100 Jahre Axel Springer: Buhmann und Beelzebub für die halbe Republik
Mit seinen Zeitungen wollte Axel Cäsar Springer, der heute 100 Jahre alt geworden wäre, Politik machen. Und doch begrenzte er selbst seinen Einfluss: durch seinen unerbittlichen Kampf gegen den Zeitgeist – oder was er dafür hielt.
Dem Konzern, der seinen Namen trägt, geht es vorzüglich – letzter Jahresumsatz 3,2 Milliarden Euro. Die maßgebende Gesellschafterin des Medienimperiums, Friede Springer, seine Witwe, arbeitet in seinem alten Büro, in dem alles so geblieben ist, wie es war. So sei er ihr irgendwie nah und gebe ihr Kraft. Der Vorstandsvorsitzende, Mathias Döpfner, Jahrgang 1963, hat Axel Springer zwar nicht mehr persönlich kennengelernt, aber er und das Unternehmen halten den Ruhm des Firmengründers entschlossen hoch, zumal in diesem Jahr, in dem er am heutigen Mittwoch, 100 Jahre alt geworden wäre. Mehr denn je sei Axel Springer lebendig, in diesem Unternehmen und weit darüber hinaus, hat Döpfner beim diesjährigen Neujahrsempfang des Verlags erklärt.
Und es trifft ja zu, dass Springer und sein Werk wie ein Monument in die politische und publizistische Geschichte der Bundesrepublik hineinragen. Beide, Mann und Lebenswerk, haben in ihrer Weise Geschichte geschrieben, durchaus vergleichbar mit den großen Bewegern der Politik, im Medienbereich ausgerechnet mit Rudolf Augstein, Springers Hamburger Weggefährten, politischem Antipoden und leidenschaftlichem Gegner. Der war zwar wirtschaftlich ungleich weniger erfolgreich, hat dafür aber vermutlich den größeren politischen Einfluss ausgeübt. Den begrenzte Springer durch sich selbst, durch sein missionarisches Temperament, seine monomanische Unbeirrbarkeit, seinen Krieg gegen den Zeitgeist oder das, was er dafür hielt. So ist er eine treffende Illustration des Schillerwortes über Wallenstein: „Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt,/ schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.“ Nur dass es nicht allein die Parteien waren, sondern nicht zuletzt seine hoch komplizierte Persönlichkeit, die ihn zu einer der umstrittensten Gestalten in der Nachkriegsgeschichte gemacht hat.
Dabei hat sich das öffentliche Bild Springers seit der Wiedervereinigung durchaus verändert. Auch an Springer-Gegnern, die sicher waren, längst mit ihm fertig zu sein, nagt mittlerweile der Zweifel, ob man ihm nicht wenigstens zubilligen müsse, in Sachen deutsche Wiedervereinigung recht behalten zu haben. Sogar seine aggressive Ablehnung der 68er-Rebellen lässt nicht mehr automatisch den alten Springer-Hass aufspringen, seitdem sich herausgestellt hat, wie zielstrebig die Ost-Berliner Propagandisten dabei waren, die linke Szene zu unterwandern, und wie bereitwillig viele der Revolutionshelden den Ost-Berliner Manipulatoren auf den Leim gingen. Eine Entdeckung wie die, dass der Ohnesorg-Mörder Stasi-Mitarbeiter war, hat ohnedies die alten Feinbilder gewaltig ins Wackeln gebracht.
Umso mehr beeindruckt vor dem Hintergrund seines 100. Geburtstags die Gestalt Axel Springer, die die eminente Verkörperung eines Kapitels der Zeitgeschichte darstellt, ihrer dynamischen Möglichkeiten wie ihrer Zäsuren und Abwege. Da ist der junge Mann aus einem kleinen Hamburger Zeitungsverlag, der mit Begabung und Glück zu einem Verleger wird, in dem das Deutschland des Wirtschaftswunders sich wiederfindet.
Sein Sensorium für die Aufstiegs- und Normalitätssehnsucht der Deutschen lässt ihn zu einem Zeitungsmacher von Format und höchst erfolgreichen Unternehmer werden. Doch dieses Glückskind, reich und bewundert, stürzt auf der Höhe seiner Laufbahn in das Loch öffentlicher Ungnade und wird für die halbe Republik zum Buhmann und Beelzebub. Überdies umschließt dieses Leben eine merkwürdige innere Wandlung, die aus einem jugendlichen Dandy und Lebemann einen Gottsucher und erztraditionellen Lutheraner macht.
