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Kulturwandel? Die Erwartung, dass mit der Einführung einer Beschwerdestelle sexuelle Belästigung und Gewalt aus der Kreativwirtschaft verschwinden, ist verfrüht. Foto: dpa
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#MeToo in der Kreativwirschaft: „Betroffene haben Angst, ob ihnen geglaubt wird“

Sexuelle Belästigung und Gewalt gehören weiter zur Kreativwirtschaft: Themis-Vorstand Barbara Rohm zieht erste Bilanz zur Beschwerdestelle.

Frau Rohm, am 1. Oktober 2018 hat Themis, die Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt in der Kreativwirtschaft, ihre Arbeit aufgenommen. Was ist Ihre erste Bilanz, wie hoch ist die Zahl der Menschen, die sich an Themis wenden?

Um eine Bilanz zu ziehen, ist der Zeitraum noch zu kurz. Wir befinden uns mitten im Aufbau, und da es etwas Vergleichbares in der Branche bisher nicht gibt, betreten wir Neuland. Was wir aber sagen können, ist, dass sich täglich Ratsuchende melden, das sind Betroffene und auch Unternehmen.

Kommen mehr Frauen als Männer?

Es melden sich auch Männer bei der Vertrauensstelle, aber die große Mehrheit sind Frauen.

Belästigungen und sexuelle Gewalt, sind das die wesentlichen Beschwerde-Kategorien?

Die Vorfälle, die Betroffene schildern, reichen von verbalen Belästigungen bis zu schweren Straftaten wie Vergewaltigungen.

Themis ist für die Beschäftigten bei Film, Fernsehen und Theater zuständig. Sind die Branchen unterschiedlich stark betroffen?

Auch hier ist der Betrachtungszeitraum noch zu gering, um belastbare Aussagen treffen zu können. Wir werden nach dem ersten Tätigkeitsjahr eine Evaluation durchführen. Aber selbst die lässt keine Rückschlüsse zu, ob bestimmte Branchen stärker betroffen sind. Es ist ja möglich, dass unser Angebot in bestimmten Branchenteilen oder in Berufsgruppen stärker bekannt ist, respektive stärker akzeptiert wird als in anderen. Um das herauszufinden und die Arbeit auf noch solidere Füße zu stellen, brauchen wir eine Studie. Die Vorbereitungen und Gespräche für die Finanzierung laufen.

Werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur mit akuten Fällen oder auch mit Vorfällen aus der Vergangenheit konfrontiert?

Es geht hauptsächlich um aktuelle Fälle. Lange zurückliegende Vorkommnisse sind die Ausnahme.

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Wenn ein Fall bekannt wird, wie wird dann vorgegangen?

Das Vorgehen richtet sich ganz nach den Bedürfnissen der Betroffenen, die immer die Kontrolle über das Verfahren haben. Das heißt, es wird nichts unternommen, was nicht mit den Betroffenen abgestimmt wurde und ihren Wünschen entspricht. Das ist die Basis von Vertrauen. Zuerst kann juristische und/oder psychologische Beratung in Anspruch genommen werden, um das Erlebte einzuordnen und sich über die möglichen nächsten Schritte zu informieren. Die Beraterinnen stellen immer wieder fest, dass Betroffene ihre Rechte nicht, beziehungsweise viel zu wenig kennen. Und viele möchten, wenn sie anrufen, anonym bleiben – und auch hier wird kein Druck ausgeübt. Entschließt sich jemand zu einer Beschwerde, richtet sich die Themis an die zuständige Produktionsfirma oder den Sender und handelt im Auftrag der Betroffenen.

Kann Themis sanktionieren oder wenden Sie sich an den Auftraggeber/Arbeitgeber, auf dass dieser dann für Konsequenzen sorgt?

Sanktionieren kann nur die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber im Rahmen des Arbeitsrechtes oder, wenn rechtliche Schritte eingeleitet wurden, ein Gericht. Aber die Themis kann durch die Möglichkeit der Beschwerdeverfahren in den Unternehmen den Prozess in Gang setzen, der dann zu Sanktionen führt, und sie kann im Namen der Betroffenen sprechen.

Im Fall von gerichtlichen Schritten kann die Themis keine anwaltliche Vertretung übernehmen, aber sie kann erfahrene Juristinnen und Juristen empfehlen.

Nach Ihren Erfahrungen: Wie viele der Beschwerden sind berechtigt?

Die allerwenigsten Betroffenen wagen es, ihr Recht, eine Beschwerde zu führen, in Anspruch zu nehmen. Die Befürchtung, keinen Job mehr zu bekommen und als Nestbeschmutzerin dazustehen, sind meist unüberwindliche Hürden. Außerdem fragen sich die meisten, ob sie das Geschehen nicht einfach hinnehmen müssen, da es ein Teil der Branchenkultur ist und sie zu schwach, respektive zu dünnhäutig sind. Und das ganz unabhängig von der Schwere des Vorfalls.

