Schlau, schlauer, am schlausten: Besserwissers Liebling
Der App-Hit „Quizduell“ raubt uns die Zeit, bringt Freude und Frust. Aber Wissen ist geil, gewinnen noch geiler. Und jetzt droht mit „Flappy Bird“ die nächste Sucht.
Es fiele deutlich schwerer zuzugeben, dass man abends allein zu Hause rumsitzt und „Quizduell“ spielt, wüsste man nicht genau, dass die eigenen Freunde exakt dasselbe tun. Die App gibt schließlich jedes Mal laut, sobald der Gegenspieler seinen Zug gemacht hat. So ist das: Ein unspektakuläres Leben wirkt viel vorzeigbarer, wenn einem bewusst ist, dass andere auch nicht besser dran sind.
Gut möglich, dass Statistiker in Deutschland bald Alarm schlagen und ein signifikantes Absinken von Produktivität, Bruttoinlandsprodukt und Geburtenrate vermelden müssen. Klar, wem dann die Schuld gegeben wird.
Kurze Erklärung für die vermutlich paar Dutzend, die Quizduell bis jetzt noch nicht auf Smartphone oder Tablet installiert haben. Es handelt sich um ein kurzweiliges, extrem süchtig machendes Spiel, bei dem zwei Kandidaten abwechselnd Wissensfragen gestellt bekommen und aus je vier möglichen Antworten eine auswählen müssen. Nach 18 Fragen steht fest, wer gewonnen hat und wer sich was schämen muss. Quizduell ist quasi interaktives „Wer wird Millionär?“, bei dem einen Günther Jauch zwischendurch nicht in lästige Gespräche verwickeln kann. Zu gewinnen gibt es hier nichts – außer das sagenhafte Gefühl, ein schlaues Köpfchen zu sein.
Das Tolle ist: Man kann seine Freunde, Bekannten und Kollegen zum virtuellen Duell herausfordern, vorausgesetzt, diese haben die App ebenfalls installiert. Und sie dann mit Wissenskategorien quälen, von denen sie hoffentlich keine Ahnung haben. Welche Band ging 2005 auf „Vertigo Tour“? U2. Aus welchem Land stammt die Spirituose Cachaca? Brasilien. Was stand auf Jesus’ Kreuz geschrieben? INRI. Innerhalb weniger Wochen hat sich das Spiel zu einem Grundbedürfnis der Deutschen entwickelt: essen, schlafen, Quizduell zocken. Über die Reihenfolge lässt sich streiten.
Es gibt viel schlimmere Süchte. Heroin zum Beispiel. Und es gibt schmerzhaftere Tätigkeiten, mit denen man seine Zeit vergeuden kann. Dennoch stellt sich die Frage: Ist Quizduell ein sinnvolles, lohnendes Vergnügen – oder hält man sich besser davon fern?
Zunächst gibt’s für Quizduell-Süchtige keine Pausen im Alltag mehr. An der Bushaltestelle, an der Supermarktkasse: Wo immer gewartet wird, muss der Smartphone-Besitzer ab sofort keine Mails mehr abrufen und enttäuscht feststellen, dass ihm in der vergangenen Viertelstunde niemand geschrieben hat.
Dass Quizduell einen guten Eindruck von Breite und Tiefe des eigenen Allgemeinwissens vermittelt, ist ebenfalls unbestreitbar. Viele behaupten jedoch, das Spiel vermehre sogar das eigene Wissen. Das ist Unfug. Zwar gibt es 25 000 Fragen und Antworten, und hin und wieder gelingt es einem tatsächlich, sich die richtige Antwort einzuprägen. Aber dann weiß man eben bloß, wie viele Tore Lionel Messi in der Saison 2011/2012 geschossen hat – die seiner bisher 13 anderen Spielzeiten bei Barcelona werden nie abgefragt. Es handelt sich um extrem punktuelle Wissensvermittlung.
Zum Glück wird das Verlangen nach der nächsten Spielrunde, nach der nächsten Frage irgendwann abklingen. Das hat uns die Vergangenheit gelehrt. Es gab schließlich bereits Spiele, denen wir eine Zeitlang unsere ganze Freizeit opferten, nur um dann das Interesse zu verlieren. Die dämliche „Moorhuhnjagd“ etwa. Rückblickend lässt sich kaum erklären, wie dieses Programm einen so sehr in den Bann ziehen konnte. Oder „Angry Birds“, bei dem rachsüchtige Vögel auf grüne Schweine geworfen werden mussten. Wobei dieses Spiel in bestimmten Kreisen noch immer populär ist, denn die Macher hatten eine geniale Idee: Sie programmierten eine „Star Wars“-Version von Angry Birds, bei der die Vögel nun mit Lichtschwertern kämpfen. „Star Wars“-Fans sind bekanntlich äußerst treu, die spielen auch dann noch, wenn der Hype längst vorbei ist.
Die gute Nachricht: Tatsächlich haben die ersten Quizduell-Jünger ihre Antwortwut schon runtergepegelt. Die schlechte: Sie haben sich „Flappy Bird“ zugewandt. Ein optisch sehr schlichtes, fast schäbiges Spiel, bei dem ein pixeliger Vogel durch einen Parcours aus Röhren gesteuert werden muss. 50 Millionen Mal wurde Flappy Bird weltweit bereits runtergeladen, und einige behaupten, der Suchtfaktor sei noch höher als bei Quizduell. Was auch deshalb bemerkenswert ist, weil es der gängigsten Spielsuchttheorie widerspricht. Sie geht davon aus, dass Nutzer durch viele kleine Erfolgserlebnisse bei der Stange gehalten werden. Für die Entwickler galt jahrelang die Maxime, das Spiel zwar nicht langweilig, aber mit einem Schwierigkeitsgrad auszustatten, der zwischendurch Belohnung zulässt.
Flappy Bird ist dagegen verdammt schwer, schenkt einem keine Belohnungen, sondern das Gefühl kompletter Unfähigkeit. Trotzdem fängt man nach jeder Demütigung wieder von vorn an.
Am Sonntag hat der vietnamesische Entwickler sein Spiel aus dem Apple- Store genommen, angeblich hält er den Erfolg nicht aus. Jetzt verbreitet es sich illegal. Egal. Spätestens im März wird Flappy Bird wahrscheinlich von der nächsten großen Sucht-App abgelöst, die jetzt noch keiner kennt. Man kann nur hoffen, dass die eigene Kompetenz im Umgang mit App-Spielen und die Widerstandskraft mit den Jahren wächst. Und dass das eigene Gedächtnis gnädig sein wird und kurz vorm Tod, wenn noch einmal das ganze Leben vorm inneren Auge vorbeizieht, die zahllosen Runden Angry Birds und Quizduell einfach überspringt. Bitte.
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