Paparazzi-Urteile: Caroline und kein Ende
Die jüngsten Urteile zu Paparazzi-Fotos machen die Arbeit von Journalisten und Juristen keineswegs einfacher.
Allein in den vergangenen zwei Wochen sind drei neue Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Frage der Abbildung von Prominenten ergangen, die einige Fragen offen lassen. So entschied das höchste deutsche Zivilgericht, dass Abbildungen von Heide Simonis, die sie nach ihrem Rücktritt als schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin beim Einkaufen zeigen, zulässig sind, Abbildungen der Moderatorin Sabine Christiansen hingegen beim Einkaufen auf Mallorca unzulässig. Caroline von Monaco wiederum verlor ihren Prozess, in welchem sie ein Foto verbieten wollte, welches sie im Urlaub auf belebter Straße zeigte. Das Foto war im Zusammenhang mit einem Artikel über die Vermietung einer Ferienvilla des Ehemanns von Caroline von Monaco auf einer Insel vor Kenia veröffentlicht worden. Schon im letzten Jahr hatte der BGH ähnlich widersprüchlich entschieden und Fotos von Oliver Kahn, die ihm beim Spaziergang auf einer Promenade in St. Tropez zeigen, oder Fotos von der Lebensgefährtin von Herbert Grönemeyer bei einem Spaziergang mit dem Sänger in Rom verboten, gleichzeitig aber Fotos von Caroline von Monaco aus ihrem Skiurlaub in St. Moritz im Rahmen eines Berichts über die Erkrankung ihres Vaters zugelassen. Wie kommt es dazu, dass der BGH aktuell mal Urlaubsfotos zulässt und sie mal verbietet? Dürfen Prominente nun in ihrem privaten Alltag, etwa beim Spaziergang, beim Einkaufen oder im Urlaub abgebildet werden oder nicht?
Bis zum Jahre 2004, in welchem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) über die Rechtsprechung in Deutschland zur Bildberichterstattung über Prominente zu entscheiden hatte, war eigentlich das meiste geklärt. Seit jeher war es unzulässig, auch sogenannte Personen der Zeitgeschichte in ihrem privaten Lebensraum abzubilden, konkret also auf Privatgrundstücken, in den eigenen vier Wänden oder auch an Privatstränden von Hotels, wenn diese nicht eingewilligt hatten. Zulässig war es dagegen ebenso seit jeher, sie dann zu zeigen, wenn sie öffentlich auftraten. Zudem entschied das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1999, wiederum in einem Caroline von Monaco-Urteil, dass es Prominente aufgrund ihrer Leitbildfunktion dulden müssten, dass man sie beim Einkaufen, Radfahren oder Reiten abbildet.
Genau gegen diese Auffassung wandte sich Prinzessin Caroline von Monaco in ihrer Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Sie trug sinngemäß vor, dass sie aufgrund der beschriebenen Rechtslage in Deutschland durch die hierdurch ausgelösten Belagerungszustände, bzw. Hetzjagden von Fotografen in ihrer Lebensqualität stark eingeschränkt würde.
In der Tat befand der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass die Auffassung der deutschen Gerichte, wonach Aufnahmen von Prominenten beim Einkaufen oder bloßem Spaziergang auf öffentlicher Straße zulässig sind, eine Verletzung der nach Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention geschützten Privatsphäre darstellt. Bei der Abwägung zwischen dem Schutz der Privatsphäre und der Freiheit der Meinungsäußerung müsse vielmehr nach Auffassung des EGMR geprüft werden, ob die jeweilige Fotoaufnahme zu einer Diskussion über eine Frage von allgemeinem Interesse beitrage oder nicht. Dabei unterschied der Straßburger Gerichtshof zwischen Politikern und sonstigen Prominenten. Im ersteren Fall spiele die Presse eine wesentliche Rolle als „Wachhund“. Insofern seien auch hier mehr Bildaufnahmen zulässig. Bei der Berichterstattung über das Privatleben von sonstigen Personen, die keine öffentlichen Ämter bekleiden, treffe dies indes nicht zu. Bei derartigen Prominenten, so der Gerichtshof, habe die Öffentlichkeit kein legitimes Interesse daran zu erfahren, wo die Person, auch wenn sie eine bekannte Persönlichkeit ist, sich aufhält und wie sie sich allgemein in ihrem Privatleben verhält, selbst wenn sie sich an Orte begibt, die nicht als abgeschieden bezeichnet werden können.
