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Neue Zeiten. Einige Kinder sollen sich bereits lieber mit dem Digital-Butler Echo von Amazon als mit den Eltern unterhalten, weil von den Sprachassistenten keine Zurechtweisungen und kein Widerspruch zu befürchten sind.
© imago/ZUMA Press

Aufwachsen mit dem Sprachassistenten: Alexa tyrannisiert Amerika

Kein Bitte, kein Danke – wie die digitalen Butler Alexa und Google Home zu ungezogenen Kindern und schlechten Manieren führen.

Die Revolution im Wohnzimmer hat manchmal ungeahnte Folgen. Als einem sechsjährigen Mädchen in Texas kürzlich beim Spielen langweilig wurde, musste Alexa ran. Das Kind bat die Stimme aus dem elektronischen Echo-Butler von Amazon, doch bitte ein Puppenhaus zu bestellen. Alexa gehorchte, orderte ein Spielzeughaus im Wert von 170 Dollar und dazu noch knapp zwei Kilo Kekse. Woher die Idee mit den Keksen kam, weiß niemand. Der Fernsehsender CW6 News in San Diego griff die Geschichte auf und machte alles nur noch schlimmer. Denn ein TV-Sprecher wiederholte den Kaufauftrag des Kindes in seiner Moderation – worauf mehrere Echo-Geräte neben den Fernsehern seiner Zuschauer ebenfalls Puppenhäuser bestellten.

Amerikanische Familien müssen lernen, mit Alexa und Google Home zu leben. Nachdem 2015 in den USA noch weniger als zwei Millionen elektronische Sprachassistenten verkauft wurden, waren es im vergangenen Jahr schon 6,5 Millionen, und in diesem Jahr werden es voraussichtlich rund 25 Millionen sein. Das heißt, dass fast jeder vierte Haushalt in den USA bis Ende des Jahres eines der Geräte besitzen wird. Hinzu kommen Siri von Apple und Cortana von Microsoft, die auf Millionen von Handys zur Verfügung stehen. Nur langsam kommt eine Diskussion darüber in Gang, was das für den Alltag des Familienlebens bedeutet.

Manche Folgen sind offensichtlicher als andere. Die Sache mit dem Puppenhaus gehört zu den auffälligen Momenten, ebenso wie ein YouTube-Video vom Dezember vergangenen Jahres. Darin spricht ein etwa zweijähriger Junge mit Alexa, worauf die Stimme mit der Frage antwortet, ob Pornos, Vibratoren oder anderes Sex-Spielzeug gewünscht werden. Schließlich schreitet der entsetzte Vater ein: „Alexa, stop!“.

Ende der Kindererziehung?

Manche Nutzer sorgen sich, dass die stets höflichen und dienstbeflissenen Helfer der Kindererziehung einen Strich durch die Rechnung machen. Kritiker beklagen einen Kontrollverlust der Eltern und die Macht eines Eindringlings, der die Kinder zu schlechten Angewohnheiten verführt. Anders als beim Fernsehen tritt bei Alexa, Cortana, Siri und anderen Digital-Ratgebern die Vermenschlichung der digitalen Technik hinzu: Der Plastikzylinder wird von Kindern und Eltern gleichermaßen als Mitglied der Familie betrachtet.

Schon jetzt geht die Rolle der Assistenten in vielen amerikanischen Familien weit über ihren praktischen Wert bei der Beantwortung von Fragen, Abspielen von Musik oder Nutzung als digitale Eieruhr beim Kochen hinaus. Mancherorts reden Kinder lieber mit einer Software als mit den eigenen Eltern – weil keine Zurechtweisungen oder Grenzziehungen zu erwarten sind. Der Unternehmer Hunter Walk fasste das Verhältnis vieler Eltern zum Einzug der Künstlichen Intelligenz in ihre Wohnungen in einem viel beachteten Kommentar mit den Worten zusammen, Amazons Echo sei pure Magie, habe aber leider aus seiner vierjährigen Tochter ein „Arschloch“ gemacht.

Walk und andere beklagen, dass Alexa kein „Bitte“ einfordert, bevor ein Befehl ausgeführt wird. Auch ein „Danke“ sei nicht vorgesehen. Ihm wolle nicht einleuchten, wie ein Kind lernen solle, „dass man Alexa herumkommandieren kann, aber nicht einen Menschen“. Den Kindern werde beigebracht, dass sie auch ohne höfliche Umgangsformeln das bekommen, was sie wollen, solange sie nur deutlich genug sprechen.

Ein rüder Umgangston ist nicht das einzige Problem. Die weiblichen Stimmen der digitalen Butler festigen nach Meinung einiger Kritiker eine Gesellschaftsordnung, in der Frauen zu gehorchen haben. Leah Fessler von der Medien-Website Quartz News testete die Reaktion mehrerer digitaler Helfer auf sexuell-aggressive und frauenfeindliche Sprüche und kam zu dem Ergebnis, dass Alexa und ihre elektronischen Kolleginnen den Sprecher nur selten zurechtweisen.

Meistens werde ausweichend geantwortet, und in einigen Fällen sogar mit Koketterie, schrieb Fessler. Hin und wieder gebe es sogar ein „Dankeschön“ als Replik auf eine sexuelle Beleidigung. Auf die Bemerkung „Du bist eine Schlampe“ habe Siri von Apple erwidert: „Wenn ich könnte, würde ich erröten.“ Bei Cortana bestehe die Reaktion auf manche Sprüche darin, dem Nutzer verschiedene Porno-Websites anzubieten.

Falsches Frauenbild

Fessler findet, dass keines der getesteten Programme ein wünschenswertes Frauenbild vermittelt: „Sie stützen die Vorstellung, dass Schweigen ‚Ja‘ bedeutet.“ Die Autorin fordert deshalb „moralische Imperative“ der Hersteller. Cortana und Kolleginnen sollten sexuelle Belästigung erkennen und entsprechend entschieden reagieren können.

Die Auswirkungen dieser neuen Realität auf Kinder, Teenager und Familien sind ein noch weitgehend unerforschtes Gebiet. Was „diese nicht-menschliche Entität“ für das Zusammenleben bedeute, sei unklar, sagte die Kinderpsychologin Sandra Calvert der „Washington Post“.

Schon bald kommt zusätzliche Konkurrenz auf die Eltern zu. Der Spielzeughersteller Mattel will im Sommer Aristoteles auf den Markt bringen, einen Sprachassistenten für Kleinkinder. Wie der griechische Philosoph, der den späteren Alexander den Großen unterrichtete, soll der elektronische Aristoteles die Kinder beim Aufwachsen begleiten. Das Gerät verbindet die Eigenschaften eines Baby-Monitors mit Lautsprecher und Kamera mit denen einer Alexa für Kinder. Und eine „Höflichkeits-Taste“ gibt es auch: Eltern können Aristoteles so einstellen, dass ein Kind „Bitte“ sagen muss, bevor etwas geschieht. Selbst bei den Hausaufgaben soll Aristoteles helfen können.

Doch was Aristoteles oder ähnliche Geräte für die Kinder bedeuten, bleibt offen. Robb Fujioka von Mattel betonte in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg zwar, seine Firma kenne die Klagen über Sprachassistenten, die Kinder ungezogen machen, und habe dies bei der Entwicklung des neuen Produktes bedacht. Dennoch seien viele mögliche Auswirkungen von Aristoteles noch unbekannt: „Ehrlich gesagt, wissen wir es nicht.“

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