Neue Bücher zu Kulinarik und Weltgeschichte: Mächtiger Hunger
Adenauers Weindiplomatie, Caesars Wildschweinbraten und das erste Menü auf dem Mond: Neue Bücher über Genüsse, die Geschichte schrieben.
Dieser Staatsbesuch war nicht nach dem Geschmack der Queen. Als Elisabeth II. 2015 in Berlin zu Gast war, bekam sie nicht nur ein Gemälde geschenkt, das sie sichtlich irritierte, auch die Spreerundfahrt auf einem mäßig komfortablen Ausflugsdampfer gefiel ihr nicht. Und das abendliche Bankett? Als „kleinkariert“ bezeichnete es ihr Biograf Thomas Kielinger, der Königin „Otto Normalverbrauchers Weinauswahl beim Staatsdinner aufzutischen“.
In diesem Punkt widerspricht Knut Bergmann, Politologe, Journalist, ehemaliger Mitarbeiter im Präsidialamt und vinophiler Autor des Buchs „Mit Wein Staat machen“ (Insel). Die Auswahl am 24. Juni 2015 in Schloss Bellevue bestand „aus guten Weinen von guten bis sehr guten, zugegeben nicht den bekanntesten Winzern“. Mindestens der Toastsekt Wegeler Geheimrat „J“, ein Riesling Brut aus dem Jahr 2009, sowie die 2013er Freiburg Schlossberg Spätburgunder Weißherbst Beerenauslese des Weinguts Stiegler sollten über alle Zweifel erhaben sein.
Der Wein machte den US-Außenminister deutlich zugänglicher
Wein gehört zu einem Staatsempfang. Die Auswahl sei sogar so zentral für das Zeremoniell, dass man an ihr – Bergmann zufolge – die Geschichte der Bundesrepublik nacherzählen könne. Mindestens von deren Repräsentationsschwierigkeiten bekommt man in seinem unterhaltsamen wie aufschlussreichen Buch viel mit. Als „Pathos der Nüchternheit“ formulierte der erste Bundespräsident Theodor Heuss 1951 die protokollarische Leitlinie der damals nur teilsouveränen Republik. Bundeskanzler Konrad Adenauer dagegen war nicht nur weinkundig, sondern wusste auch im richtigen Moment eine besondere Flasche rauszuzaubern. Als Weindiplomatie könnte man die 1921er Steinberger Trockenbeerenauslese bezeichnen, die er dem US-Außenminister John Foster Dulles 1953 spontan nach dem Dinner ausschenkte. Der als großspurig geltende Dulles trat nach dem Jahrhundertwein deutlich zugänglicher auf, beobachtete jedenfalls der „Spiegel“.
Zwischen dem Bescheidenheitsgebot und der Gastgeberplicht war man auf der Suche nach dem angemessenen Umgang mit dem hohen Besuch: Champagner ja oder nein? Ein Bordeaux zum Hauptgang oder doch lieber heimischer Spätburgunder? Was darf der Wein kosten? Wie prominent muss der Winzer sein? Wie bei welchem Gast entschieden wurde, hing und hängt auch von den individuellen Vorlieben der Amtsinhaber ab. Walter Scheel bewirtete seine Gäste noch anders, als es Frank-Walter Steinmeier heute tut.
Die Futuristen servierten Sonnensuppe und eine tönende Luftspeise
Bücher, die sich der Geschichte über den Genuss nähern, erscheinen gerade einige. „Wohl bekam’s“ zum Beispiel. Tobias Roth und Moritz Rauchhaus versammeln in ihrem hübsch illustrierten Band historische Menükarten. Die Anlässe, die die Autoren zusammentragen, könnten nicht unterschiedlicher sein. Da wäre der Speiseplan der Bamberger Domherren aus dem Jahr 1200. Viel Fleisch, wenig Frisches ließen sich die Klosterbrüder schmecken: Trockenfleisch vom Schaf oder Schwein, Eintopf, Innereien, Kuttelfleck (im Sommer), gefüllte Mägen (im Winter) und hernach Pasteten aus Hühnerfleisch, Wurst und Schafsmagen. Bemerkenswert auch der Versuch Marie-Antoinettes, zu sparen. An diesem Tag im Jahr 1788, an dem es nichts zu feiern gab und sich kein besonderer Besuch die Ehre gab, wurden nur 16 Nachspeisen serviert. Auch das erste futuristische Mittagessen 1931 taucht auf. Die kunst- und gesellschaftsrevolutionäre Bewegung servierte in der Trattoria Santopalato in Turin unter anderem Sonnensuppe sowie eine greifbare Luftspeise mit Geräuschen und Gerüchen.
Von Castro bis zur Concorde: Kalbfleisch geht zu jedem Anlass
So unterschiedlich die historischen Anlässe, so gleichförmig kommt zuweilen das Speiseangebot daher. Fidel Castro auf Staatsbesuch in der DDR (1977): Kalbsfricandeau. Unterzeichnung des Élysée-Vertrags (1963): Kalbsrücken Orloff. Die erste Concorde fliegt über den Atlantik (1977): Kalbsmedaillon. Macht, Status, Geld: Mit Kalb kann man offenbar so einiges an Repräsentationsehrgeiz abdecken. Ganz praktischen Zwängen unterlagen wiederum andere kulinarische Wegmarken der Weltgeschichte, die „Wohl bekam’s“ serviert. Das erste Essen auf dem Mond: Speckstücke, Pfirsiche, Zuckerkekswürfel.
