Ausfall der Quoten-Erfassung: Aktion besseres Fernsehen?
Mittelschweres Ärgernis für Werber und Sender, Spaß für die Kulturkritik – der große Fernseh-Quoten-Ausfall und die Folgen.
Für Hans Weingartner muss das gerade eine Genugtuung sein. In seinem Kinofilm „Free Rainer“ warb der Regisseur vor Jahren für eine Befreiung von der Quotenwucht im Fernsehen, gegen mediale Volksverblödung. Seine Idee: Nach einer Manipulation an einem Teil der rund 5000 Quotenmessgeräte in deutschen Haushalten staunt die Öffentlichkeit darüber, dass plötzlich anspruchsvolle Dokus auf Kosten von Show und Volksmusik immer beliebter werden.
Das war Fiktion. Real ist, dass seit vergangenem Freitag in Deutschland die Technik der TV-Quotenerfassung und -ausweisung komplett ausfällt. Das hat es so noch nie gegeben. Ein Ärgernis für TV-Sender und -Vermarkter. Ob die Quoten, wie vorsichtig von der Arbeitsgemeinschaft Videoforschung (AGF) verkündet, ab Freitag wieder veröffentlicht werden können, ist nicht sicher. Zeit für Gedankenspiele à la Weingartner: Bekommen wir jetzt, ohne Quote, besseres Fernsehen? Und: Wie lange können die Sender eigentlich ohne Quote leben?
Die Situation ist für Sender, Werbezeitenvermarkter und Werbekunden im Jahr 55 nach der Einführung der Quotenmessung mehr als gewöhnungsbedürftig. Eine Woche ohne TV-Quoten, während sonst jeder Schritt der TV-Zuschauer von einer App gemessen wird, das bringt die Morgenrunden der Programmplaner derzeit gehörig durcheinander.
Ganz ohne Anhaltspunkte müssen die Sender nicht auskommen. Der TV-Streamingdienst Magine, der die Programme der Sender über das Internet verbreitet und somit über genaue Abrufinformationen seiner Nutzer verfügt, hat für die vergangenen fünf Tage eine eigene Statistik erstellt. Am Dienstag lag demnach RTL mit „Bones – Die Knochenjägerin“ vor „Die Simpsons“ und „Two and a Half Men“, beide ProSieben. Durch die besondere, internetaffine Nutzerschaft sind die Ergebnisse allerdings kaum mehr als ein Werbegag und keineswegs als repräsentativ zu bezeichnen.
„Vielleicht hat ,Free Rainer‘ ja noch jemanden inspiriert"
In den Sendern gibt man sich gelassen. „Wir hoffen, dass die eingeleiteten Maßnahmen der AGF den erwarteten Erfolg erbringen“, heißt es bei der ProSiebenSat1-Gruppe. Ähnlich äußert sich die RTL-Gruppe: „Wir sind im engen Austausch mit AGF und der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) und sind sicher, dass sämtliche Quoten, insbesondere auch die der vergangenen Tage, im Laufe der kommenden Tage wieder wie gewohnt absolut zuverlässig zur Verfügung stehen“, sagte Thomas Bodemer von der RTL-Mediengruppe.
Das ZDF verweist darauf, dass die Werbepreise nur einmal jährlich zum 1. August fürs Folgejahr fixiert werden. „Anders als bei einem Sendeausfall hat der Ausfall der GfK-Messung keinen Einfluss auf die Werbepreise des ZDF.“ Nur die ARD-Programmdirektion ist leicht verschnupft: „Natürlich ist es misslich, wenn wir keine Quoten haben, zumal ja gerade die Handball-EM im Vorabendprogramm gezeigt wird.“
Dass die Sender das Quotensystem an sich infrage stellen, ist ohnehin nicht zu erwarten. Sowohl die privaten als auch abgeschwächt die öffentlich-rechtlichen Sender sind auf Werbeeinnahmen angewiesen. Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass sich die Kritik an den Quotenmessern in Grenzen hält. Die Sender sind Gesellschafter des Systems – und tragen damit selbst die Verantwortung, nötige Änderungen in die Wege zu leiten.
Was auch immer die Ursache der Quotenpanne war, Hans Weingartner hatte seine Hände nicht im Spiel. „Vielleicht hat ,Free Rainer‘ ja noch jemanden inspiriert. Technisch anfällig und wenig zutreffend ist das System ohnehin“, sagte der Regisseur dem Tagesspiegel. Das Messgerät weiß zwar, welcher Sender wann ein- und ausgeschaltet wird, ob jemand konzentriert zuguckt, jedoch nicht.
Die Vermessung der Fernsehwelt wird nicht enden
Bleibt die Hoffnung auf besseres Fernsehen. Vielleicht lohnt sich das Gedankenspiel, die Quotenmessung ganz abzuschaffen – angesichts der Kritik, das Fernsehen sollte nicht weiter Sendungen produzieren, die die Zuschauer angeblich wollen, sondern einfach gutes Programm machen. „Es würde sich gar nichts ändern“, sagte dazu Produzent Friedrich Küppersbusch in Deutschlandfunk Kultur. Es gehe bei der Einschaltquotenmessung nicht darum, das Programm hochwertiger oder für viele Zuschauer attraktiver zu machen. Man würde ein anderes Messinstrument finden und zu einem ähnlichen Ergebnis kommen. Und: Die GfK-Quote sei das, womit die Kunden zufrieden sind. Nicht das gute oder gar bestmögliche Messergebnis.
Die Vermessung der Fernsehwelt, sie wird also nicht enden, sondern Jahr für Jahr verstärkt, um nicht den Anschluss an die Fernsehnutzung zu verlieren. In diesem Jahr ist die beschleunigte Auswertung im Bereich Streaming-Media ein großes Thema. Bislang werden die Nutzungsdaten von Mediatheken und Video-on-Demand-Diensten 40 Tage nach der Erhebung ausgewertet und an die Kunden weitergegeben. Dieser Wert soll 2018 halbiert werden. Neu hinzukommen soll zudem die Youtube-Nutzung.
Selbst eine Messung der Fernsehnutzung in Echtzeit ist vorstellbar und technisch bereits jetzt möglich, wie AGF-Chef Willibald Müller dem Tagesspiegel sagte. Allerdings hat dies bislang keine hohe Priorität, da es derzeit keine Nachfrage danach gibt. Sinnvoll wäre dies erst dann, wenn sich die Sender dafür entscheiden, je nach Nutzung die Programmierung live zu beeinflussen. Schlechte Quote? Raus mit der Sendung. Vielleicht auch mal bei Volksmusik.
Markus Ehrenberg, Kurt Sagatz
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