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Photocall "Dexter"
© ddp

Serienkiller: Blut, Schuld und Sühne

Der US-amerikanische Schauspieler Michael C. Hall gibt den Serienkiller „Dexter“ - und sieht sich in einer Reihe mit kranken Fernseh-Helden. Ewig möchte er das nicht machen.

Irgendwie erinnert der Name an einen kleinen Jungen aus einem Charles-Dickens-Roman, dem die Tränen kommen, wenn Erwachsene nicht mit ihm spielen wollen. Dabei macht Michael C. Hall in seinem Job alles andere als Kinderkram. Der US-amerikanische Darsteller spielt seit ein paar Jahren „Dexter“, den Serienkiller in der gleichnamigen US-Serie. Das tut Michael C. Hall so erfolgreich und glaubhaft, dass man dem Schauspieler bei seinem Besuch in Berlin in der vergangenen Woche lieber etwas reservierter gegenüber tritt, auch wenn er einem als ruhiger Bestatter aus der Serie „Six Feet Under“ in lieber Erinnerung geblieben ist. „Nice to meet you“, sagt er zur Begrüßung. Na klar, Hall macht im Holzfällerhemd natürlich auch dieses freundlich-harmlose Gesicht, das ihm als Dexter Morgan, als Spezialist für jede Blutspritzeranalyse, serienmäßig eigene Bluttaten durchgehen lässt. Tagsüber ein Biedermann, nachts ein eiskalter Killer, der nicht gefasste oder freigesprochene Verbrecher jagt und in Selbstjustiz hinrichtet. Ein monströses Doppelleben, von dem Dexters Kollegen im Miami Police Department keine Ahnung haben.

Wir aber, die rund 500 000 Fernsehzuschauer in Deutschland, die die erste Staffel dieses ungewöhnlichen Formats 2008 auf RTL2 gesehen haben. Die zweite Staffel wird voraussichtlich im Herbst im Free-TV laufen. Premiere-Nutzer erfahren schon früher, wo der nächste Kühllaster-Mörder lauert, den Dexter zur Ader lässt. Am 21. März läuft ein „Dexter“-Marathon mit der zweiten Staffel. Im Herbst folgt Staffel Drei beim Bezahlsender. Neue Folgen sind in Planung. Premiere hat den Star dafür letzte Woche nach Deutschland geholt.

Für einen großen Erfolg im Free-TV ist die Sache mit dem Serienkiller wohl noch zu heikel. Dexter ist ein Psychopath, innerlich leer, hat keine Emotionen. Wie spielt man das? Michael C. Hall überlegt. Er überlegt lange. Gerade in diesen Tagen. Dexter sei eine Gestalt, die nicht mit ihrer Umwelt verbunden ist. Dexter ist: „disconnected“. Dies erlaube ihm, das zu tun, was er tut. Das sagt der Schauspieler mit einer Stimme, die genauso leise und unerschütterlich herüberkommt wie Dexters Voice-Off in der Serie. Der kranke Held mit seinem Kindheitstrauma, der alles darf – das ist ein schwieriger Gedanke. Der TV-Serie „Dexter“ und ihrem Protagonisten ist schon öfter vorgehalten worden, einen gewissen Vorbildcharakter für verirrte Seelen zu haben. Der Schauspieler winkt ab. Seine Herangehensweise an die Rolle könne nur die sein wie bei jeder anderen auch: zu verstehen, was diesen „Helden“ umtreibt. Wieder dieses Lausbubenlächeln: „Das ist mein Job.“

