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Bloß nicht runterschauen. Claudius Zorn (Mišel Maticevic, rechts) leidet unter Höhenangst – und unter seinem Kollegen Schröder (Axel Ranisch). Foto: ARD
© MDR/Edith Held

Weltschmerz goes Krimi: Alle können ihn mal, alle

„Zorn – Tod und Regen“: Mišel Maticevic zeigt einen Kommissar als Kotzbrocken. In einem Krimi voller Regen, Leichen, Nacht.

Die Welt kann ihn mal. Kreuzweise, rauf und runter, aber so was von. Der Mann möchte sich zwischen seinen Platten und seinem Rauchzeug verkriechen und – genau dort – sich, Halle und den Rest vom Globus vergessen. Und seinen Drecksjob sowieso. Zorn ist Kriminalhauptkommissar, null motiviert, rüpelig, nur dazu fähig, Akten von links nach rechts zu schieben. Und dann dieser Schock: Staatsanwalt Sauer setzt ihn auf einen Mordfall an. Eine ausgeblutete Frauenleiche stellt Fragen. Selten war Zorn zorniger: Der Weltwütige hat überhaupt keine Lust, sich an die Fahndung zu machen. Und dann nervt da noch dieser Assistent: Schröder, immer eifrig, immer informiert, immer besserwisserisch, in seiner Frohnatur die gleiche Pest wie der Staatsanwalt in seiner Verachtung für den „unfähigsten Kommissar“.

Mehr Leichen, mehr Blut, mehr Nacht, mehr Regen, und das alles in diesem Nicht-Ort Halle, wo sich die Abrissbirnen-Mentalität aufs Schlimmste mit Zorns Endzeitstimmung verbindet. Aber sosehr sich der Kommissar in seinem Weltschmerz-Modus vergittert hat, so spürt er doch, dass Staatsanwalt Sauer ihn bewusst ausgesucht hat. Dieser faule, übellaunige und unfähige Fahnder wird doch nicht wirklich an einer Aufklärung interessiert sein ...?

„Zorn – Tod und Regen“, das ist ein Krimi nach dem Roman von Stephan Ludwig, der auch das Drehbuch mitgeschrieben hat. Die Titelfigur interessiert sofort und hält zum Fall die Balance. Weil Zorn nicht „eindimensioniert“ als das gesucht coole Arschloch, das der Welt und ihren Bewohnern den Stinkefinger zeigt, die Ganoven und die Puppen tanzen lässt. Er, der „gern allein ist“, kann kein Blut sehen, hat überhaupt keine Kondition, lässt den Sex im Bett mit hocherotischen Frauen Sex sein, hat irre Höhenangst. Gut, James Bond hätte in Halle an der Saale keiner erwartet, doch hier wird Verzweiflung als Selbsthass und Menschenfeindlichkeit getarnt, ein vielleicht Verlorener, der für seine Misanthropie alles und niemand verantwortlich machen kann. Ich ist ein Verunsicherter.

Mišel Maticevic ist Claudius Zorn, geprägt und eingeprägt durch seine Zusammenarbeit mit Krimi-Meister Dominik Graf („Im Angesicht des Verbrechens“). Hier heißt der Regisseur Mark Schlichter, und der findet für Maticevic dunkel gefärbte Bilder, einen atmosphärischen Atem, eine filmische Seele, die diesen Krimi weit über das „Tatort“-Mittel hebt. Verdammt gut, und der Maticevic ist einer, der nicht das Krimigenre bedient, sondern eine Menschenfigur ausfüllt; Karikatur ist nicht, in den richtigen Momenten wird’s ironisch, der Kern seines Claudius Zorn ist ein Magnet, der die Neugier des Zuschauers anzieht.

Auch das hätte böse ausgehen können: Axel Ranisch spielt Assi Schröder. Der hat in seiner Tappsigkeit eine Menge Scharfsinn versteckt, in seinem Dicksein stecken Warmherzigkeit und Kampfqualitäten und dieses sagenhafte Talent, den Kotzbrocken von Chef so zu umgehen und aufzufangen, dass die Fahndung vorankommt. Schröder ist moderner Epikureer, der einen gewaltigen Bauch hat, doch Ranisch keiner, der seinen Schröder aus dem Bauch heraus spielt. Gedanke geht mit Gemüt und im Zweifel vor Gemüt. Und mit Maticevic bildet Ranisch eine Art modernes „Odd Couple“, nicht auf Witzelei der Verschiedenheit wegen angelegt, sondern als Lakonie ihres Verhältnisses und der Verhältnisse im Außendienst.

„Zorn – Tod und Regen“, dieser Film akzentuiert jede ins Krimineske übersetzte dunkeldeutsche Realität auf eigene, auf überzeugende Weise. Was für eine Überraschung, und das bei einer Produktion, die im Auftrag des ARD-Süßstofffabrikanten Degeto entstanden ist. Joachim Huber

„Zorn – Tod und Regen“, ARD, Donnerstag, 20 Uhr 15

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