Fernsehgeschichte: Bunte Republik Deutschland
Vor 40 Jahren kam Farbe auf den Bildschirm. Vier Autoren erinnern sich, wie sie ihr Ende von Schwarz-Weiß erlebten.
Adenauer und Little Joe
„Der Fernseher“ kam ins Haus, als ich acht Jahre alt war. Seine schwarz-weißen Bilder sagten: Wir sind wie Fotos. Fotos in Familienalben oder Zeitungen. Etwas Festgehaltenes, eine zweite Realität. April 1967, Adenauer war tot: Das waren die ersten Fernsehszenen, die wir Kinder mit Bewusstsein sahen. Da zog ein dunkler Konvoi aus Limousinen über den Bildschirm, düster gekleidete Leute standen Spalier. „Adenauer“ war wohl so was wie ein König, „adelig“ auf alle Fälle. Und wichtig war er für die Älteren, sie schauten stundenlang seinem Abschied zu. Wahrscheinlich hatten sie extra wegen ihm das Fernsehen angeschafft. Am Ende desselben Jahres begann die bunte Revolution auf dem Bildschirm. „Das ist in Farbe!“ war ein Jubelruf der Kinder, wenn bald darauf das wie Cornflakes getönte Fell von Lassie zu sehen war. Später tauchten Pippi und Saltkrokan auf und auch der peinliche Heintje, den die Mütter mochten. Manches war noch nicht in Farbe, was bei Laurel und Hardy wenig störte. Da musste das so sein, denn deren Witze waren lange her. Aber Little Joe oder Hoss von „Bonanza“ hätten wir nicht gern Grau in Grau angeschaut. Illusionen anderer, munterer Welten aus Skandinavien oder den USA zogen in deutsche Wohnungen ein, wo sie ihren Teil zur emotionalen Entnazifizierung der Täterkinder beitrugen. War das „in echt so“, oder „nur im Fernsehen“? Die Frage stellte sich uns nicht. Während wir „Bonanza“ nachspielten und eigene Drehbücher auf Trümmergrundstücken entwickelten, blieben wir beim Kinderspiel-Konjunktiv: „Ich wär’ jetzt der Joe Cartwright.“ Heute, mit Reality-Shows und Liquid Crystal Display Screens, scheinen die kindlichen Konjunktive sich auf bedrohliche Weise aus dem Staub zu machen, der von Schwarz-Weiß noch übrig war. Manipuliert von der Illusionsmaschine Fernsehen, nehmen manche das hyperelektronische Kaspertheater beim Wort. Jetzt heißt es nicht mehr: „Das steht schwarz auf weiß in der Zeitung, das stimmt!“ Sondern: „Das war im Fernsehen.“ Wem es zu bunt wird, der kann nur oft ausschalten. (Von Caroline Fetscher)
Als der Rasen grün wurde
7. Juli 1974, Finale der Fußball-Weltmeisterschaft, München Olympiastadion. Gerd Müllers Siegtor zum 2:1 gegen die Niederlande, gegen die eigentlich Unbesiegbaren – ein Traum, der wahr wurde. In Farbe. Meinem Vater sei dank. Pünktlich zur WM-Eröffnung hatte der die alte Schwarz-Weiß-Kiste gegen einen ziemlich klobigen Farbfernseher ausgetauscht. Ich war neun, wir wurden Weltmeister, und plötzlich war das Grau weg (zumindest auf dem Bildschirm, draußen hat’s im Sommer ’74 ständig geregnet). Damit aber auch vertraute Helden-Bilder: „Kommissar“ Erik Ode, Rudi Carrell, Raumschiff Enterprise, Daktari, der Dackel, der in Ede Zimmermanns „Aktenzeichen XY…“ immer die Leiche im Park fand, meine ganze Fernseh-Sozialisation – alles nun mit roten Backen, braunen Jackets, wobei das damals noch recht verwaschen aussah. Irgendwie gut, dass Farbfernsehen so spät kam. Edgar-Wallace-Schlösser in Color? Undenkbar. Der grüne Rasen und die blauen Schilder in Behnischs Olympiapark hingegen: grandios. Genauso wie die brasilianische Sambatanzgruppe „Ballett Tropical“ bei der Eröffnungsfeier. Die WM 1974 war die erste Übertragung eines gesamten Fußballturniers im Farbfernsehen. Weltweit verfolgten 900 Millionen Fernsehzuschauer in 112 Ländern die Spiele. Und ich. Schön auch für Blaupunkt, Philipps, Grundig & Co. Vier Jahre später war wieder Fußball-WM, ein Grund, meinen Vater auf den neuesten Stand der Dinge zu bringen, was die Größe der Flimmerkiste da im Wohnzimmer betrifft. Versuchsweise zumindest. (Von Markus Ehrenberg)
