Medien: Allein in Bagdad, allein in Kabul
Sie ist 32 und fährt zu den Krisen und Kriegen dieser Welt – die Reporterin Åsne Seierstad
Frau Seierstad, Sie kamen im Januar nach Bagdad und haben die Stadt zu Ostern verlassen …
… ich war absolut erschöpft, ich hatte 18 Stunden am Tag für Zeitungen, Radio und Fernsehen gearbeitet.
Sind Sie eine klassische Kriegsreporterin, die einen Schauplatz verlässt, sobald ein Krieg entschieden ist?
Es war nicht meine Motivation, Anfang des Jahres in den Irak zu gehen und auf den Krieg zu warten. Ich bin weit vor Kriegsbeginn allein nach Bagdad gekommen, ich wollte herausfinden, wie die Menschen unter der Diktatur Saddam Husseins leben, wie sehr das System die Menschen paralysiert hat, wie groß ihre Angst ist. Ich weiß auch gar nicht, was ein klassischer Kriegsreporter ist.
Vielleicht ein Journalist, der immer dort ist, wo Kriege, Krisen, Konflikte toben – ein Reporter an der Front.
Das trifft auf mich nicht zu. Als ich in Moskau gelebt und gearbeitet habe, begannen die Kämpfe in Tschetschenien und für mich eine frustrierende Situation: Es gab massive Propaganda von beiden Seiten. Was wirklich vor sich ging, war in Moskau nicht herauszubekommen. Da habe ich beschlossen: Ich muss selber dahin und mir selber ein Bild machen. Ich war bei den russischen Truppen, bei der Guerilla, bei der Zivilbevölkerung – ich bekam das ganze Bild. Ich bin Reporterin an den Wendepunkten dieser Welt – in Tschetschenien, im Kosovo, in Afghanistan und jetzt im Irak. Ich bin keine Analytikerin, manchmal erzähle ich Geschichten, meistens berichte ich, was ich gesehen und gehört habe.
Die Gefahr scheuen Sie nicht?
Wenn Sie dorthin gehen, wo ich hingehe, können Sie nicht weggehen, bevor die Geschichte beendet ist. Ehrlich gesagt ist eine Geschichte nie beendet. Für die meisten Leute und für die Medien ist das AfghanistanThema doch seit Weihnachten 2001 beendet, als der Krieg beendet wurde. Ich bin Anfang 2002 nach Kabul zurückgekehrt und blieb dort bis zum Juni in der Familie eines Buchhändlers, um herauszufinden, wie die afghanische Gesellschaft funktioniert, was ihre Grundlagen, was ihre Brüche sind. Ich trug eine Burka, ich verließ das Haus nur in Begleitung, ich saß Tage, Wochen und Monate auf dem Boden, kochte und trank Tee. Ich habe den Alltag einer islamischen Familie gelebt, ich war nicht länger die klassische Reporterin: Fragen stellen, Antworten bekommen und nie Zeit haben – ich hatte Zeit.
So gesehen, haben Sie in Afghanistan, in Kabul, „embedded journalism“ betrieben. Während des Krieges im Irak gab es eine vielleicht vergleichbare Form dieser Berichterstattung: Journalisten lebten Seite an Seite mit den alliierten Truppen.
Die Journalisten, die mit an der Front waren, müssen gesehen haben, wie dieser Krieg geführt wurde. Die amerikanischen Soldaten wollten in erster Linie sich selbst schützen und dann den Krieg gewinnen. Es hat allerdings kaum Berichte der „embedded reporters“ gegeben, dass die amerikanischen Soldaten bei ihrem Vormarsch irakische Fahrzeuge nicht stoppen wollten, sondern gleich zerstörten – nicht wissend, ob da Soldaten oder Zivilisten drin saßen. Nun tun unterschiedliche Journalisten ganz unterschiedliche Dinge: Man muss entscheiden, wo man sein will. Ich war in Bagdad, ich war in Krankenhäusern, ich war gerade dort, wo eine Rakete eingeschlagen ist. Klar ist, dass jeder Reporter immer nur einen ganz, ganz kleinen Ausschnitt sieht und wahrnimmt. Er ist Augenzeuge, und er kann in ehrlicher Weise nur das berichten, was er selbst als Augenzeuge erlebt hat. Der „embedded journalist“ berichtete eben aus der Sicht der Angreifer, ich aus der Sicht der Angegriffenen.
Sie haben auch den irakischen Informationsminister Mohammed al Sahhaf erlebt, der mittlerweile weltweit berühmt ist?
Natürlich. Al Sahhaf ist ein Fuchs gewesen. Er wusste, dass er log, und er wusste, dass wir wissen, dass er log, und er lächelte bei seinen Pressekonferenzen immer ein klein wenig. Aber als Teil des Regimes konnte er nur eines – lügen, was es aus Sicht des Regimes zu lügen gab. Alles andere hätte Saddam Hussein nicht toleriert, hätte Sahhaf und seiner Familie das Leben gekostet.
Lebt Al Sahhaf noch?
Keine Ahnung. Vielleicht hat er Selbstmord begangen, vielleicht ist er geflohen, vielleicht ist er getötet worden.
Sie sind Norwegerin. Außer den Norwegern weiß so gut wie keiner in der Welt, welche Meinung die Norweger zu Afghanistan oder zum Irak haben. Ist das ein Vorteil?
Es ist sicherlich nicht von Nachteil. Wobei im Irak-Krieg die Deutschen und die Franzosen mit ihrer Haltung und ihren Demonstrationen zum Krieg bestimmt die größten Sympathien hatten, ganz anders als die Briten und die Amerikaner. Ich war viel mit britischen Kollegen unterwegs, die vorzugsweise Französisch gesprochen haben. Bei dieser Gelegenheit darf ich auch mal mit dem Klischee aufräumen, dass Kriegsreporter raue, unsensible, breitschultrige Gesellen sind, die sich jeden Abend an irgendeiner Hotelbar betrinken. Die, die ich kennen gelernt habe, waren sehr kenntnisreich, sehr gebildet. Überlegen Sie sich mal: Wo gibt es sonst Briten, die Französisch wie Franzosen sprechen können?
Das Gespräch führte Joachim Huber.
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