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Der korrupte Bürgermeister von „Hindafing“, Alfons Zischl (Maximilian Brückner, rechts) wird abgeführt.
© NEUESUPER/Günther Reisp/BR

Wenn Fernsehen, dann Bayern?: Auf dicke Lederhose machen

Bayern sind Deutschlands Fernsehlieblinge. Dabei ist die weiß-blaue Seele des Bayers schlicht und schwarz.

„Es gabad a Leich’!“ Wer bei dieser Ankündigung einer toten Person im bayerischen Konjunktiv II schon aussteigt, outet sich als „Rosenheim Cops“-Ignorant. Der mag „Hubert und Staller“ genauso wenig wie den „Bullen von Tölz“. Und dem rutscht die aktuelle Erfolgsserie „Hindafing“ den Buckel runter, auch wenn die deutschen TV-Kritiker sie zehn Mal zum „bayerischen Fargo“ hochgejubelt haben.

Aber: Mit dieser Haltung wird er relativ allein sein. Kein anderes Bundesland und seine Eigenheiten faszinieren Produzenten und Zuschauer so sehr wie Bayern. Der geliebte oder wahlweise verachtete Freistaat zieht fiktiv sogar die an, die dort im echten Leben nicht tot über dem Zaun hängen wollen. Die „Rosenheim Cops“ im ZDF planen ihre 400. Folge, „Hubert und Staller“ schusseln sich seit sechs Staffeln durch ihre Ermittlungen – und „Hindafing“ samt korruptem, koksendem Bürgermeister Alfons Zischl wurde gerade das Prädikat „beste deutsche Fernsehserie“ verliehen. Die Bayern darf der Dreh- und Fernsehboom freuen. Kaum ein Kleinstadt-Marktplatz oder denkmalgeschützter Bauernhof war noch nicht abgeriegelt mit der Begründung: „As Fernsehen is’ do!“

Die Freude der Deutschen an Figuren, die seltsam gekleidet sind und krachende Schimpfwörter benutzen, reißt nicht ab. Zwei Fragen stellen sich trotzdem: Warum ist das so? Und: Geht’s da unten wirklich so zu?

Die scheinbar so faszinierende Seele des Bayern ist, fasst man es einmal knapp zusammen, schlicht und schwarz. Schlicht nicht in dem Sinne, dass er dumm wäre, und schwarz nicht zwingend im Hinblick auf seine politische Präferenz. Schlicht will sagen, dass sich der Bayer ungeniert an einfachen Dingen freut, keinen komplizierten Schnickschnack mag und ein Repertoire an Verwünschungen parat hat, das jedem Preußen (also qua Definition: jedem Nicht-Bayern) die Schamesröte ins Gesicht treibt. Schwarz will sagen, dass sich der bayerische Humor ebenso wie der gefürchtete bayerische Grant eines gewissen Hintersinns befleißigt. Dass es hinter der gutmütigen Weißwurst- und Brezn-Fassade durchaus brodeln kann. So ist es zumindest im Fernsehen, und obwohl da manches überzeichnet ist: So ganz unrecht haben die Serienmacher nicht. Wie auch – viele von ihnen sind selbst Bayern. Sie haben ihre Lektionen in vielen Stammtischrunden gelernt.

Bayern ist Oberbayern

Beim Beobachten dieser rustikalen Figuren lernt der Zuschauer allerdings nur eine Ausprägung des Bayers kennen. Nämlich die des Oberbayern – samt passendem Dialekt, wenn sich denn Schauspieler finden, die ihn wirklich beherrschen. Der Bildschirm zeigt, wie einige Seriennamen schon verraten, vorzugsweise München und Umgebung, Bad Tölz, Wolfratshausen, Rosenheim und den Chiemgau. Ganz selten gibt es Ausflüge nach Passau und in den Bayerischen Wald. Klar, die Landschaft soll etwas hermachen, die meisten Zuschauer erwarten urige Gaststuben, pittoreske Zwiebelturm-Kapellen, Bergkulisse samt dort ansässigen Ureinwohnern. Es ist der südlichste Zipfel Bayerns, der da in Dauerschleife versendet wird, nur ein Katzensprung nach Österreich. Und selbst in diesem beschränkten Gebiet hält es mit der geografischen Genauigkeit keiner so genau: Es fällt ohnehin nur den Einheimischen auf, wenn der Starnberger See mal wieder am Chiemsee gedreht wurde. Oder umgekehrt.

