Drama: Arbeitsplatz: Hölle
Erst ungläubig, dann verzweifelt: Tobias Moretti kämpft als Mobbing-Opfer gegen seine Chefin.
Landläufig versteht man unter Mobbing die kollektive Schmähung eines Opfers, das sich weiter nichts hat zuschulden kommen lassen, das bloß dem einen oder anderen Kollegen nicht passt, woraufhin dieser Kollege die übrigen mit seinem Missfallen ansteckt, und schon sitzt der Gemobbte, einsam und wehrlos, in der Paria-Falle. Eine solche Geschichte wird im Film „Mobbing“, den Arte am Freitagabend zeigt, aber gerade nicht erzählt.
Drehbuchautoren Eva Zahn und Volker A. Zahn haben nach dem gleichnamigen Roman von Annette Pehnt eine viel interessantere Handlung gebaut: Der Bösewicht bleibt hier im Ungefähren, im Grunde handelt es sich bei ihm um unsere heutige Arbeitswelt. Und das Opfer ist auch nicht nur ein hilfloser Einzelmensch, sondern gleich eine ganze Familie – perspektivisch die abhängig arbeitende Bevölkerung insgesamt. Mit gutem Spürsinn für eine vielfach vermittelte, schwer greifbare, atmosphärische Sonderform des Mobbing hat Regisseurin Nicole Weegmann diesen Stoff in ein differenziertes TV-Drama verwandelt.
Jo Rühler (Tobias Moretti) ist als Kulturreferent bei der Stadtverwaltung Freising angestellt. Er übt seinen Job schon lange, erfolgreich und gerne aus, er lebt zufrieden mit Ehefrau Anja (Susanne Wolff) und zwei Kindern in einem schmucken Haus. Und wie es so geht im Leben: Eine neue Chefin erscheint in Jos Referat. Sie tritt nie auf, man erfährt von ihr nur aus Gesprächen zwischen Jo und seinem Freund und Kollegen Markus (Andreas Lust). Und was man da erfährt, klingt nicht gut. Ihr Lieblingsschmäh ist „unterste Schublade“. Und da hinein packt sie auch die Leistungen von Jo Rühler. Der bereitet gerade, wie jedes Jahr, das große Stadtfest vor. Plötzlich heißt es: Mit diesem Job wird jemand anders betraut. Jos Frau Anja, fassungslos: „Warum macht sie das?“ Jo: „Weil sie es kann.“
„Mobbing“ handelt von Machtstrukturen, von Hierarchien, vom Ausgeliefertsein des Angestellten auf mittlerer Ebene, wenn plötzlich die Chemie nicht mehr stimmt, weil die „oberste Schublade“ nach Gusto durchgreift. Jo verliert einen Aufgabenbereich nach dem anderen, bis er schließlich unter einem Vorwand fristlos entlassen wird. Ausgezeichnet agiert Tobias Moretti als nicht einfach bloß Gekündigter, sondern als – wie er es empfindet – Ausgestoßener. Auch Partnerin Susanne Wolff als Anja beeindruckt in der Rolle der sozusagen Mitgefangenen, die nie genau weiß, was läuft, aus den Mienen ihres Mannes den Hergang dieses auch ihre Existenz bedrohenden Mobbings entschlüsseln und zugleich versuchen muss, einen Rest von Überlebensfähigkeit zu wahren. Die Freunde tuscheln. Was ist mit den Rühlers los? Der kleine Sohn kriegt viel mehr mit, als er sollte. Zum Unglück gesellt sich die Isolation.
Jo mag sich seiner Frau nicht vollends anvertrauen, er hadert mit sich und der Welt, strengt einen Arbeitsrechtsprozess an. Das Mobbing-Opfer verbittert: Es wird klar, dass der gekündigte Kulturreferent so vollständig mit seinem Beruf identifiziert war, dass ihm nach dessen Verlust nichts bleibt als die Aussicht auf Vergeltung. Er will nicht, wie Freund Markus, einfach gehen und woanders neu beginnen, er lässt sich nicht wegnehmen, was ihm, wie er meint, zusteht.
Erst ungläubig, dann verzweifelt betrachtet Anja , aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird, die Verwandlung ihres lebenslustigen Ehemannes in einen Streithammel. „Hör mit dem Kampfgerede auf“, raunzt sie ihn an. Sie ringt mit ihren Mitteln um den Zusammenhalt der Familie, sie hat keine Chance gegen das Kräftemessen zwischen der Stadtverwaltung und deren loyalen Angestellten auf der einen und dem Paria auf der anderen Seite. Einmal fällt der Satz: „Unsere Arbeitswelt produziert Psychos am laufenden Fließband.“ Barbara Sichtermann
„Mobbing“, 20 Uhr 15, Arte
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