Digitale Währungen: 130 Dollar für ein paar Bits
Seit Januar schießen die Kurse der digitalen Währung Bitcoin durch die Decke – weil Zyprer, Spanier und Portugiesen aus dem Euro fliehen, sagen manche. Der Erfolg ruft die amerikanischen Finanzbehörden auf den Plan - und auch das Interesse der Europäischen Zentralbank ist geweckt.
Jeff Berwick ist sich sicher. Das Ding sei „die nächste Multi-Milliarden-Unternehmensgründung“, schrieb er am 25. März in seinem Blog. Er habe ja schon viele Start-ups auf den Weg gebracht, aber selten sei er angesichts einer neuen Firmengründung so „excited“ gewesen. Sein Plan: Er will die virtuelle Währung Bitcoin in der realen Welt verankern, mit Bankautomaten. Die würden zwar keine Bitcoins auszahlen, aber man könnte direkt am Bildschirm Transaktionen vornehmen. Der erste soll auf Zypern stehen. Die Zyprer sind schließlich auf der Suche nach Möglichkeiten, ihr Geld vor ihrer Regierung in Sicherheit zu bringen.
Jeff Berwick ist nicht der Einzige, der so denkt. Die Bitcoin ist diskret – man braucht kein Bankkonto, um sie zu besitzen. Sie ist staatsunabhängig – es gibt keine Zentralbank, sondern sie wird von einem Computernetzwerk hergestellt, an dem sich jeder beteiligen kann. Sie ist virtuell und universal, und es gibt dennoch Wechselstuben, in denen man sie gegen Euro, Dollar oder Rubel tauschen kann, was sie von anderen digitalen Währungen, etwa aus Online-Spielewelten, unterscheidet. Vier Jahre lang dümpelten die Kurse der 2009 ins Leben gerufenen Währung vor sich hin. Doch seit Januar schießen sie durch die Decke (siehe Grafik). In dieser Woche durchbrach die Marktkapitalisierung der Währung, also die Anzahl der verfügbaren Bitcoins multipliziert mit ihrem Wert, erstmals die Dollar-Milliardengrenze. Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe war eine Bitcoin 135 Dollar wert. Bitcoin-Optimisten fühlen sich bestätigt. Da kommt die Geschichte von dem Unternehmer, der auf Zypern einen Automaten aufstellen will, gerade recht. Dominic Basulto, ein amerikanischer Technikblogger, griff die Geschichte am 26. März auf der Internetseite der „Washington Post“ auf. Die Bitcoin sei „der neue sichere Hafen für Investoren, ähnlich wie das Gold während der Finanzkrise“. Die Story verbreitete sich im Netz wie ein Lauffeuer. Da ist es auch egal, wenn an jenem Jeff Berwick einiges merkwürdig erscheint: dass seine Seite „The Dollar Vigilante“, die auf die Zeit nach dem Kollaps des Dollar vorbereiten soll, über eine Firma registriert ist, die auf die Verschleierung der wahren Seiteninhaber spezialisiert ist. Dass auf derselben Seite auch Aufenthaltsgenehmigungen für die Dominikanische Republik verkauft werden. Oder dass er auf Anfragen per E-Mail nicht reagiert.
Rainer Böhme, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität Münster, hat eine andere Erklärung für das plötzliche Anziehen der Kurse, und zwar eine technische: Weil es keine Zentralbank gibt, übernehmen deren Aufgaben mathematische Regeln. Neue Einheiten entstehen, indem Teilnehmer an dem Computernetzwerk, das die Währung verwaltet, für ihre Mitarbeit mit neuen Bitcoins belohnt werden. An das Netzwerk angeschlossene Computer überprüfen ständig alle Transaktionen, die mit Bitcoin ausgeführt werden. So wird vermieden, dass eine „Münze“ mehrfach ausgegeben wird. Das ist hochkomplex und erfordert sehr viel Rechenleistung. Jeder, dessen Computer es schafft, ein Bündel von überprüften Transaktionen zu schnüren, wird mit 50 Bitcoins belohnt. Das heißt, er wurde: Um eine Inflation zu vermeiden, sieht der Algorithmus vor, dass mit der Zeit immer weniger Geld hergestellt wird, also die Belohnungen sinken. Sie halbieren sich alle vier Jahre. Und im Dezember 2012, kurz vor Ansteigen der Kurse, war ein solcher Punkt erreicht.
