Medien: Ach, du dicke Erbse
Überzeugende Ferres, überzogene Story: „Die Frau vom Checkpoint Charlie“
Der Anfang ist gut. Eine Frau läuft mit Blumenstrauß durch die Straßen, steht schließlich in einer Mansardenbude vor einem fast noch schlafenden Mann und streckt dem Halbwachen den Strauß wie ein Schwert entgegen: „Ich möchte gratulieren!“ Erster Kontakt mit einem Schleuser. Frühjahr 1982. Sara Bender (Veronica Ferres) will raus aus der DDR.
Sie hat zwei Töchter, neun und elf Jahre alt.
Sara? Mitte der Achtziger nannten junge DDR-Eltern ihre Töchter vorzugsweise Sara, aber Ende der fünfziger Jahre? „Die Frau vom Checkpoint Charlie“ ist ein Film nach der wahren Geschichte der Jutta Gallus, die – nach einem gescheiterten Fluchtversuch von ihren Kindern getrennt – schließlich vom Westen aus die Ausreise der Töchter erzwang. Mit dem Schild „Gebt mir meine Kinder zurück!“ stand sie am Checkpoint Charlie, hungerstreikte, kettete sich vor der KSZE-Konferenz an, besuchte den Papst.
Jutta, guter 50er-Jahre-Name. Um das gleich zu sagen: Mit dem Temperament und dem nichts verzeihenden Blick des historischen Erbsenzählers kann man diesen Film nicht sehen, und den zweiten Teil schon gar nicht. Aber auch für Nichterbsenzähler wird „Die Frau vom Checkpoint Charlie“, fernsehsprachlich auch „Event-Zweiteiler“ genannt, zunehmend zur Prüfung ihrer Leidensfähigkeit. Und das trotz durchweg guter Schauspieler, allen voran Veronica Ferres.
Drehbuchautorin Annette Hess hatte keine Lust, sich von der Wucht des Tatsächlichen erschlagen zu lassen. Und „Sara“ ist auch schon verziehen, denn der Anfang ist immer noch gut. Jutta Gallus war gerade geschieden und lernte einen Mann kennen, der in den Westen wollte. Ihr altes Leben war ohnehin zu Ende, also floh sie mit. Sara aber steht noch kurz vor ihrem ersten Besuch in der Mansardenwohnung mitten im DDR-Leben und will gerade heiraten. Sie ist technische Leiterin in einem VEB Elektronik-Kombinat.
Veronica Ferres gibt ihrer Sara die einfache, natürliche Stärke, wie sie aus unkorrumpiertem – und unkorrumpierbarem – Jungsein kommt. Noch sind die Wände, die Sara umstellen, unsichtbar. Als sie eine Bilanzfälschung auffliegen lässt, stößt sie gegen die erste. Und dann geht es Schlag auf Schlag. Plötzlich, ohne dass Sara eine andere geworden wäre, findet sie sich weitgehend isoliert. Die DDR kannte wie jedes metaphysische Gemeinwesen nur Freund oder Feind. Es ist wie ein Weltenwechsel. Regisseur Miguel Alexandre hat ihn genau festgehalten.
Veronica Ferres braucht nicht viel, um zu zeigen, wie fremd einem das eigene Leben werden kann. Gesten, Blicke genügen. Und wenige kurze Sätze. Und dann ist nur noch ein Weg offen – der Weg, der am besten versperrt ist: der in den Westen.
Schön sind die wiederkehrenden, unaufdringlichen Szenen von Mutter und Töchtern vor dem Spiegel, der die drei zugleich rahmt wie auf einem Familienfoto. Darf ich deinen Lippenstift, fragt die Größte. Natürlich darf sie. Etwas später ist die Leichtigkeit weg: „Ihr geht nicht geschminkt zur Schule!“ Schließlich hat der Spiegel einen Riss mittendurch wie ihr Leben. Das war die Stasi bei der Wanzenmontage.
Doch kaum fährt Sara Bender los – auf derselben längst verratenen Fluchtroute wie einst Jutta Gallus – kommt das Vielzuviel in diesen Film, vollends im zweiten Teil. Der Mann (Peter Kremer), den Sara liebt und heiraten wollte, ist ihr IM, zum Showdown gar beauftragt mit der Mission, die Frau endgültig aus dem Weg zu schaffen. Man muss sich das vorstellen: Die Staatssicherheit versucht laut Drehbuch, diese inzwischen schon einigermaßen prominente Frau ausgerechnet in Helsinki bei der KSZE-Konferenz umzubringen! Sollte man sich da nicht ernsthaft Sorgen machen um das Zuschauerbild der großen Fernsehanstalten?
Jutta Gallus hat ihre Kinder in einem Anwaltsbüro wiedergesehen, nicht bei einer spektakulären Übergabe am Checkpoint Charlie. Und ihre Töchter waren auch nicht bei einer „linientreuen Pflegefamilie“, sondern bei ihrem leiblichen Vater. Kein ganz kleiner Unterschied, der miterklärt, warum diese Frau von beiden Seiten (!) als Störfall der deutsch-deutschen Beziehungen wahrgenommen wurde (nicht der uninteressanteste Aspekt). Zu kompliziert für einen Event- Zweiteiler? Erbsenzählerei? Ein historischer Aufklärungsfilm, der uns dümmer macht, als wir sind – das ist schon eine dicke Erbse.
„Die Frau vom Checkpoint Charlie“, Arte, heute, 20 Uhr 40; ARD, Teil 1, Sonntag, Teil 2, Montag, jeweils um 20 Uhr 15
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