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Das Mandela House ist heute Museum und Touristenziel.
© pa/Chris Wallber

Mandelas Haus: Madiba zieht wieder ein

Nelson Mandela wohnte hier zwei Mal: vor und nach der Haft. An dem kleinen Haus hing sein Herz wie an keinem anderen Ort. Ein Besuch in Soweto.

Hier hat er sie noch einmal zusammengeführt. Am Morgen des 6. Dezember vergangenen Jahres versammelten sich in Soweto schwarze Familien und weiße Pärchen an der Ecke von Vilakazi und Ngakane Street, sie kamen aus dem Township, dem nahen Johannesburg, tanzten auf der abschüssigen Straße und riefen „Madiba“, den Clannamen ihres kurz zuvor verstorbenen Helden: Nelson Mandela.

8115 Orlando West, die bekannteste Adresse Südafrikas. Das ist das Haus, das Mandela 1946 bezog und in den frühen 60er Jahren verließ, um im Untergrund gegen die Rassenpolitik der Apartheid zu kämpfen. Hierher kehrte er 1990 nach 27 Jahren Haft zurück.

Das Haus ist ein rechteckiger Ziegelsteinbau, gekrönt von einem niedrigen Spitzdach, ein Bau, der tausendfach genauso in Südafrika gebaut wurde. Man betritt das Gebäude von der Rückseite, drei Stufen hinauf, durch eine feuerrote Holztür, der Eingang des heutigen Museums. Es gibt einen Wohnraum, der sowohl Diele als auch Esszimmer ist und an den sich eine Kochnische anschließt. Links und rechts gehen drei Zimmer ab sowie ein kleines Bad. 55 Quadratmeter Freiraum, auf denen der spätere Versöhner einer ganzen Nation seine Ideen formte.

Vilakazi Street ist eine der wichtigsten Adressen des Landes. Hier bündelt sich seine jüngere Geschichte. Wer vom Mandela House den Hügel hinaufgeht, kommt am Denkmal für Hector Pieterson vorbei, jenen Schüler, der an der Ecke zur Moema Street 1976 von Soldaten getötet wurde und zum Symbol des Schüleraufstandes in Soweto wurde. Hügelabwärts steht das Wohnhaus von Erzbischof Desmond Tutu, der gegen die Apartheid predigte und dafür 1984 mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde. Die Straße ist die einzige der Welt, in der zwei Nobelpreisträger wohnten (Mandela erhielt seinen 1993), darauf sind sie hier stolz.

Als Nelson Mandela im Februar 1990 in das Haus zurückkam, fühlte er sich endlich angekommen. So schreibt er es in seiner Autobiografie „Der lange Weg zur Freiheit“. Er trat durch das kleine Gartentor, dann durch die Tür: „Erst da wusste ich auch innerlich, dass ich das Gefängnis verlassen hatte. Für mich war 8115 der Mittelpunkt meiner Welt, der Ort, der in meiner geistigen Geografie mit einem X gekennzeichnet war.“

Dieses Haus war das erste eigene Zuhause des Freiheitskämpfers. „Briefmarkengroß“, so fand er im Frühling 1946 das Grundstück, als er es 28-jährig mit seiner ersten Frau Evelyn und dem einjährigen Sohn Thembi bezog. „Westcliff“ nannten die Einheimischen diese Gegend spöttisch – eine Anspielung auf eine feine weiße Vorstadt im Norden.

Sein eigenes Heim beschrieb Nelson Mandela so: „Es hatte das gleiche genormte Wellblechdach, den gleichen Zementboden, eine enge Küche und eine Außentoilette.“ Petroleumlampen standen auf den Tischen, denn es gab keinen Strom. „Das Schlafzimmer war so klein, dass darin ein Doppelbett kaum Platz hatte ... Es war alles andere als großartig, doch es war mein erstes richtiges Zuhause, und ich war sehr stolz darauf.“ Siebzehn Schilling und sechs Pence im Monat bezahlten die Mandelas dafür. Für den jungen Anwalt war die Gegend nicht unbekannt, oft traf er hier Mitglieder des African National Congress (ANC), um über Parteiaktionen zu beraten.

„Ich liebe es, mich zu Hause zu entspannen, in aller Ruhe zu lesen und dabei die süßen und würzigen Gerüche einzuatmen, die aus den kochenden Töpfen in der Küche steigen. Aber ich war nur selten zu Hause, um all diese Dinge genießen zu können.“ So erinnert er sich Jahre später. Mandela kämpfte für die Gleichstellung aller Rassen in Südafrika, manchmal suchten politische Aktivisten Zuflucht bei der Familie. Wie 1946 der anglikanische Reverend Michael Scott, der einen afrikanischen Priester namens Diamini samt Frau und Kindern mitbrachte. Plötzlich schliefen mehr als zehn Menschen unter einem Dach. Dass Diamini sich laufend über das Essen von Mandelas Frau beschwerte („Schaut euch das Fleisch an, es ist mager und zäh, überhaupt nicht richtig gekocht.“), entschärfte die Situation kaum. Mandela gibt unumwunden zu, wie „begierig“ er darauf war, ihn aus dem Haus zu haben - was schließlich gelang.

Besucher können sich schwer vorstellen, dass auf dem wenigen Raum mal so viele Menschen gewohnt haben, wie die Kinder alle in der Kochnische schliefen, während die Eltern um den Tisch mit den Petroleumfunzeln diskutierten. Heute steht ein großer Schreibtisch im Raum, sehr dekorativ und akkurat liegen darauf gerahmte Urkunden, zwei Stühle stehen daran, so als würde noch jemand vorbeikommen und sich daran setzen, um die Schriftstücke zu sichten.