Darin liegt laut Böhme der eigentliche Grund für den Preisanstieg: Die Teilnahme am Bitcoin-Netzwerk ist mit einem normalen Heim-PC kaum zu leisten. Um auch nur einmal eine Belohnung zu bekommen, schätzen Informatiker, müsste man seinen Normalbürger-Laptop jahrzehntelang laufen lassen. Es braucht also Großrechner, und die brauchen viel Strom. Bis kurz vor der Umstellung im Dezember machten diejenigen, die in die Hardware investieren, trotzdem Gewinn, meint Böhme. Danach schlug die Bitcoin-Rechnerei in ein Verlustgeschäft um, viele schalteten ihre Maschinen ab. „Da ist es klar, dass wir eine Marktreaktion sehen“, sagt Böhme. „Das Angebot an neuen Bitcoins verknappt sich. Also steigt der Preis.“
Ist der jüngste Erfolg der Bitcoin also nur Ergebnis des Algorithmus? Immerhin scheint die Bitcoin eine kritische Größe überschritten zu haben, jedenfalls erregt sie die Aufmerksamkeit von Akteuren der „echten“ Geldpolitik. Eine Unterbehörde des US-Finanzministeriums hat Ende März erstmals Richtlinien für Bitcoin-Wechselstuben herausgegeben und klargestellt, dass sie ebenso wie Händler herkömmlicher Währungen Buchhaltungs- und Prüfstandards einhalten müssen. Auch die EZB hat sich 2012 erstmals mit der Bitcoin befasst. Eine Gefahr für die Preise oder die Stabilität der Finanzmärkte sehe man aufgrund des geringen Handelsvolumens noch nicht. „Diese Situation könnte sich in der Zukunft ändern“, heißt es allerdings weiter. „Wenn diese Systeme sich als Alternative zu traditionellen Währungen etablieren, haben sie durch ihre tendenzielle Volatilität sogar das Potenzial, die relativen Preise von Gütern und Dienstleistungen zu stören.“ Das hänge vor allem von der Zahl derer ab, die Bitcoins kaufen und damit handeln.
Und deren Zahl wächst, jedenfalls die Zahl der Kunden von Oliver Flaskämper. Er betreibt den Bitcoin-Handelsplatz „Bitcoin.de“. Die Plattform funktioniert ähnlich wie Ebay: Privatleute bieten ihre „Münzen“ zum Verkauf an, andere kaufen sie und bezahlen in Euro. Flaskämper und sein Team sorgen für die Sicherheit. Ja, die Verknappung der Belohnung sei ein Faktor für den Anstieg der Kurse, meint der Internetunternehmer. Seine Plattform habe aber zahlreiche neue Nutzer gewonnen, inzwischen liege die Zahl der Aktiven bei 25 000. Das Transaktionsvolumen habe sich seit Januar versechsfacht, auf rund 70 000 gehandelte Bitcoins im März. Und tatsächlich seien unter den Nutzern zunehmend Spanier, Portugiesen und Zyprioten. „Man spürt deutlich, dass in den Krisenstaaten der Wunsch groß ist, die Euros in Sicherheit zu bringen.“ Auch Großinvestoren und Spekulanten würden einsteigen. Flaskämper glaubt, dass die digitale Devise das Zeug hat, sich als echte Alternative zu traditionellen Währungen zu etablieren.
Ausschließen will Rainer Böhme das auch nicht. Aus seiner Sicht aber wäre der Weg lang und steinig. „Insgesamt ist die Bitcoin-Ökonomie noch verschwindend klein“, sagt Böhme. Eine Milliarde Dollar Marktkapitalisierung klinge zwar nach viel. „Aber das ist gerade einmal ein Achtzehntel des Bruttoinlandsproduktes des Kleinstaates Zypern.“ Falls der Kurs sinke, könne man außerdem schnell einmal eine oder sogar zwei Nullen wieder streichen.