Medien: Bin ich sexy, bin ich schön?
ZDF-Film über die Qualen von Mareike in der Pubertät
Mareike ist fünfzehn und frech wie Dreck. Wäre sie nicht so schlagfertig und ahnte man nicht hinter der rotzigen Fassade ein Seelchen – man könnte sich entschließen, sie nicht so sehr zu mögen. Zumal sich diese untersetzte Person mit dem Lausbubengesicht ein Ziel gesteckt hat, das sie nur verfehlen kann, aber ohne Rücksicht auf Verluste verfolgt: Sie will Model werden. Erstes Zwischenziel: „Miss Baden-Württemberg“.
Die Mutter, verwitwet und chronisch knapp bei Kasse, soll den Model-Kurs bezahlen, sie unterstreicht ihr Nein! mit abschätzigen Blicken. Die jüngeren Geschwister spotten um die Wette: „Du aufgeplatztes Sofakissen“, die Mitschülerinnen wispern: „Wenn die Model wird, fress ich ’n Besen.“ Allein die Chefin der Model-Schule, die Bewerberin Mareike probeweise über den Laufsteg schickt, lächelt und sagt: „Charme hast du ja.“ Plötzlich sieht alles anders aus. Das freche Mädchen mit dem Bäuchlein hat im Abendkleid mit Schleppe erotischen Appeal, und die Mutter, die Geschwister, die Schulkameradinnen sowie die Sofakartoffeln vor dem Fernseher sind auf Klischees reingefallen. Warum müssen Models immer Bohnenstangen sein? Man wünscht Mareike Erfolg und weiß zugleich: Wenn sie den erst hat, wird sie ihre Geschwister nicht mehr so tierisch ärgern und zu ihrer Mutter nie wieder „notgeile Schlampe“ sagen.
Die junge Regisseurin Katinka Feistl hat es mit dem Erstling „Bin ich sexy?“geschafft, das knifflige Thema Pubertät und Körper doppelt zu belichten. Der Schönheits- und Schlankheitswahn, der die weiblichen Teenager dazu verdammt, ihre Leiblichkeit als einzige Problemzone zu erleben, wird bloßgestellt; zugleich aber wird der Traum Mareikes, der ja sehr viel mit diesem Schönheits- und Schlankheitswahn zu tun hat, respektiert und liebevoll in Bilder übersetzt. Wenn Mareike sich von ihrer Freundin fotografieren lässt, während sie im Kaufhaus schicke Sachen anprobiert, wenn sie beim Bauchtanzkurs den Schultergürtel kreisen lässt – dann fühlt man sie mit ihr: die überwältigende Sehnsucht, attraktiv zu sein. Zugleich ärgert man sich über den Zeitgeschmack, der so blöd ist, die Reize Mareikes zu verkennen. Marie-Luise Schramm heißt die junge Schauspielerin, die sich virtuos durch die Seelenlagen dieses Stehaufmädchens hindurcharbeitet.
In einer Nebenhandlung sieht man auch die Mutter (wie stets ausgezeichnet: Birge Schade) bei der Arbeit der Verschönerung. Sie bereitet sich auf ein Rendezvous vor und mag doch den Verehrer (bewundernswert feinfühlig in der schwierigen Rolle: Andreas Schmidt) ihrer vielen Sorgen wegen nicht längerfristig ermutigen. Bewusst und ausführlich werden die Paraphernalien der Schmink- und Frisierkunst ins Bild gebracht; die Kamera von Daniela Knapp findet aparte Blickwinkel, unter denen sich der Jahrmarkt der Eitelkeit inszenieren lässt. Frauen vor dem Spiegel und vor der Kamera – das ist das optisch reizvolle, moralisch zwielichtige Thema des ersten Filmteils.
Doch dann, im zweiten Teil, wird der Jahrmarkt plötzlich geschlossen. Das Schicksal schlägt zu. Mareike verliert ihre Haare. Die Störung ist medizinisch gesehen harmlos, führt aber zur Kahlköpfigkeit. Für Mareike geht die Welt unter. Der kleine Bruder rät ihr, nicht mehr in den Spiegel zu schauen. Aber das war ihre Art, sich selbst zu feiern. Was bleibt?
Wieder gelingt es Regisseurin Feistl, aus der Krise mehr herauszuholen als das naheliegende Bündnis mit dem Publikum: Nicht wahr, Eitelkeit führt zu nichts Gutem? Narzissmus ist jetzt abgesagt, und es bleibt zu erkunden, was sonst noch in Mareike steckt – und in ihren Mitmenschen. Wie sich zeigt, eine ganze Menge. Der Trost, den die Mutter spendet, gibt der Möchtegern-Miss-Baden-Württemberg die Kraft, an ihrem Traum festzuhalten. Sie lernt tanzen, den Kopf bedeckt mit einem Turban, und natürlich findet sich eine Kamera, die ihre beschwörenden Armschwünge festhält. Es gibt viele Arten, schön zu sein. Eine davon heißt Mareike. Und die ist klein, nicht gerade dünn und haarlos.
„Bin ich sexy?“, 20 Uhr 15, ZDF
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