Lineare Inhalte sind für ARD & Co. wichtig – technologische Innovationen wichtiger

Wir werden gerade Zeitzeugen einer technologiegetriebenen Beschleunigung, die unsere Gesellschaft fundamental verändern wird. Biblische Datenmengen, hyperpotente Algorithmen, gepaart mit künstlicher Intelligenz, werden in Zukunft unser Leben in der digitalen Demokratie prägen. Das, was wir lange Öffentlichkeit nannten, verändern Plattformen wie YouTube oder Facebook bereits heute radikal.
Wenn wir in dieser digitalen Welt gesicherte Information und ihre Verbreitung weiterhin als systemrelevant für die Demokratie betrachten, landen wir direkt bei den Schlüsselfragen rund um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Was ist seine Aufgabe? Wie müssten die Organisationen strukturiert sein, die diese Aufgabe erfüllen? Und was muss die Medienpolitik auf dem Weg in die digitale Zukunft leisten?

Technologie und Demokratie

In der asymmetrische Auseinandersetzung mit Global Playern wie Google, Facebook oder Amazon verlieren die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten immer schneller den Anschluss. Das Publikum wandert in Netzwerke und zu Streamingdiensten ab, die ihre millionenfachen Kundenbeziehungen nutzen, um Angebote rasant zu optimieren und Oligopole aufzubauen. Das hat drei Gründe und eine dramatische Konsequenz: Erstens sind die Investitionen von ARD und ZDF in technologische Innovationen viel zu gering, zweitens verwandeln die Rundfunkanbieter ihre noch große Reichweite nicht in nutzbare „Kundenbeziehungen“ und drittens verfügen die Rundfunkanstalten nicht über die Organisationsform, in der schnelles innovatives Denken und Entwickeln zu innovativen Strukturen oder Produkten führt. Das könnte am Ende binnen weniger Jahre zu einer Irrelevanz der öffentlich-rechtlichen Medien führen – und damit zu einer Medienwelt, in der der Kampf um Aufmerksamkeit alles, die gesellschaftliche Relevanz der Information aber unbedeutend ist.

Markus Heidmeier ist Medienproduzent, Strategieberater, Dozent an der TU-Dresden und Co-Gründer der Produktionsfirma KOOPERATIVE BERLIN, die zuletzt für die funk-Dokumentation „Lösch Dich“ über den organisierten Hass in sozialen Netzwerken mit dem Otto-Brenner-Preis und dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet wurde. Er gehört u.a. zu den Initiatoren des Offenen Briefs mit den Zehn Thesen zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien an die Ministerpräsidenten im Jahr 2017.  
Markus Heidmeier ist Medienproduzent, Strategieberater, Dozent an der TU-Dresden und Co-Gründer der Produktionsfirma KOOPERATIVE BERLIN, die zuletzt für die funk-Dokumentation „Lösch Dich“ über den organisierten Hass in sozialen Netzwerken mit dem Otto-Brenner-Preis und dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet wurde. Er gehört u.a. zu den Initiatoren des Offenen Briefs mit den Zehn Thesen zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien an die Ministerpräsidenten im Jahr 2017.  
© promo

Laut KEF-Bericht investieren ARD und ZDF alljährlich hundert Mal mehr Geld in Inhalte als in technologische Innovationen. So können die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in einer Welt, in der Amazon, Facebook und Google allein im Jahr 2017 über dreißig Milliarden Dollar ausschließlich in Innovationen und Entwicklungen investierten, nicht mithalten.
Dabei ist der Handlungsdruck immens. „Wir werden in fünf bis zehn Jahren das lineare Programm primär als Schaufenster nutzen für das, was dann non-linear abgerufen wird“, prognostizierte SWR-Intendant Peter Boudgoust kürzlich für die digitale Zukunft von ARD und ZDF. Während für alle Zuschauer unter dreißig und viele unter vierzig diese non-lineare Zukunft schon längst Gegenwart sein dürfte.
Doch die Organisationsstrukturen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind seit Jahrzehnten auf das genaue Gegenteil ausgelegt: den Dauerbetrieb linearer Programme.

Onlinezoo voller digitaler Lebensformen

Natürlich gibt es auch in der öffentlich-rechtlichen Wirklichkeit innovative Angebote. Aber haben Sie mal versucht, alle Apps oder Mediatheken von ARD und ZDF zu zählen? Hunderte digitale Lebensformen bevölkern mittlerweile einen ganzen Onlinezoo. Jede Anstalt betreibt in diesem Zoo ein eigenes Gehege. Hinzu kommen die Großprojekte DVB-T2 und DAB+, die den berechtigten Wunsch nach technologischer Souveränität artikulieren. Aber glaubt tatsächlich jemand, dass diese Technologie des linearen Zeitalters die öffentliche Kommunikation im digitalen Zeitalter sicherstellen kann? Das ist eine der teuersten Innovationssimulationen der Gegenwart. Echte Innovation aber kann man nicht per App shoppen, echte Innovation können nur innovative Organisationen leisten.