Mit Evelyn, die politische Auseinandersetzungen scheute, kriselte es bald. „Wir führten einen Kampf um Hirne und Herzen der Kinder“, schreibt Mandela. Sie stand seit Mitte der 50er Jahre den Zeugen Jehovas nahe und ging mit den zwei Kindern in die Kirche. Er redete mit Thembi über Politik und hängte in der Wohnung Bilder von Roosevelt, Gandhi und von der Erstürmung des Winterpalais auf. Mandela verließ früh das Haus und kehrte spät zurück. Büro, politische Treffen, Mandantentermine, irgendwann stellte Evelyn ihrem Nelson ein Ultimatum: Entweder der ANC oder ich!

Als er in den späten 50er Jahren zwei Wochen im Gefängnis landet, zieht sie aus. „Ich fand ein leeres, stilles Haus vor. Sie hatte sogar die Vorhänge entfernt, und aus irgendeinem Grund fand ich dieses winzige Detail niederschmetternd.“ Die Ehe wird 1958 offiziell geschieden, die Kinder bleiben bei der Mutter.

Besitztümer hatte der junge Anwalt kaum. Das sieht man auch im Film „Mandela – Der lange Weg zur Freiheit“, der nun in die deutschen Kinos kommt. Spärlich ist die nachgebaute Wohnung eingerichtet, einfache Holzmöbel, Produktionsdesigner Johnny Breedt erzählt, dass er auf Flohmärkten unterwegs war, um zeittypische Möbel aufzutreiben. „Es war schon komisch, die Wohnung für Mandela einzurichten“, gibt Breedt zu. Eine Herzensangelegenheit war dieser Film, auch für ihn, den weißen Mittfünfziger, ist Mandela ein Held: der Mann, der die Demokratie nach Südafrika gebracht hat.

Johnny Breedt war auch im Mandela House, das seit 1997 ein Museum ist und nach der Renovierung 2008 vollgestellt wurde mit Memorabilia. In dem Kinderschlafzimmer rechts neben der Eingangstür hängen unzählige Fotos, Urkunden, man kann sich kaum einmal drehen, ohne sich von deren Bedeutung erschlagen zu fühlen. Der Blick aus dem Fenster geht durch ein Fenstergitter, mit Ornamenten verziert, hinaus auf den kleinen Vorgarten, den die Mieter mit Fürsorge pflegten, weil sie sonst nicht viel Schönes in dieser Gegend hatten.

Im Wohnzimmer, wo ein leicht abgelatschter Linoleumbelag ausgelegt ist, hat sich Winnie Mandela, die zweite Ehefrau des ANC-Aktivisten, später einen Raumteiler aus Ziegelsteinen bauen lassen. Das war 1976, als der 13-jährige Schüler Hector Pieterson getötet wurde, Polizisten durch das Viertel patrouillierten und sich Schusswechsel mit Aufständischen lieferten. Wer vor dem Haupteingang des Mandela House steht, sieht noch die Schusslöcher an den roten Ziegelsteinen und erkennt die schwarz gefärbten Backsteine oberhalb des Fensters – Rückstände einer Brandbombe, hineingeworfen von den Streitkräften, wie eine Museumsangestellte aufklärt.

Mit Winnie lebte Nelson Mandela ab 1958 in Orlando West. Nach der Hochzeit wurde im Haus gefeiert, ein Schaf war für das Festmahl geschlachtet worden, zu Flitterwochen kam es nie. Mandela war bereits in einem Prozess des Landesverrats angeklagt, er musste jeden Morgen um vier Uhr aufstehen, um entweder seinem Prozess beizuwohnen oder eigene Mandanten zu betreuen. Er wurde 1961 freigesprochen, am 5. August 1962 wieder verhaftet und schließlich zu lebenslanger Haft verurteilt. 18 Jahre verbrachte er auf Robben Island, anschließend wurde er auf das Festland verlegt.

„Als ich die vier Zimmer sah, war ich überrascht, um wie viel kleiner und bescheidener das Haus war, als ich es in Erinnerung hatte“, so Mandela über den ersten Tag im Februar 1990 in Soweto. Die 18 Monate zuvor hatte er auf dem Gelände des Victor-Verster-Gefängnisses in einer kleinen Villa eingesessen. Verglichen damit hätte sein eigenes Heim „das Dienstbotenquartier im Hinterhof sein können.“

So sehr er sich über die Tage in Freiheit freute, umso mehr schmerzte ihn die Einsicht, dass er in der Vilakazi Street nicht bleiben kann. „Ich hatte Sehnsucht danach, wieder ein normales Leben zu führen … einfach hinauszugehen und in der Apotheke Zahnpasta zu kaufen oder abends alte Freunde zu besuchen.“ Hunderte Sympathisanten belagerten sein Grundstück wie eine Festung, sie sangen, riefen nach ihm, auch nachts. Erst auf Bitten der Leibwächter hörten sie für einige Stunden auf, damit die Familie etwas schlafen konnte. Elf Tage soll er hier gewohnt haben, bis er wieder auszog. Er selbst fand es dann „für einen Volksführer irgendwie unangemessen“, es gibt „keine bedeutungsschweren Erinnerungen“ darin, weil er fast nie da war.

Ausgerechnet dieses Haus ist es nun, das Mandelas Erbe mitbewahren wird. Bereits als der Ex-Präsident vergangenes Jahr im Krankenhaus lag, erlebte das kleine Anwesen einen Besucheransturm, demnächst erwartet man noch mehr Touristen. So flüchtig für Nelson Mandela seine Zeit hier war, so wichtig schien dieser Anker für sein Wohlbefinden in den Jahren der Haft: einen Ort zu wissen, an den er zurückkehren konnte.

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