Sexuelle Belästigung und Gewalt, egal ob in verbaler oder physischer Form, verletzt das Recht auf einen Arbeitsplatz frei von Diskriminierung. Eine Beschwerde ist von den Unternehmen immer ernst zu nehmen. Nicht nur weil sie im ersten Schritt Maßnahmen ergreifen müssen, um Betroffene beziehungsweise andere, die ebenfalls Opfer werden könnten, zu schützen. Es folgen die Pflicht zur Klärung der Sachverhalte und je nach Ausgang, Sanktionen.

Eine Beschwerde ist in diesem Sinne also immer berechtigt, weil sie den Prozess der Aufklärung des Geschehens überhaupt erst in Gang setzt. Und zur Klärung gehört ja ein ergebnisoffener Ausgang.

Aber nicht wenige der Betroffenen zögern mit ihrer Beschwerde.

Die große Sorge von Betroffenen gilt der Verunsicherung und ihrer Angst, ob ihnen geglaubt wird. Sie haben ja oft ein Arbeitsklima erlebt, in dem Vorgesetzte das Geschehen bagatellisiert haben oder Zeugen geschwiegen und weggeguckt haben. Und das, obwohl es seit der Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes AGG vor 13 Jahren eine Beweislastumkehr gibt, die ganz bewusst die Position der Betroffenen stärkt.

Reichen die Befugnisse von Themis aus?

Ein in Größe und Konstellation noch nie dagewesenes Bündnis innerhalb der Kulturbranche bildet den Trägerverein von Themis. Er vereint unter anderem Sender, Produktionsfirmen, Theater, die großen Verbände der Arbeitgeberinnen und der Arbeitgeber und auch die Verbände, die die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vertreten. Und dies ist ein klares Bekenntnis, die Themis als Instanz anzuerkennen und bei Beschwerden zu kooperieren. Dies bestätigen auch die bisherigen Erfahrungen.

Der Ablauf von Beschwerdeverfahren, die Pflichten der Arbeitgebenden und die Rechte von Arbeitnehmenden sind durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz klar geregelt. Leider herrscht auf allen Seiten ein großes Unwissen beziehungsweise eine starke Verunsicherung darüber. Deshalb ist die drängende Frage nicht, ob die Befugnisse reichen, sondern wie mehr Wissen darüber verbreitet und mehr Bewusstsein geschaffen werden kann. Die Erfahrungen der Themis sind ein wichtiger Baustein, um die Diskussion darüber in der Branche zu entfachen.

In der Welt von Film, Fernsehen und Theater entstehen schnell Abhängigkeiten und Näheverhältnisse. Diese Strukturen befeuern übergriffiges Verhalten. Kann da eine überbetriebliche Vertrauensstelle den notwendigen Klimawandel bewirken?

Es gibt wenig Vertrauen in interne Beschwerdestellen – und das hat nichts mit der Professionalität der Zuständigen zu tun, sondern weil es die Angst gibt, dass ein Gerede entsteht und die Betroffenen keine Kontrolle mehr über das weitere Geschehen haben.

Deshalb ist eine überbetriebliche und unabhängige Beschwerdemöglichkeit der richtige Weg. Einmal, weil sie absolute Anonymität gewährleisten kann und weil die Kontrolle über den weiteren Verlauf bei den Betroffenen liegt. Sie haben durch die sexuelle Belästigung oder Gewalt ja schon mal einen zutiefst verunsichernden Kontrollverlust erlebt und das in einem Rahmen, in dem sie geschützt sein müssten.

Also ist der Kulturwandel noch mehr Wunsch als Wirklichkeit?

Ein Kulturwandel findet nur statt, wenn wir Betroffenen die Möglichkeit geben, die vorherrschende Schweigekultur zu brechen. Dafür brauchen sie viel Unterstützung und einen sicheren und professionellen Rahmen, den ihnen die Themis bietet. Das muss Hand in Hand gehen mit einem neuen Bewusstsein in der Branche, dass dieser Wandel in der Arbeitskultur nicht auf den Schultern der Betroffenen liegen darf. Der Schlüssel dazu sind glaubhafte und vielfältige Maßnahmen seitens der Unternehmen zur Prävention, angefangen bei der Schulung von Führungskräften.

Das Interview führte Joachim Huber.

www.themis-vertrauensstelle.de

Barbara Rohm ist Regisseurin und Fotografin, zudem arbeitet sie als Vorsitzende von Pro Quote Film und Vorstand von Themis, Vertrauensstelle für sexuelle Belästigung und Gewalt.

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