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Doku-Drama zu München 72: Das Ende der heiteren Spiele

Die Welt freut sich auf Olympia ’72 in München. Doch plötzlich entwickelt sich der Traum zum Terror. Die ARD erzählt in einem Doku-Drama von dem Attentat und kann dank der Zeitzeugen eigene Akzente setzen.

Die Polizisten trugen Himmelblau und keine Waffen, das Olympische Dorf war noch kein Hochsicherheitstrakt. Kamen die Athleten verspätet abends zurück, kletterten sie einfach über den Zaun. „Die Stimmung war wunderbar“, sagt Esther Roth, eine Leichtathletin aus Israel, über die Sommerspiele von 1972 in München. Die Sprinterin schien das zu beflügeln, sie erreichte das Halbfinale über 100 Meter Hürden, doch in der Nacht vor dem Rennen überfiel ein palästinensisches Terrorkommando das Männerquartier der israelischen Olympiamannschaft. Unter den Geiseln war auch Roths Trainer Amizur Shapira.

Wenige Tage vor dem Beginn der Spiele in London erinnert die ARD mit dem Dokudrama „Vom Traum zum Terror – München 72“ an die Ereignisse vor 40 Jahren. Neuland ist das Thema nicht gerade, noch im März zeigte das ZDF die Teamworx-Produktion „München 72 – Das Attentat“, bei dem der Anteil der Spielszenen deutlich höher war. Zwar erzählen beide Filme im Kern dieselbe Geschichte: Wie der Terror-Schock über die „heiteren Spiele“ kam. Wie schlecht vorbereitet das Deutschland der siebziger Jahre auf solche Anschläge war. Und wie eine Kette von Fehlern zu dem schrecklichen Blutbad auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck führte. Doch jeder Film erzählt auch ein bisschen seine eigene Wahrheit. In der ZDF-Version spielte Bernadette Heerwagen die tragende Rolle einer jungen Polizistin, die damals als Botin und Übersetzerin in den Verhandlungen mit den Geiselnehmern fungierte. Garniert wurde ihre Rolle mit einer kleinen, wenn auch erfundenen Liebesgeschichte.

Bei der ARD-Version taucht diese Randfigur der Ereignisse gar nicht erst auf, was vermutlich seriöser ist. Dafür sind die Spielszenen hier weit davon entfernt, eine eigene erzählerische Kraft zu entfalten. Für das gemeinsam mit Spiegel TV und dem Red-Bull-Sender Servus TV finanzierte Projekt hat man sich zwar einige bekannte Gesichter geleistet: Etwa Peter Lohmeyer als Walther Tröger, damals der Bürgermeister des Olympischen Dorfs, oder Michael Brandner als Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher. Doch viel mehr als ein schlecht sitzendes Toupet (Lohmeyer), sorgenvolle Mienen und steife Dialogsätze – Genscher zu seinem Chauffeur: „Wundern Sie sich nicht, wenn dort viel Polizei ist, im Dorf ist etwas Furchtbares im Gange“ – haben ihre kurzen Auftritte nicht zu bieten.

Vielleicht weil mit Spiegel-TV-Chefredakteur Marc Brasse und Florian Huber zwei ausgewiesene Dokumentaristen für Buch und Regie zuständig waren. „München ist der erste Terroranschlag vor laufenden Kameras“, texten sie im Film. Archivbilder gibt es satt, dennoch inszenieren Brasse und Huber häufig noch einmal das, was man ohnehin sieht und hört. Zum Beispiel die Scharfschützen, die, grotesk mit bunten Trainingsanzügen und Stahlhelm „getarnt“, damals live im Fernsehen auf den Dächern in Stellung gingen. Dieselbe Szene wird mit Schauspielern wiederholt. Und wieso lässt man Genscher-Darsteller Brandner in ein Auto steigen und überflüssige Sätze aufsagen, wenn man den „echten“ Genscher selbst vor die Kamera bekommen hat? „Das war der schrecklichste Tag meiner langen Amtszeit als Mitglied der Bundesregierung“, sagt der 85-jährige FDP-Politiker über den 6. September 1972, als die deutschen Sicherheitsbehörden einräumen mussten, dass ihre Befreiungsaktion zum Tod aller neun Geiseln, eines Polizisten und fünf der acht Terroristen geführt hatte. Über die Seite der palästinensischen Täter erfährt man hier fast nichts. Unergiebig auch die Darstellung über die Kontakte zur israelischen Regierung.

Dennoch kann der ARD-Film dank der Zeitzeugen und einiger noch nicht gezeigter Bilder – zum Beispiel den Filmaufnahmen von der israelischen Olympiamannschaft – Akzente setzen. Neben Genscher und Tröger stehen mit dem Hubschrauberpiloten Bechler und dem Leiter der Polizei-Einsatztruppe, Heinz Hohensinn, zwei direkt Beteiligte vor der Kamera. „Dieser Einsatz war einige Nummern zu groß“, sagt Hohensinn gleich mehrfach. „Wir kamen uns vor wie Bergsteiger in Badehose und Sandalen im Himalaya-Gebirge.“

Weniger bekannt ist auch die Perspektive von Esther Roth und den übrigen israelischen Sportlern, die nach der Geiselnahme zur Sicherheit in eine Notunterkunft verlegt wurden. Deutschlands Leichtathletikidol Heide Rosendahl war mit Roth befreundet und besuchte sie dort. Auch diese Begegnung wird mit Stephanie Stumph und Christina Hecke in den Rollen der beiden Athletinnen, aber ohne Dialoge und leider auch ohne nennenswerte Idee inszeniert. „Die waren voll wütend und kampfbereit“, erinnert sich Rosendahl.

Der Wunsch, selbst mit Waffen um das Leben ihrer Teamkollegen zu kämpfen, habe sie beeindruckt, aber auch befremdet, sagt Rosendahl. Am Ende reiste Esther Roth mit den übrigen Israelis – und mit den Särgen der toten Geiseln – in ihre Heimat zurück. Die unterbrochenen Spiele wurden fortgesetzt, auch das Halbfinale über 100 Meter Hürden fand statt, allerdings ohne Esther Roth.

„Vom Traum zum Terror – München ‘72“; ARD, 22. Juli 2012, 21.45 Uhr

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