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"Spiegel"-Reporter Christoph Reuter
© Horst Galuschka/Imago

"Spiegel"-Reporter ausgewiesen: Christoph Reuter: Die Türkei war früher klüger

Wegen eines illegalen Grenzübertritts nach Syrien ist "Spiegel"-Reporter Christoph Reuter in der Türkei inhaftiert und nach Deutschland ausgewiesen worden. Im Interview spricht er über drohende Konsequenzen für die Berichterstattung aus dem Bürgerkriegsland.

Herr Reuter, Sie sind „Spiegel“-Reporter im arabischen Raum. Vergangene Woche hat sie die Türkei nach einem illegalen Grenzübertritt nach Syrien ausgewiesen. Was genau ist passiert?

Alle Grenzübergänge von der Türkei nach Syrien sind seit längerer Zeit geschlossen. Wir sind deshalb über die grüne Grenze nach Syrien gegangen, weil wir dringend eine Geschichte in Aleppo recherchieren wollten. Wir wollten dann auf einem solchen Weg zurück, so wie wir und andere Kollegen das in den letzten Jahren öfter gemacht haben. Dann war aber der letzte noch gangbare Weg kontrolliert von der Nusra-Front, mithin von Al Qaida. Das hätte für uns das Entführungsrisiko zu groß werden lassen.

Wie haben Sie sich dann entschieden?

Wir sind dann zur türkischen Grenzpolizei gegangen in Bab al-Salama, das ist der große Grenzübergang nördlich von Aleppo. Wir haben gesagt: Tut uns furchtbar leid, wir sind ohne Ausreisestempel wieder ausgereist und würden gern ganz legal wieder zurückkommen. Wir zahlten dann das für solche Fälle vorgesehene Bußgeld.

Wie hoch ist das?

Das waren für zwei Leute umgerechnet 1400 Dollar. Es gibt - türkische Bürokratie - einen 25prozentigen Rabatt für Sofortzahler. Es gab auch eine Quittung. Wir dachten, dann ist das damit erledigt und abgegolten. War es aber nicht. Es hieß, man müsse mich doch da behalten und den Vorfall mit Ankara klären. Offensichtlich gibt es eine neue politische Linie. Binnen weniger Tage wurden außer mir auch andere Journalisten, darunter ein weiterer Deutscher, ein Amerikaner und ein Brasilianer verhaftet. Zugleich gingen die türkischen Behörden an die Öffentlichkeit, was sie vorher nie getan hatten.

Wie wurden Sie im Gefängnis behandelt?

Es war weitgehend okay. Es gab sogar ein Frühstück. Und ich wurde zwei mal von einem Amtsarzt daraufhin untersucht, ob ich während meiner eskortierten Ausreise geschlagen oder gefoltert worden bin. Sie wollten sichergehen, dass dokumentiert ist, dass dem nicht so war.

Die Türkei kündigte eine Einreisesperre gegen Sie und auch die anderen Journalisten an. Wie ernst ist das zu nehmen?

Wir hoffen, dass sie das nicht umsetzen. Das wäre äußerst misslich. Die Türkei war das letzte Land, von dem aus man noch relativ leicht in die Gebiete kam, die nicht vom Islamischen Staat, der Nusra-Front oder der Hisbollah kontrolliert wurden. Oder, anders gesagt, in die letzten Gebiete, die noch von Syrern kontrolliert werden, und nicht von schiitischen Ausländern oder sunnitischen Dschihadisten. Insofern ist die Türkei für die Berichterstattung über Syrien extrem wichtiges Land.

Ist das eine Form eine Zensur?

Ja, ist es. Wobei das in meinem Fall besonders überraschend ist. Dass es Probleme gibt, wenn Kollegen mit Hilfe der PKK in die kurdische Stadt Kobane reisen, ist noch nachvollziehbar, das passt ins Freund-Feind-Schema der Türken. Gerade in Aleppo ist ja gut zu beobachten, wie Assad sein Volk umbringt. Und so sieht das die türkische Regierung ja auch. 

Was kann Ankara tun, um eine unabhängige Berichterstattung von Journalisten in Syrien zu erleichtern? Will die türkische Regierung das überhaupt?

Die Frage ist immer, welches Syrien. Wenn es um Kurden geht, haben sie kein großes Interesse. Wenn es die westlichen Gebiete, gab es bislang das eigentlich gut funktionierende Procedere, dass man bei der Grenzpolizei anzeigte, dass man auf eigene Gefahr nach Syrien geht. Das war so eine Art Haftungsausschlusserklärung, ähnlich wie wenn man sich embedded bei den amerikanischen Truppen in Afghanistan oder im Irak. Dann verlangten sie einen gültigen Presseausweis, gelegentlich noch ein Anschreiben der Redaktion. Dann durfte man rein nach Syrien, selbst wenn die Grenze ansonsten für Ausländer geschlossen war. Eine Berichterstattung aus Syrien ist darauf angewiesen, dass man dort noch hingeht, wo man hingehen kann. Das wäre in der Tat eine kollaterale Zensur, wenn die Türkei es komplett unmöglich machen würde, über ihre Grenze zu gehen. In den vergangenen Jahren war sie da klüger.

Christoph Reuter (47) ist "Spiegel"-Reporter. Er gehört zu den letzten westlichen Journalisten, die noch direkt aus Syrien berichten. Gerade erschienen ist sein Buch "Die schwarze Macht" über den "Islamischen Staat". Das Gespräch führte Matthias Meisner. 

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