Der "Tatort" aus Dortmund: An der Schmerzgrenze
Das Dortmunder „Tatort“-Team sucht einen Mörder in der Notaufnahme. Ärztliche Hilfe braucht dabei besonders Kommissar Faber.
Die Einstiegsszene aus dem neuen Dortmund-„Tatort“ dürfte Ulrich Sierau wieder einmal missfallen. Bereits nach der Folge „Zorn“ hatte sich der Oberbürgermeister der Ruhrgebietsstadt bei WDR-Intendant Tom Buhrow bitterlich über das Bild beklagt, das der ARD-Sonntagskrimi von seiner Stadt zeichnet. Und das wird mit der neuen Episode mit dem Titel „Inferno“ nicht besser: Ein Mann in weinrotem Hoodie zerschlägt gleich zu Beginn ein Autofenster, reißt Lenkrad mitsamt leicht verkäuflichem Airbag heraus. Das Ganze passiert an einer mit Graffiti vollgesprühten Unterführung.
Noch bedenklicher ist das Verhalten von Kommissar Faber (Jörg Hartmann), der just vorbeikommt, als der Diebstahl passiert. Statt als Polizist einzuschreiten und den Täter zur Rede zu stellen, fragt Faber nur nach dem Weg zum nächsten Spielplatz. Während der Täter ungehindert entkommt, wachträumt Faber von seiner Frau und seinem Kind, die beide vor Jahren bei einem fingierten Unfall ums Leben kamen. Um den psychischen Zustand des Dortmunder Kommissars steht es wahrlich nicht zum Besten.
In der Dortmunder Mordkommission hat jeder sein Päckchen zu tragen, am schwersten jedoch Faber. Der Chef der Notfallambulanz muss nur einen Blick auf ihn werfen, um zu erkennen, dass er unter Albträumen leidet und Psychopharmaka nimmt. Fabers Kollegin Bönisch (Anna Schudt) wundert das nicht. „Ich sehe nur, dass Sie verrückt sind, nicht aber, was Sie dagegen machen“, erwidert sie auf die Frage, ob sein Zustand tatsächlich so offensichtlich ist.
Das Treffen mit dem Mediziner kommt zustande, weil in der Notfallambulanz eine Ärztin unter ungeklärten Umständen ums Leben kam. Sie wurde halb entkleidet in einem abgeschlossenen Raum mit einer Plastiktüte über dem Kopf tot aufgefunden. Die Ermittlungen zur Todesursache gestalten sich schwierig, denn die Ambulanz lässt sich anders als die meisten sonstigen Tatorte nicht mal eben während der Ermittlungen schließen.
Statt dessen muss im laufenden Betrieb geklärt werden, wie die Frau zu Tode kam und ob ein Verbrechen vorliegt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Kollegen der Toten keine Zeit haben, die Fragen der Ermittler zu beantworten. Auf den Krankenhausgängen herrscht ein Gewimmel wie nach einer Massenschlägerei im Fußball-Stadion. Wenn ständig neue Notfälle hereingeschoben werden, bleibt keine Zeit für Trauer und Empathie. Da muss der Stationsarzt dafür sorgen, „den Ausfall der Kollegin zu kompensieren“.
Der „Tatort“ aus Dortmund neigt zur Übertreibung
Die aktuelle Diskussion über Patienten, die lieber in die Ambulanz gehen, statt auf einen Facharzttermin zu warten, wird allerdings nicht aufgegriffen. In der Ruhr-Emscher-Klinik sieht man tatsächlich nur Menschen mit schweren Verletzungen oder Verstörte, die herumrandalieren, weil sie sich gegen Pfefferspray-Attacken von Polizisten immunisieren wollten, aber bei der Dosis übertrieben haben. Zu leichter Übertreibung neigt der Dortmund-„Tatort“ bekanntermaßen ohnehin, siehe die nicht ganz unberechtigte Kritik von Oberbürgermeister Sierau, aber vor allem das Verhalten von Kommissar Faber.
Der „Tatort“ aus Dortmund entwickelt dabei zunehmend stärkere Zentrifugalkräfte. Fabers junger Kollege Daniel Kossik – gespielt von Stefan Konarske – war der Erste, der aus dem Team geschrieben werden musste. Die Spannungen zwischen den beiden Figuren waren von Anfang an unübersehbar, so dass ein Ausscheiden von Kossik leicht zu erklären war. An seiner Stelle gehört jetzt Jan Pawlak (Rick Okon) zum nach wie vor disharmonischen Team.
Einen besonderen Ausstieg müssen sich die Autoren nun für Aylin Tezel einfallen lassen, die im kommenden Jahr ihren letzten Einsatz als Kommissarin Nora Dalay haben wird. Am Verhältnis der Schauspieler liege es nicht, ein Zerwürfnis habe es nicht gegeben, man trenne sich in aller Freundschaft, heißt es aus dem WDR. Aylin Tezel, die bei einigen internationalen Produktionen mitspielt, suche vielmehr andere künstlerische Herausforderungen. Dass die Zeit von Nora Dalay abläuft, daran lässt die Episode „Inferno“ wenig Zweifel. Sollte das der Maßstab sein, müsste man angesichts des Zustands von Faber zugleich darüber nachdenken, den „Tatort“ aus Dortmund insgesamt zu beenden. Ob das Oberbürgermeister Sierau gefällt, steht auf einem anderen Blatt.
„Tatort: Inferno“, Sonntag, 20 Uhr 15, ARD