Dass Bayern nicht nur aus Oberbayern besteht, sich die gesprochenen Dialekte alle paar Kilometer Luftlinie ändern und es Bayern gibt, die gar keine sein wollen – nämlich die Franken, gebietsweise auch die Schwaben: geschenkt. Es gab schon mehrmals Protest aus dem Frankenwald, die medial verwerteten Einheimischen stünden mitnichten für das gesamte Bundesland. Stimmt. Sogar unter weiß-blauem Himmel laufen nur noch die wenigsten täglich mit Tegernseer Lodenjoppe herum und sprechen astreines Oberbayerisch. Immerhin: Die gezeigten Figuren dürfen mittlerweile auch einmal Jeans oder Anzug anziehen.

In diesem TV-Reservat, das einen Radius von vielleicht 200 Kilometern umfasst, geschehen dann die erstaunlichsten Dinge. Es wird gesoffen, gemordet, beschissen, korrumpiert und seit Neuestem, in „Hindafing“, sogar gekokst und Meth gekocht, wie man es sonst nur aus „Breaking Bad“ kennt. Uwe Brandl, der Präsident des Bayerischen Gemeindetags, fühlte sich bei so viel Chicago an der Donau sogar genötigt festzustellen: „Koksende Bürgermeister sind nicht Ausdruck bayerischer Lebensart!“ Von der ebenfalls in der Serie gezeigten Korruption hat Brandl sich nicht so klar distanziert. In Bayern nennt man derartige Vorgänge aber auch beschwichtigend „Freinderlwirtschaft“ (Freundewirtschaft). Das gegenseitige Händewaschen gehört seit Franz Josef Strauß zum guten Ton unter politischen Freunden und ist nie so ganz aus der Mode gekommen.

Rosenheim, ein heißes Pflaster

Von Morden, Korruption und Betrug bleibt Bayern sicher nicht verschont, weder im echten Leben noch im fiktiven. Freilich: Wenn wirklich so viele Personen von Hirschfängern durchbohrt oder heimtückisch mit Jagdstutzen erschossen werden würden wie im Fernsehen, wäre die Bevölkerung mittlerweile ausgedünnt. Klug sind aber zum Beispiel die „Rosenheim Cops“ angesiedelt, denn Rosenheim ist, im Vergleich zu anderen Orten, tatsächlich ein relativ heißes Pflaster. Die 60 000-Einwohner-Stadt hatte zeitweise eine höhere Kriminalitätsrate als München, in Rosenheim blühte in den Neunzigern die Drogenszene und bis heute das Rotlicht-Milieu. Grund ist unter anderem die nahe Grenze zu Österreich. Die Einheimischen nennen ihren Wohnsitz manchmal liebevoll „Rosencrime“.

Muss man sich als – bayerischer – Zuschauer ärgern, wenn außer vielen Klischees auch noch die wirklich unschönen Seiten des Landes gezeigt werden? Erstaunlicherweise tut das fast niemand, denn an den meisten Geschichten ist eben doch ein Funken Wahrheit dran. Nicht jeder Mord ist wirklich passiert, nicht jeden Schwarzgeld-Transfer hat es tatsächlich gegeben. Aber dass der Bürgermeister betrunken Auto fährt oder im Gemeinderat gemauschelt wird: Solche wahren Geschichten kennt fast jeder. Und was den Bayern deshalb ein Schulterzucken und ein gemütliches „Ja mei“ entlockt, fesselt auch den Rest der Republik. Der sich dank Serienbildung nun sicher sein kann, dass er schon immer wusste, wie schlimm und seltsam es „da unten“ wirklich ist. „Es gabad a Leich!“

„Hindafing“, Dienstag, BR, 20 Uhr 15: Alle Folgen in der BR-Mediathek

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