Eine Organisation mit zwei Betriebssystemen

Diese Herausforderung stellt die Anstalten vor eine kaum lösbare Aufgabe. Öffentlich-rechtliche Rundfunkanbieter sind klassische Linienorganisationen mit Silostrukturen und vertikalen Zuständigkeiten. Erfunden, um den Betrieb von linearen Programmen aufgrund staatsvertraglicher Verpflichtungen aufrechtzuerhalten. Um aber den Sprung in die digitale Zukunft zu schaffen, müssten sich diese Organisationen ein zweites Betriebssystem geben, indem quer zur Linienstruktur neue Teams, neues Denken und neue Produktionsmodelle entstehen. Dieser Spagat wird den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zerreißen, wenn die Medienpolitik ihn nicht zu fundmentalen Veränderungen zwingt: Die Konzentration auf die strukturelle Weiterentwicklung der Organisationen hin zu digitalen Medienorganisationen die ihre Kräfte bündeln, um eine gemeinsame digitale Produktion und vor allem eine gemeinsame digitale Verbreitung zu organisieren. Die verbleibende Zeit für diesen Wandel ist kurz, Medienpolitik und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten aber sind langsam. Hier die Medienpolitik, die alle großen Entscheidungen über die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen mit 16 zu null Stimmen der verantwortlichen Bundesländer fällen muss. Dort die Rundfunkanstalten, die in den Bundesländern als Landesrundfunkanstalten verankert sind. Das heißt nichts anderes, als dass jedes Bundesland nachvollziehbare eigene Interessen hat.

Programm, Plattform und Projekte

Doch wie könnte die Aufgabe gelöst werden? Die Zeit der kleinen Lösungen jedenfalls ist abgelaufen. Wir brauchen dringend größere Visionen. Entlang des Dreiklangs Programm, Produktion, Plattform und Projekte sollten wir den Sprung ins 21. Jahrhundert zu wagen, um aus öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine Strukturöffentlicher Medien und öffentlich organisierter Verbreitung zu entwickeln. Programm steht für eine begrenzte Fortführung der linearen Radio- und TV-Angebote durch die heutigen Anbieter – allerdings bei Kürzung der Mittel und Reduzierung der Programme. Dieses Modell dient zur behutsamen, aber weitgehenden Abwicklung auf einer Zeitachse bis 2030. Am Schluss verbleiben wenige lineare Programme. Produktion steht für ein neuartiges Redaktions- und Produktionszentrum, dass die frei werdenden Mittel aus den auslaufenden Programmen erhält. Hier verdichten sich die vorhandenen journalistischen Fähigkeiten und werden in neuen Teams aus Redaktion, Technologie und Vermarktung digital weiterentwickelt. Gleichzeitig nutzen die dortigen Redaktionen öffentliche Ausschreibungen um die Potentiale der Kreativwirtschaft zu nutzen. Die bisherigen Anstalten könnten Trägerinnen dieser neuen Organisation sein.

Kein Imitat von Facebook

Plattform und Projekte steht für die Bündelung der digitalen Angebote zu einer konkurrenzfähigen digitalen Distribution. Der Begriff Plattform ist dabei aber nicht als Imitation von Facebook oder YouTube zu verstehen. Plattform ist hier eher eine öffentlich-rechtliche Infrastruktur, ein öffentliches Ökosystem, das vorhandene Reichweiten von vorhandenen Angeboten nutzt und in datenbasierte Kundenbeziehungen verwandelt, so dass auf allen Kanälen öffentliche und öffentlich-rechtliche Inhalte verfügbar sind. In eine derartige öffentliche digitale Distribution könnten perspektivisch übrigens auch Partner aus der Non-Profit-Welt, den Museen und öffentlichen Einrichtungen oder sogar Verlagen einsteigen. Projekte steht für die fortlaufende Suche nach neuen technologische Lösungen. Hier betreiben die Öffentlich-Rechtlichen Forschung und Entwicklung.
Natürlich dauert ein Entwicklungsprozess dieser Größenordnung zehn Jahre oder länger. Natürlich wird es massive Auseinandersetzungen über die Steuerung dieses Prozesses geben. Aber gerade deswegen muss jetzt darüber nachgedacht werden. Noch kann aus linearer Reichweite eine öffentliche digitale Verbreitung entstehen, die nicht von US-amerikanischen Plattformen abhängig ist. Aber die Zeit wird knapp. Das ist das Wesen von Beschleunigung. Sie nimmt zu.

Markus Heidmeier ist Medienproduzent, Strategieberater, Dozent an der TU-Dresden und Co-Gründer der Produktionsfirma KOOPERATIVE BERLIN, die zuletzt für die funk-Dokumentation „Lösch Dich“ über den organisierten Hass in sozialen Netzwerken mit dem Otto-Brenner-Preis und dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet wurde. Er gehört zu den Initiatoren des Offenen Briefs mit den Zehn Thesen zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien an die Ministerpräsidenten im Jahr 2017.  

Bisherige Beiträge in der Reihe „Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks": Patricia Schlesinger (15. April), Hans Demmel (25. April), Christoph Palmer (7. Mai), Rainer Robra (11. Mai), Norbert Schneider (21. Mai), Tabea Rößner (25. Mai), Thomas Bellut (10. Juni), Frauke Gerlach (22. Juni), Ulrich Wilhelm (5. August), Heike Raab (2. September), Hans-Günter Henneke (15. September), Christine Horz (20. Januar), Siegfried Schneider (20. Februar), Ronald Gläser (3. März)

Markus Heidmeier

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