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Anne Will und ihre Gäste
© /ARD

Ukrainischer Botschafter bei Anne Will: „Bitte helfen Sie uns“

Bei Anne Will wird die Bundesregierung im Ukraine-Konflikt heftig kritisiert. Deutschland befinde sich an einem Scheideweg, so der ukrainische Botschafter.

Das Vorgehen der Bundesregierung im Ukraine-Konflikt wird in der Sendung von Anne Will scharf kritisiert. Nicht nur der Ukrainische Botschafter Andrij Melnyk, sondern auch die Journalistin und Historikerin Anne Applebaum haben keine guten Worte übrig für die deutsche Regierung. Melnyk fordert die Lieferung von Defensivwaffen: „Das zu verweigern bedeutet, uns in der Ukraine im Stich zu lassen“.

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Während Bundeskanzler Olaf Scholz sich wenige Stunden zuvor auf den Weg zu seinem Antrittsbesuch in die USA gemacht hat, finden sich neben Melnyk und Applebaum SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, außenpolitischer Sprecher der Grünen Jürgen Trittin, Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch und die ARD-Auslandskorrespondentin für Moskau Ina Ruck bei Anne Will zusammen, um über die titelgebende Frage der Sendung „Worte oder Waffen – wo steht Deutschland im Ukraine-Konflikt?“ zu diskutieren.

Schon zu Beginn der Sendung stimmt die amerikanische Journalistin Applebaum dabei einen scharfen und anklagenden Ton an. Während seines Besuches bei US-Präsident Joe Biden müsse Scholz klar machen, dass er keinen Krieg in der Ukraine wolle. Der Ukraine müsse man die Chance geben, sich zu verteidigen. Zudem spricht sich Applebaum klar für deutsche Waffenlieferungen an das Land aus.

Erst wenige Stunden zuvor hatte Scholz in einem Interview mit der ARD ausdrücklich betont, dass ein Einmarsch Russlands in die Ukraine einen sehr hohen Preis haben würde. Will greift dies auf und fragt Kühnert, warum diese Entschlossenheit nicht bei den Verbündeten Deutschlands ankomme.

Dass Deutschland keine letalen Waffen in Krisengebiete liefert, das sei keine Neuigkeit, entgegnet Kühnert. Die Positionierung der Bundesregierung dabei sei nicht neu. Gleichzeitig versichert er, dass Deutschland eng zur Ukraine stehe.

Scholz sei vielleicht still, aber nicht untätig, will Kühnert klarstellen: „Der Bundeskanzler ist mit der Außenministerin und anderen Regierungsmitgliedern seit Wochen unterwegs, um eine gemeinsame Position mit unseren Partnern zu erarbeiten.“ Er müsse die Fäden zusammenführen, dafür müsse man nicht täglich vor der Kamera stehen, sagt Kühnert.

Der ukrainische Botschafter Melnyk möchte sich damit nicht zufrieden geben. „Wir brauchen Taten“, fordert er. Immer fordert er ein Umdenken in Bezug auf Waffenlieferungen. Das, was vor zwei Jahren oder selbst wenigen Monaten noch richtig gewesen sei, müsse man heute auf den Prüfstand stellen, so Melnyk.

Das Land brauche Defensivwaffen, sagt der Botschafter und appelliert an die Bevölkerung: „Bitte helfen Sie uns.“ Deutschland stehe an einem Scheideweg, entweder man helfe der Ukraine mit dem, was das Land brauche oder man lasse die Ukraine im Stich.

Großteil der Bevölkerung lehnt Waffenlieferung ab

Die Bevölkerung, an die Melnyk appelliert, lehnt dem ARD Trend zufolge Waffenlieferungen an die Ukraine allerdings mehrheitlich ab. 71 Prozent der Befragten in der deutschen Bevölkerung gaben an, solche in der aktuellen Situation für falsch zu halten, zeigt Will auf.

Das Thema der möglichen Waffenlieferungen beherrscht die Sendung. Während die Ukraine keine Waffen bekommen soll, habe Deutschland in anderen Fällen offenkundig nicht so viele Bedenken, sagt Will. Ein Einspieler stellt den Rüstungsexporteur Deutschland vor, der viertgrößte der Welt. Allein im Jahr 2021 genehmigte die Bundesregierung Rüstungsexporte im Wert von gut neun Milliarden Euro. Hauptabnehmer war Ägypten, das in Konflikte im Jemen und in Libyen verwickelt ist.

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Damit büßt die Bundesregierung an Glaubwürdigkeit ein, so Will. Misst die SPD hier mit zweierlei Maß, fragt sie Kühnert. Der SPD-Generalsekretär kontert: „Politische Fehler werden nicht dadurch geheilt, sie an anderer Stelle zu wiederholen.“ Das Bestreben müsse sein, Exporte in Kriegs- und Krisengebiete generell herunterzufahren, sagt Kühnert. Daran arbeite die neue Bundesregierung.

Die Gäste der Sendung lassen sich an diesem Abend in zwei Lager einteilen. Kühnert, Trittin und Bartsch sind allesamt gegen eine Waffenlieferung, Applebaum und Melnyk dafür. „Wir sollten das Risiko eines Krieges in Europa nicht noch befördern“, sagt Bartsch. Der Ukraine könne man anders helfen.

„Der Krieg ist präsent hier in allen Köpfen“

Die Uneinigkeit mit der Ukraine bringt Trittin auf den Punkt. „Da gibt es einen Dissens mit der ukrainischen Regierung.“ Dieser laute: „Was schreckt mehr ab?“. Die Ukraine, wie auch Applebaum, seien der Meinung, das seien Waffen.

Die Mehrheit der Nato, die USA und Europa glauben, dass Abschreckung durch politische Maßnahmen gelinge, sagt Trittin. Russland würde seine gesamten wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu Europa gefährden, wenn es die Souveränität der Ukraine weiter einschränke.

Aus Kiew wird die Auslandskorrespondentin Ina Ruck zugeschaltet. Sie erzählt von ihren Begegnungen mit Ukrainern inmitten der Krise, von den Gesprächen die sie als Deutsche dort führt und die sich immer wieder um den Krieg drehen.

„Der Krieg ist präsent hier in allen Köpfen“, sagt sie. „Und zwar der Krieg, der schon seit acht Jahren hier wütet.“ Die Waffenlieferungen seien zu einem entscheidenden Thema geworden, die Debatte aufgeheizt. Ihr komme es fast vor wie ein Symbol, „ein Beweis, den Deutschland bringen müsse, um zu zeigen, es sei auf der richtigen Seite“.

David Rech

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