Da die Bundesrepublik Deutschland Mitglied der Europäischen Menschenrechtskonvention ist, durfte die Entscheidung aus Straßburg in Zukunft nicht unberücksichtigt bei der Rechtsprechung in Deutschland bleiben. Insoweit war auch der Bundesgerichtshof aufgefordert, die alte Rechtsprechung zu überprüfen. Das Ergebnis sind die eingangs erwähnten Entscheidungen Olli Kahn, Grönemeyer, Caroline von Monaco, Simonis und Christiansen. Mit ihnen wird aber auch deutlich, wie schwierig es auch aus Sicht des Bundesgerichtshofs ist, die Vorgaben aus Straßburg bei der künftigen Rechtsprechung in Deutschland zu berücksichtigen. Dabei ist es falsch, dem BGH hier in Gänze einen Schlingerkurs zu unterstellen. So lässt sich nämlich aus den Urteilen zumindest der Rechtssatz entnehmen, dass die Abbildung vom privaten Alltag Prominenter in der Öffentlichkeit, ohne dass hiermit zusätzliche Informationen mitgeteilt werden, auch in Deutschland in Zukunft unzulässig sein wird. Das heißt, dass der bloße Spaziergang eines Popstars oder Fußballspielers, insbesondere im Urlaub, nicht mehr Gegenstand von Bildberichterstattung sein darf. Anderes gilt hingegen bei Politikern, insbesondere wenn die Bildberichterstattung auf das öffentliche Amt Bezug nimmt, wie etwa die Bilder, die Heide Simonis in zeitlicher Nähe nach ihrem Rücktritt beim Einkaufen zeigen. Damit folgt aber der BGH konsequent den Vorgaben aus Straßburg, wonach Politiker mehr hinnehmen müssen als „normale“ Prominente. Bei letzteren müssen in Zukunft zusätzliche Umstände hinzukommen, wenn Fotos aus dem Urlaub, beim Spazierengehen oder Einkaufen, zulässig sein sollen. Erst an diesem Punkt sind die Urteile aus Karlsruhe für die Praxis nur schwer umsetzbar. So sah der BGH grundsätzlich Bilder von Caroline von Monaco und ihrem Ehemann im Winterurlaub für sich genommen als unzulässig an, erachtete sie jedoch dann ausnahmsweise für rechtmäßig, wenn in der parallelen Wortberichterstattung auf die Erkrankung des Vaters der Prinzessin, der sich in Monaco aufhielt, Bezug genommen wird. Noch weiter ging der BGH in der letzten Woche in dem Urteil, in welchem er Fotografien der Prinzessin und ihres Ehemannes aus dem Urlaub für rechtmäßig hält, wenn sie in einem Artikel über die Vermietung einer Ferienvilla durch Prinz Ernst August erscheinen. Dies hatte der Bundesgerichtshof zwar zunächst noch anders gesehen, wurde dann aber durch das Bundesverfassungsgericht auch in diesem Jahr dazu aufgefordert, diesen Fall noch einmal neu zu überprüfen, da der Bericht über die Vermietung der Ferienvilla an Dritte „Anlass für sozialkritische Überlegungen der Leser sein“ könnte. Dem folgte der BGH in seinem Urteil aus der vergangenen Woche.
Und hier beginnt das Dilemma für diejenigen, die in Zukunft entscheiden müssen, ob eine Veröffentlichung zulässig ist oder nicht, konkret die Verlagsjustitiare und Presseanwälte. Zwar ist klar, dass die bloße Abbildung von privatem Alltag in Zukunft unzulässig ist. Unter welchen zusätzlichen Bedingungen derartige Fotos jedoch in welchem Kontext in Zukunft rechtmäßig werden, ist nach den jüngsten Entscheidungen schwer zu sagen. So ließen sich zahlreiche Bildunterschriften denken, die einen Paparazzi-Abschuss eines Stars, welche für sich genommen nicht gezeigt werden dürfte, zulässig erscheinen lassen. Als Beispiel kann hier der Moderator gelten, der beim Einkaufen auf dem Wochenmarkt gezeigt wird, während er Biofleisch kauft mit der Bildunterschrift „Auch Prominente achten auf gesunde Ernährung“. Mit anderen Worten: Die beiden Caroline-Entscheidungen des BGH fordern insbesondere die Yellow-Press geradezu dazu auf, sich Bildunterschriften auszudenken, die Fotos, die eigentlich nicht veröffentlicht werden dürfen, in einen Kontext stellen, in welchem sie zulässig sind. Insofern ist dem Missbrauch der Vorgaben des BGH Tür und Tor geöffnet. Hier wird sich in den nächsten Jahren zeigen, wie die Presse mit dieser vermeintlichen Freiheit umgeht und welche weiteren und klareren Grenzen die Rechtsprechung setzen wird. Eines ist allerdings seit Straßburg und auch den anderen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs klar: Die Abbildung bloßer Privatheit genügt nicht.
Christian Schertz ist Medienanwalt und Lehrbeauftragter an der Hochschule für Film- und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg. Er hat jeweils die Kläger in den BGH-Vorinstanzen im Falle Christiansen und Grönemeyer vertreten und ist auch Anwalt dieser Zeitung.
Christian Schertz
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