„Der goldene Schuss“
Die Farbe des Goldes, natürlich. Sie stach ins Auge. Goldfarben war der Beutel, goldfarben der Faden, an dem er hing. „Der goldene Schuss“, das war die Show gewordene Variante vom Wilhelm-Tell-Schuss auf den Apfel. Unsagbar spannend war es jedes Mal, ob der Kandidat mit der Armbrust den Faden durchschießen konnte, der den Beutel hielt. Es ging um alles oder nichts. Zur Schwarz- Weiß -Phase der ZDF-Show gehörte Lou van Burg, ein Bonvivant mit Menjoubärtchen, der mit dem stereotypen „Ihr seid wunnebar“ die ganze Fernsehgemeinde umarmte. Bei „Onkel Lou“ war das Säckel nur hell. Dann, in der 25. Ausgabe vom „Goldenen Schuss“, am 25. August 1967, dem Tag der Umstellung vom Schwarzweiß- aufs Farbfernsehen, nahm der Beutel die Farbe des Goldes an. Meinem Eindruck nach mussten erhebliche Brocken davon im Beutel sein, weil der immer so satt runterplumpste. In Farbe konnte ich viel besser erkennen, dass der Beutel so eine Struktur hatte wie das feine Ausgehtäschlein meiner Mutter. Das war silber, immerhin, aber im Fernsehen – Unterschiede müssen sein – war alles gold. „Mr. Wunnebar“ trug Schwarz-Weiß, Smoking, ein feiner Unterhalter. Trotzdem, mit dem Farbfernsehen verband sich meine erste große Zuschauerenttäuschung. Lou van Burg fehlte, Vico Torriani, der Schweizer Schlagersänger, war gekommen. Alle Fragen nach „Onkel Lou“ halfen nichts: Meine Eltern erzählten mir nichts. Jahre später erfuhr ich, dass „Mr. Wunnebar“ seine 29-jährige, verheiratete Assistentin mit einem goldenen Schuss geschwängert hatte. Ein Skandal, das ZDF ersetzte „Mr. Wunnebar“ durch Torriani. Im Juli 1970, mit der 50. Ausgabe, beendete das ZDF die Show, und ich fing an, Lou van Burg mit Harry Wijnvoord zu verwechseln. Auch er ein jovialer Holländer, auch er mit „Der Preis ist heiß“ auf der Seite des Mammons. (Von Joachim Huber)
Wende zum Bunten
Von der Erfindung des Farbfernsehers habe ich genauso wenig mitbekommen wie von der Erfindung des Faustkeils. Das lag natürlich an der DDR. Im Jahr des ersten Farbfernsehers bekamen wir unseren ersten Schwarz-Weiß-Fernseher. Was für eine Revolution des Welt-Bilds! Spätere Besitzer eines Farbfernsehers hielt ich für strukturell unzurechnungsfähig. Die Rots, die Blaus! Nur Blindsein konnte schlimmer sein als „Robotron“-Farbfernsehen gucken. Der Schnee auf dem West-Bild war plötzlich bunt. Und für diese schwerste aller optischen Prüfungen hatten Menschen sehr viel Geld ausgegeben. Denn ein Farbfernseher zählte zum Luxus, dieser wiederum zur Dekadenz – und Dekadenz ist teuer. Unsere jugendliche Überheblichkeit wusste ohnehin: Die wahre Farbe entsteht im Kopf! Diese Auffassung hat sich im Laufe der Jahre relativiert. Und zwar genau1990. Vielleicht hat sich die halbe Ex-DDR als Erstes einen Farbfernseher gekauft. Wir nicht. Denn was ist der Farbfernseher gegen die zweitwichtigste Erfindung nach der Erfindung des Faustkeils: gegen einen Geschirrspüler? (Von Kerstin Decker)
„Televisionen in Schwarz-Weiß“. Ein Thementag in 3sat ab 7 Uhr 15
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