Die Verlagsspitze räumt "schlimme Artikel" ein
Es sind die Krisenwirbel der Nachkriegszeit, die diese Wandlungen auslösen. Die ungelöste deutsche Frage, in den 50er Jahren eine offene Wunde im deutschen Kollektivbewusstsein, politisiert den Erfolgsverleger. Springer ist damals hin- und hergerissen zwischen Adenauer-Zustimmung und Adenauer-Kritik, Entspannungsneigungen und Anti-AtomSympathie, ist eher links, aber zugleich national, wie viele Deutsche, die unruhig nach einem Ausweg aus der Lage suchen, in die Deutschland geraten ist. Er zieht aus diesem Seelenzustand eine spektakuläre Konsequenz: Auf eigene Faust reist er 1958 nach Moskau, um dem sowjetischen Parteichef Nikita Chruschtschow die Wiedervereinigung abzuhandeln. Das Unternehmen endet in einem Desaster und macht Springer lebenslang zu einem erbitterten Gegner des Kommunismus.
Im Sog dieses Schlüsselerlebnisses entsteht das Phänomen Springer, das seine Spuren tief in die Bundesrepublik eingräbt: ein Verleger, der mit seinen Zeitungen Politik machen will, sie patriarchalisch führt, doch keine Skrupel hat, sie zur Kampfpresse umzurüsten; ein Kämpfer für Berlin, der sein Engagement demonstrativ durch den Bau seines Verlagssitzes an der Sektorengrenze krönt und erleben muss, wie sie zu einem Haus unmittelbar an der Mauer wird; ein entschlossener Parteigänger Israels, das er großzügig unterstützt und das für ihn eine Art zweites Vaterland wird. Dazu ein Leben auf großem Fuße, eine Vielzahl von Wohnsitzen, Privatflugzeug, großzügiges Mäzenatentum und ein turbulentes Privatleben.
Zum tiefsten Einschnitt in Springers Biografie wird die Rebellion der Studenten. Inzwischen gibt die Verlagsspitze zu, dass damals „schlimme Artikel“ erschienen seien. Aber das untertreibt: Die Auseinandersetzungen zwischen Springer und den Studenten, den Schlagzeilen in den Konzernzeitungen wie den in Gewalt umschlagenden Massendemonstrationen nach dem Dutschke-Attentat markieren eine Eruption, in der mehr zu Bruch ging als der Nachkriegskonsens und zivilisierte Umgangsformen. Aus ihr entsteht eine innergesellschaftliche Polarisierung, die über Jahrzehnte hin fortwirkte.
Sie sprengte auch die alte Hamburger Kumpanei von Springer, Augstein und „Zeit“-Verleger Bucerius, die seit ihren Sturm-und-Drang-Jahren freundschaftlich-konkurrierend verbunden gewesen waren. Nun bekämpften sie sich, zumindest verbal bildeten „Spiegel“, „Zeit“ und „Stern“ eine liberale, auf den gesellschaftlichen Wandel setzende Gegenfront, und es ändert nichts daran, dass es auch Springers schiere Größe und Marktmacht war, die ihn zum Feinbild machte. Denn die 60er Jahre sind auch der Schauplatz eines folgenreichen Wandels des Medienmarkts: Pressekonzentration, Aufstieg des Fernsehens, technische Innovationen. Neben die „Enteignet Springer“-Kampagne der linken Studenten steht – längst vergessen – die sogenannte Günther-Kommission, die der Pressekonzentration Paroli bieten sollte und natürlich vor allem den „Mammutverleger“ (so Springer selbst) im Visier hatte.
Die Auseinandersetzung mit den Studenten bringen Springer kein Jota von seinen Überzeugungen ab, sie machen ihn vielmehr noch unnachsichtiger, aber sie verändern sein Leben. Der Zeithistoriker Klaus-Peter Schwarz, der die beste Biografie über ihn geschrieben hat (Axel Springer. Die Biographie, 2008) räsoniert trocken: „Der Lack war ab. Siegfried war gewissermaßen dort getroffen, wo er am verwundbarsten war: bei seiner Sehnsucht nach allgemeiner Anerkennung und Beliebtheit.“ In den 70er und 80er Jahren wird Springer zum erbitterten Gegner der Ostverträge, steht auf der Barrikade gegen alles, was zum Mainstream wird, und verschanzt sich zunehmend hinter seinen religiösen Überzeugungen.
Doch als Verleger und Unternehmer nimmt sein Lebens etwas seltsam Rastloses an, das nicht zu dem Bild des Konzernlenkers passt. Immer wieder versucht er, sein Unternehmen oder Teile von ihm zu verkaufen, um dann davor zurückzuschrecken, manchmal im letzten Moment.
Das Phänomen Springer, ein "Nest voller Widersprüche"
Nach dem Schlag zu Beginn des Jahres 1980, dass sein Sohn Selbstmord begeht – er war unter dem Pseudonym Sven Simon bereits ein bekannter Fotograf –, beginnt eine hektische Suche nach einem Nachfolger oder nach einer Rechtsform, in der der Konzern fortgeführt werden sollte. Sie wird fast zur endlosen Geschichte, bis sie bei einer komplizierten Konstruktion zur Ruhe kommt. Er selbst pendelt ruhelos zwischen Wohnsitzen in Hamburg und Berlin, Häusern auf Sylt und in der Schweiz, dem Gut Schierensee in Schleswig-Holstein, seinem Penthouse in Jerusalem und der quasi-klösterlichen Abgeschiedenheit auf der Insel Patmos. Mit nur 74 Jahren stirbt er 1985.
Das Phänomen Springer, dieses „Nest voller Widersprüche“ (Karl-Peter Schwarz), hinterlässt nicht nur das Beispiel einer Erfolgsgeschichte und die Legende, zu der sein Leben geworden ist. Vor allem wirft es das Problem des politischen Verlegers auf, genauer: des Verlegers, der mit Zeitungen Politik machen will.
Zumindest der frühe Springer hatte als Zeitungsmacher geniale Züge. Doch das hemmungslose Hineinregieren in die Redaktionen und das notorische Umspringen mit Chefredakteuren und Kommentatoren, das Springer praktizierte, hat dieses Bild eingetrübt. Ein Exempel dafür war zum Beispiel in den 60er Jahren die Verwandlung der liberalen Tageszeitung „Die Welt“, des publizistischen Flaggschiffs des Konzerns, in ein Blatt, das den Namen Kampfpresse verdiente – auch wenn Springer lieber von Richtungspresse sprach.
Das hatte einen beispiellosen Exodus von Journalisten zur Folge, die danach die anderen Zeitungen bereicherten. An ihrer Spitze stand Paul Sethe, nationalliberale Größe der Nachkriegspresse, der zur „Zeit“ ging, der Außenpolitiker Herbert von Borch wechselte zur „Süddeutschen Zeitung“, und auch Sebastian Haffner brach damals mit den Springer-Zeitungen. Dem Auflagerückstand gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der „Süddeutschen Zeitung“, den das Blatt damals erlitt, läuft es heute noch hinterher.
Und die „Bild“-Zeitung, Springers folgenreichste Innovation, die den Medienmarkt verändert hat und deren Erfolg für sich selber spricht? Es ist wahr, dass das ehrgeizig geführte Blatt inzwischen so gut wie überall hoffähig geworden ist. Auch hat ja Springer selbst sich seinerzeit mit dem Bekenntnis, dass er bei dessen Lektüre wie ein Hund leide, sozusagen einen allgemeinen Ablass eingehandelt. Aber das ändert nichts daran, dass das Blatt in seiner rüden Mischung aus Boulevard- und Tendenzjournalismus auf die mediale und politische Öffentlichkeit destruktiv gewirkt hat. Es hat in der Politik das „Bild-, Bams- und Glotze“-Regieren gefördert und im Journalismus die Maßstäbe verschoben.
Selbst der Stolz darauf, an der Wiedervereinigung festgehalten zu haben, als viele sie längst in den Wind geschrieben hatten, hat seine Kehrseite. Denn was hat diese Haltung zu den Entwicklungen beigetragen, die sie schließlich möglich machten? Die ehrenwerte Standhaftigkeit in der Frage der Wiedervereinigung war das Deckblatt des erbitterten Kampfes gegen die Ost- und Deutschlandpolitik. Sie rückte alle die Versuche ins Zwielicht, die Grenzen durchlässiger zu machen und Bewegung in das geteilte Europa zu bringen. Wie groß der Anteil dieser Politik am Zerbrechen der kommunistischen Regime ist, bleibt eine offene Frage. Aber dass dieser Wandel nicht möglich gewesen wäre ohne Annäherung, ohne Verträge, ohne KSZE und ohne den beständigen Verhandlungsdruck, liegt auf der Hand.
Ist also Axel Springer wirklich noch lebendig? Hatte er eine Botschaft, die Orientierung geben kann, wie seine Bewunderer meinen, oder war er bestenfalls ein Gegengewicht gegen den Zeitgeist? Nach 100 Jahren ist jedes Leben Geschichte. Immerhin, eine erstaunliche, merkwürdige und erinnerungswürdige Geschichte ist die von Axel Springer allemal.
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