Wer sich unter dieser (g)astronomischen Pionierleistung wenig vorstellen kann, der findet in „Gerichte, die die Welt veränderten“ von Sarah Wiener die passende wie praktische Begleitlektüre. Ihr Buch, eine gelungene Kombination aus Geschichts- und Kochbuch, liefert so manches Detail, das die Menükarten von Roth und Rauchhaus konzeptbedingt schuldig bleiben. Bei Wiener lernt man, warum Weltraumessen nur schwer nachzukochen ist. Es ist entweder rehydrierte Nahrung, der auf der Erde 90 Prozent des Wassers entzogen wurde, oder würfelförmiges Essen, das direkt aus der Packung gefuttert wird.
Wenn man so unterschiedliche Anlässe vom letzten Abendmahl bis zu Bob Marleys Hochzeit oder auch der ersten Oscar-Verleihung versammelt, dann ist die historische Akkuratesse der Rezepte natürlich nicht immer hundertprozentig zu gewährleisten. Doch Wiener bemüht sich redlich: Wenn das Rezept zu finden war, dann hat sie es 1:1 übernommen, wenn es nur ungefähre Angaben gab, wurden die jeweiligen Zeitumstände und regionalen Besonderheiten recherchiert. Ihre historisch-kritische Methode sieht man etwa beim Wildschweinbraten, mit dem Caesar seinen Sieg über die Gallier 52 v. Chr. feierte. Ein Rezept fand sie mit ihrem Team in einer 200 Jahre älteren Quelle, das allerdings wie in der römischen Kochliteratur üblich ohne Mengenangaben war. Die hat Sarah Wiener heutigen Maßstäben angepasst.
Sarah Wiener kochte Caesars Wildschweinbraten nach
Nicht ohne Weiteres nachzukochen ist das, was der Schah 1971 in der historischen Residenz Persepolis auftischte, um das 2500-jährige Bestehen der Monarchie zu feiern. Bei dem wohl protzigsten Dinner aller Zeiten wurden Wachteleier als Vorspeise auf Perlen serviert, der Champagner für das Sorbet war 60 Jahre alt, die Dutzende Kilo Kaviar wohl das Einzige, was nicht von weit her eingeflogen werden musste. Fun fact: Den 69 Staatsoberhäuptern wurde nach dieser Orgie ein Nescafé serviert – weil nur eine einzige Espressomaschine in der Wüstenstadt vorhanden war. Hat aber keiner gemerkt, freuten sich die Köche.
In der Berliner Republik, so schließt Knut Bergmann seine vinophile Geschichte der Bundesrepublik, pflege man heute ein entspanntes Verhältnis zur Repräsentation. Zu viel Opulenz steht zwar unter dem Verdacht des Dekadenten, doch immerhin, die Weine, die man Staatsgästen ausschenkt, könnten sich sehen lassen. Von französischen Verhältnissen sei man allerdings weit entfernt: Die Grande Nation schenkt ihren Gästen ganz anders aus. Aber auch in Paris gibt es nicht nur Weinfreaks. Jacques Chirac etwa ist passionierter Biertrinker. Seine Lieblingsmarke: ausgerechnet das fade Corona. Das mag man wenig geschmackssicher finden, als Gast jedoch zeigte sich Chirac als vollendeter Diplomat. Als man ihm bei einem Bankett in Bellevue das mexikanische Leichtbier servieren wollte, lehnte er ab – und verlangte ein deutsches Pils.
Historisches Lesefutter: Die vorgestellten Bücher
Welches Gericht inspirierte Paul McCartney zu „Yesterday“? Was gab es in der ersten Oscar- Nacht zu essen? Was frühstückt die pakistanische Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai? Nicht nur Staatenlenker kommen in Sarah Wieners Koch- und Geschichtsbuch vor. Die vielfältige Auswahl macht es so lesenswert. Nur kulinarisch interessierte Mediävisten müssen ein großes Loch im Mittelalter verschmerzen. | Gerichte, die die Welt veränderten. Sarah Wiener, Edition a, 2018, 288 Seiten, 24,90 Euro
Da wäre man natürlich gerne mit am Tisch gesessen, als Gorbatschow, Arafat und Honecker den 40. Jahrestag der DDR mit einem „Filetensemble Trianon“ feierten. Diesen und 99 andere illustre Anlässe mit genauer Auflistung von insgesamt 1873 verzehrten Gerichten tragen Tobias Roth und Moritz Rauchhaus zusammen. Toll wäre ein Blick in andere Kulturkreise gewesen. Vielleicht ja in Band zwei? | Wohl bekam’s. Tobias Roth, Moritz Rauchhaus, Das kulturelle Gedächtnis, 2018, 352 Seiten, 28 Euro
Das Verhältnis zwischen Wein und Staat sowie zwischen Protokoll und Politik ergründet Knut Bergmann mit viel Vinophilie. Wer trank was bei welcher Gelegenheit? Über die Frage, was den Staatsgästen eingeschenkt wurde, kann man die Geschichte der Bundesrepublik durchaus erzählen. Interessant sind auch Schlenker in die DDR und nach Frankreich, bei denen man durchaus einen Nachschlag vertragen könnte. | Mit Wein Staat machen, Knut Bergmann, Insel, 2018, 366 Seiten, 25 Euro
Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.
Felix Denk
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität