G20-Gipfel in den Medien: Brennende Autos gehen immer
G20 zum Exempel: Sind Medien auf Gewalt zwischen Protest und Polizei fixiert? Dies gleiche einem „Wiederholungszwang", sagt eine Studie.
In Hamburg tobt er wieder, der Kampf um die Aufmerksamkeit. Entschieden ist er noch nicht, beim G-20-Gipfel in Hamburg. Nach den Eindrücken vom Start liegen die Demonstranten, genauer: die Chaoten, vorne. „Welcome to Hell“ war eben auch die Einladung an die Live- und Bildermedien, den gewaltsamen Protest kleinteilig bis großflächig in die Öffentlichkeit transportieren. „Spiegel Online“, und nicht nur dieses Portal, berichtete und berichtet über Stunden im Livestream von den Auseinandersetzungen.
Natürlich waren die Chaoten im Vorteil: Sie bewegten sich im öffentlichen Raum, während Trump, Merkel & Co. bis auf Landeanflüge, Autofahrten und Händeschütteln im Hochsicherheitstrakt, weitgehend im Unsichtbaren, agierten. Bewegung gegen Statik, Action gegen Routine, schwarz vermummter Block gegen Merkel-Joppe – ist die Sehnsucht, und damit die Sucht der Medien nach dem spektakulären Bild nicht übermächtig – brennende Müllcontainer, Autos in Flammen, Wasserwerfer mit vollem Strahl, Polizisten beim Schlagstockeinsatz? Geile Bilder, die das Adrenalin pushen, die Emotionen anstacheln und eine wesentliche These provozieren: Medien stellen bei der Berichterstattung über Großdemonstrationen häufig Gewalt ins Zentrum.
Eine These, die der Soziologe Simon Teune vom Berliner Institut für Protest- und Bewegungsforschung vertritt. Nicht erst seit den Bildern aus Hamburg, sondern in seiner aktuellen Studie „Zwischen Emphase und Aversion – Großdemonstrationen in der Medienberichterstattung“. Gewalt im Mittelpunkt der Berichterstattung – dies gleiche einem „Wiederholungszwang“, sagte Teune dem Evangelischen Pressedienst.
Das Thema Gewalt werde durch Aussagen von Innenministern und die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei befeuert. Mit der Ankündigung, dass beim G-20-Gipfel am Wochenende in Hamburg etwa 8 000 gewaltbereite Demonstranten erwartet würden, vergrößere die Polizei den Spielraum für die eigenen Handlungen. Auch die Polizei gehe nicht von 8 000 Menschen aus, die sie mit Steinen bewerfen.
"In liberalen Zeitungen kommen die Protestierenden häufiger selbst zu Wort."
„Aber wenn sie dann mit Wasserwerfern anrückt, ist es genau das, was die Öffentlichkeit erwartet“, sagte Teune. Wenn Demonstrationen mit Gewalt in Verbindung gebracht werden, rückten die Inhalte der Proteste in den Medien in den Hintergrund, so der Wissenschaftler.
Bei der Demonstration zum G-8-Gipfel 2007 in Rostock beispielsweise sei die inhaltliche Auseinandersetzung an den Rand gedrängt worden. Stattdessen habe sich die mediale Berichterstattung auf die Gewalt zwischen Demonstranten und Polizeibeamten fixiert. Gewalt garantiere Aufmerksamkeit, aber auch bei vergleichsweise geringer Aufmerksamkeit könne ein Thema auf die Agenda gesetzt werden.
Liberale Medien beurteilen Proteste Teune zufolge positiver als konservative Medien. „In liberalen Zeitungen kommen die Protestierenden häufiger selbst zu Wort.“ Konservative Medien berichteten distanziert über Proteste. „Sie sehen Demonstrationen eher skeptisch und betonen die Gefahren.“ Wer Protest als legitim ansehe, dem liege eher daran, Hintergründe verstehbar zu machen.
Dabei konnte man der G-20-Berichterstattung im Fernsehen in den vergangenen Tagen durchaus Positives, Konstruktives abgewinnen; „heute-journal“, „Brennpunkt“, „Tagesthemen“, die Kindernachrichtensendung „logo“ lieferte Erklärstücke, allen voran aber Dunya Hayali am Mittwochabend. Beim Comeback ihres Talk-Reportage-Formats im ZDF ließ die Moderatorin Aktivisten in Hamburg ausführlich zu Wort kommen, im Studio stritten Otto Schily und eine G-20-Kritikerin.
„Man kann sagen, dass im Fahrwasser der enormen Aufmerksamkeit für gewalttätigen Protest auch einige sehr differenzierte und sehr hintergründige Beiträge zu finden sind“, sagte Teune dem Tagesspiegel. „Um es überspitzt zu formulieren: Die Gewalt schafft Raum für die Auseinandersetzung mit der Kritik am Gipfel.“
Die grundsätzliche Problematik sei ja nicht neu. „Brennende Autos“, so Teune, „gehen immer.“ Dass die Titelseiten von Boulevardzeitungen damit gefüllt werden, sei nicht verwunderlich. Aber alle anderen Medien sollten sich die Frage stellen, inwieweit sie Teil der Inszenierung werden wollen. Wichtig sei es, kühlen Kopf zu bewahren, wenn sich die Ereignisse überschlagen, das Differenzierungsvermögen wachzuhalten und Unterschiede zwischen Protestgruppen abzubilden und die Ereignisse jenseits des Live-Tickers einzuordnen.
Der Kampf um Aufmerksamkeit ist immer auch der Kampf zwischen Kopf und Bauch, zwischen Intellekt und Emotion.