Kampf gegen Fake News: Bayerischer Rundfunk beschäftigt Putztruppe
Was tun gegen Fake News? Der Bayerische Rundfunk versucht es mit dem Pilotprojekt „BR-Verifikation“.
Wer verstehen will, wie falsche Nachrichten entstehen, muss nur ein wenig bei Facebook oder in den Kommentarspalten der Nachrichtenportale herumlesen. Da stößt man zum Beispiel auf Leserdiskussionen über die Wahl des Bundespräsidenten. Eine Wahl, so weiß ein User, die „ganz klar undemokratisch“ abgelaufen sei, weil das Ergebnis schon vorher festgestanden habe. Ein großer Bluff, zur Verdummung der Wähler. Damit die Politiker tun können, was sie wollen. Wisst Ihr übrigens, schreibt ein anderer, dass Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue residiert, in einem Schloss mit 1000 Zimmern?
Mit solchen Fällen hat Gudrun Riedl, stellvertretende Redaktionsleiterin von BR24, dem aktuellen Nachrichten-Angebot des Bayerischen Rundfunks, ständig zu tun. Jeder Social-Media-Redakteur beim Bayerischen Rundfunk (BR) muss Tag für Tag etwa 500 Kommentare gegenchecken, ob sie falsche Fakten oder Beleidigungen enthalten.
Das ist eine Sisyphusarbeit, denn es sind immer wieder die gleichen Fragen und Diskussionen, die in den Portalen und sozialen Netzwerken auftauchen, und oft basieren sie auf falschen Annahmen und Grundlagen. „Darauf müssen und wollen wir effektiver reagieren“, sagt Gudrun Riedl. Mit einer neuen Software namens „Factfox“, die an eine wachsende Datenbank angebunden ist, können Redakteure den BR-Usern schnell überprüfte Zahlen und Fakten entgegenhalten. Oft, sagt Riedl, entwickeln sich daraus wieder neue Diskussionen. „Manche Leser bedanken sich sogar, wenn wir sie auf Fehler in der Argumentation hinweisen.“
Redakteure als Schleusenwärter
Zahlen, Fakten, Argumente? Bis vor einigen Jahren war dies auch beim Bayerischen Rundfunk das Hoheitsgebiet ausgebildeter Journalisten. Als „Gatekeeper“, als Schleusenwärter des Nachrichtenflusses, bestimmten die Redakteure, wer welche Geschichten und welche Hintergründe zu Gesicht und zu Gehör bekam. Und wenn es gut lief, recherchierten sie ihre Fakten gründlich, bevor diese dann gesendet wurden. Doch seitdem die sozialen Netzwerke, die der Blogger Sascha Lobo als „Gefühlsmedien“ bezeichnet, die Weltherrschaft im Medienbetrieb übernommen haben, müssen auch die öffentlich-rechtlichen Bayernfunker umdenken.
Denn die User machen sich ihre Nachrichten selbst und verbreiten sie über Social Media, wie sie wollen. Was bedeutet das für ein Qualitätsmedium? Christian Daubner, Leiter der digitalen Informationsstrategie des Senders, drückt es angemessen staatstragend aus: „Wir müssen den Anspruch des klassischen Journalismus in die digitale Welt übertragen.“ Und: „Unsere Hörer und Zuschauer sollen sich nicht auf der Basis von Gefühlen, sondern von Fakten eine Meinung bilden können.“
Das klingt gut, ist aber nicht so einfach umzusetzen. Beim BR läuft seit einigen Tagen ein Pilotprojekt zum Aufbau der neuen Einheit „BR-Verifikation“. Die soll der immer unkontrollierbareren Flut von Fake News beikommen. Fünf Redakteure sitzen nun jeden Morgen in einem Projektraum zusammen. Sie kommen von anderen BR-Abteilungen wie dem Rechercheteam, auch Datenjournalisten sind dabei. Zunächst sondieren sie in den Sozialen Netzwerken.
Worüber reden die Menschen, was interessiert sie besonders, „sind Manipulationen unterwegs“, wie Christian Daubner sagt. Besonders achten die Verifikations-Leute darauf, wo „gezielt Fakten verdreht werden“, ob also Sachverhalte nicht aus Unkenntnis, sondern „in manipulatorischer Absicht verfälscht werden“.
Verifikationstruppe ist Putztruppe
Und dann? Natürlich kann nicht jede Nachricht von dem kleinen Team selbst überprüft werden. Man sieht sich als Schnittstelle zu den Fachredaktionen des Hauses. Das heißt vor allem: Die Verifikations-Truppe macht die Kollegen auf Ungereimtheiten aufmerksam. Zum Beispiel: Stimmt es wirklich, dass in Italien neuerdings Hotelbesitzer enteignet werden, um in ihren Häusern Flüchtlinge unterzubringen? Die Recherche der Politikredaktion ergibt: Es gab tatsächlich einen ähnlichen Fall. Aber nur einen. Das Ergebnis wird umgehend an die User weitergegeben, die in den BR-Foren über den Fall diskutieren.
Nicht nur beim Bayerischen Rundfunk, auch beim ZDF und anderen Sendern sind inzwischen ähnliche Abteilungen am Werk. Das Münchner Verifikationsteam arbeitet mit den Kollegen von ARD aktuell („Tagesschau“/„Tagesthemen“) in Hamburg zusammen. Wobei man sich nicht dafür zuständig hält, grundsätzlich alle Fehler zu korrigieren, die auf Facebook und anderen Netzwerken gemacht werden. „Diese haben selbst die Verantwortung für ihre Inhalte“, sagt Christian Daubner. Trotzdem müsse man die eigenen Zuhörer und Zuschauer erreichen. Auch die Politik sieht er in der Pflicht, wobei er jedoch von Aktionismus nichts hält. „Es ist schwer, gesetzliche Regelungen zu finden, ohne die Meinungsfreiheit zu beschneiden.“
Und noch ein Problem gibt es bei diesem Job, die wahren von den gefälschten Nachrichten zu trennen: Wo beginnt eigentlich der Fake bei den News? Wenn „Bild“ über Ufos in der Antarktis berichtet – ist das schon Fälschung oder harmlose Übertreibung? Wann geht erwünschte Kommentierung in nicht erlaubte Propaganda über? Und erkennen wirklich alle Leser die satirischen Elemente eines Berichts? Die Übergänge sind fließend, darüber sind sich journalistische Profis einig.
Ende März soll die Konzeption für die neue Einheit stehen, danach wird mit dem Aufbau begonnen. Gudrun Riedl von BR24 ist schon jetzt optimistisch. User auf falsche Nachrichten aufmerksam zu machen, sei heute nun mal eine wichtige Aufgabe für Journalisten. Sie habe festgestellt: „Wir bringen die Leute zum Nachdenken.“
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