Und Michael C. Hall/„Dexter“ ist ja nicht allein. Die meisten Helden jüngerer amerikanischer Fernsehserien sind psychisch labil oder neurotische Sonderlinge, wenn nicht gar Psychopathen. In „United States of Tara“ ist die weibliche Heldin, gespielt von Toni Collette, eine multiple Persönlichkeit. Die Mutter zweier Kinder und liebende Ehefrau neigt bei emotionalen Ausbrüchen dazu, sich in eine minderjährige Göre oder einen biertrinkenden Vietnamveteranen zu verwandeln. Hard stuff, genauso wie die Krimiserie „Sopranos“, in der sich der Mafiaboss abends wegen seiner Panikattacken auf die Couch des Psychotherapeuten legte, der drogenabhängige Misanthrop „Dr. House“ oder die Therapie-Serie „In Treatment“, in dessen Zentrum ein durchgeknallter Psychotherapeut (Gabriel Byrne) und die Arbeit mit fünf verschiedenen Patienten steht.

Für Michael C. Hall sind diese Serien, die große Themen wie den Wert der Familie, die Evidenz des Lebens im Angesicht des Todes, Schuld und Sühne oder die Tragik der Perfektion reflektieren, durchaus ein Spiegelbild der US-amerikanischen Gesellschaft. Zuschauer mögen es, wenn die Protagonisten sich anders verhalten, als man es normalerweise von ihnen erwartet. „Sie sind von den Schattenseiten des Menschen faszinierter als je zuvor“, meint Hall und schaut dabei aus dem großen Hotelfenster, als ob er draußen nach etwas Handfestem für diesen TV-Trend, für diese Grauzonen suche. Wobei sich all diese moralisch mehrdeutigen Serien die Experimentierfläche im US-Pay-TV  zunutze machen. In Deutschland ist das mit Premiere ähnlich. Nur „Dr. House“ und „Monk“, der phobische und zwangsneurotische Ermittler, sind via RTL großem Publikum bekannt. „Dexter“, „Six Feet Under“ oder auch „24“ versenden sich bei Serienkanälen spät am Abend oder finden ihre große Fangemeinde als DVD.

Psychopathen als fast normale TV-Helden – Erfolgsproduzent und Autor Ralf Husman („Stromberg“) glaubt, dass „nach ,CSI’, wo die Ermittler völlig austauschbar sind und eher die Technik im Vordergrund steht“, außergewöhnliche Typen und Charaktere via USA auf die deutschen Serienfans zukommen. Allerdings sei Psychologie im amerikanischen Alltag viel stärker verankert als in Deutschland. „Seit den frühen Woody-Allen-Filmen wissen wir, dass der Durchschnittsamerikaner sein Leben schon per se für so vermurkst hält, dass er es permanent mit seinem Psychiater bespricht.“

Mit dem Psychiater hat es Michael C. Hall nicht. Dexters Faszination für Lebenssäfte ist nach 30 Minuten Gespräch mit dem smarten Schauspieler eh’ fast vergessen. Wir sind ja auch nicht im Miami Police Department, sondern in Berlin, Grand Hotel Esplanade. Trotzdem die Frage: Wie lange er diesen „Dexter“ noch machen wolle? Hat er keine Angst, auf die Psycho-Rolle festgelegt zu werden? „Yeah!“ Klar könne er sich vorstellen, mal einen heterosexuellen Architekten mit Frau und zwei Kindern in den Suburbs zu spielen. Doch die Gelegenheit, nach dem schwulen Bestatter David Fisher in „Six Feet Under“ einen noch komplexeren Charakter wie „Dexter“ zu besetzen, konnte er sich einfach nicht entgehen lassen. Damit wurde der 38-Jährige zweimal für den Golden Globe nominiert, abgesehen davon, dass er vor kurzem Jennifer Carpenter, seine Serienschwester aus „Dexter“, geheiratet hat.

Michael C. Hall ist ein sympathischer junger Mann, zurzeit wohl einer der besten Serienschaupieler weltweit. Nur Kinostars haben so einen Medienauflauf wie der Mann von der Broadway-Bühne letzte Woche in München und Berlin. Dank „Dexter“. Dennoch, er würde es sich jetzt zweimal überlegen, einen weiteren Psychopathen zu spielen.

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