Ein letztes Interview mit Peter Lindbergh: Linda, Cindy, Naomi – alle waren dabei
Peter Lindbergh war einer der wichtigsten Modefotografen der Gegenwart. Jetzt ist er gestorben. Einige Wochen vor seinem Tod führte er dieses Interview.
Der Fotograf Peter Lindbergh ist im Alter von 74 Jahren gestorben. Erst Anfang Juni erschien im Tagesspiegel dieses Interview aus Anlass eines Kinofilms über den Fotografen:
Peter Lindbergh, der Film über Sie ist sehr persönlich, obwohl Sie kaum zu Wort kommen. Wichtige Frauen aus ihrem Leben erzählen über Sie. War es okay für Sie, die Kontrolle abzugeben?
Das war ja die Idee des Films. Die hatten super viel Material und Filmschnipsel, aber nicht aus den letzten Jahren. Da haben sie gefragt, ob sie noch mehr Material haben können. Sie wollten mir auch das Recht einräumen, eine Schlussversion zu machen. Da habe ich gesagt: Ihr bekommt das Material, aber nur, wenn ihr unterschreibt, dass ihr mich nicht fragt. Das wäre furchtbar gewesen.
Die Entscheidung tragen zu müssen, was gezeigt wird und was nicht?
Ja, ungefähr so: Da sehe ich aber dick aus, und was ich da gesagt habe, ist nicht gut für mich. Dann macht man ja einen Werbespot über sich selbst. Das hat die Filmmacher richtig schockiert, die wussten nicht, ob sie happy sein sollten oder nicht.
Auch in der Modefotografie geht es oft um Kontrolle darüber, wie Schönheit aussehen soll. Aber Ihnen ist bei ihrer Arbeit wichtig, dass es einen Raum gibt, wo nicht die ganze Zeit Kontrolle herrscht.
Es würde jetzt zu lange dauern, Modefotografie zu definieren: Muss man die Mode zeigen, den Esprit einfangen? Wer macht das Foto? Früher kamen die Leute zum Fotografen, weil sie wussten: Wenn ich zu Helmut Newton gehe, bekomme ich diese Fotos, wenn ich zu Michel Auder gehe, jene. Aber die Digitalisierung hat die Fotografie demokratisiert. Was uns verwüsten wird und aus dem Fotografen einen Dackel macht, sind diese Bildschirme, mit denen der Fotograf durch ein Kabel verbunden ist und alle anderen sitzen davor…
… sehen alles und greifen in den Prozess ein.
Wenn da jemand dem Fotografen sagt: Jetzt den Fuß ein bisschen nach rechts, jetzt nach links, das ist eine Nuklearbombe für die Fotografie. Bei mir gibt es keinen Bildschirm. Ich habe schon Kampagnen verloren, da sind die Kunden schreiend aus dem Studio gelaufen. Aber das macht nichts. Das ist eine Frage auf Leben und Tod.
Sie haben mal gesagt, dass Mode gefährlich ist, weil man sich dahinter verstecken kann. Aber ist das nicht gerade der Witz an Mode?
Mode ist gefährlich, denn man kann sich zeigen in einer Form, die man eigentlich nicht verdient hat. Das war immer so, nur heute ist es durch Instagram ganz normal geworden.
Warum gab es Ende der achtziger Jahre plötzlich diese Supermodels, die anders waren als alle Models davor?
Zwischen 1986 und 1992 hatte ich einen Vertrag mit Harper's Bazaar. Die amerikanische Vogue hat auch immer mal angefragt, aber ich fand deren Frauenbild schrecklich. Heute denken Fotografen, die Redakteure machen das Frauenbild. Aber Ende der achtziger Jahre hing das noch zusammen; wer Modefotograf werden wollte, hat mitgeredet. Und ich dachte: So ein Zeug kann ich nicht fotografieren.
Warum?
Da wurden reiche Frauen mit Rolls-Royce, Chauffeur und drei Windhunden gezeigt. Ich bin dann zu Alexander Liberman geholt worden, dem Herausgeber von Condé Nast. Er hat mir zugehört und mir angeboten, eine Geschichte zu fotografieren, um mein Bild einer Frau zu zeigen.
Was ist dabei rausgekommen?
Ich bin mit einer Redakteurin nach Los Angeles gefahren und habe gesagt: Bring mir ein paar weiße T-Shirts und Jeans, und dann haben wir Fotos gemacht. Das war 1988, zwei Jahre vor meinem ersten Cover für die amerikanische Vogue. Aber da waren Linda, Christy, Naomi dabei. Die Truppe war mehr oder weniger zusammen. Als ich Mister Liberman die Bilder auf den Tisch gelegt habe, war er sehr freundlich: Das ist interessant.
Das war also erst einmal nicht erfolgreich.
Aber vier Monate später kam die neue Vogue-Chefredakteurin Anna Wintour, das war genau der Schnittpunkt von den alten Idolen zu den neuen. Ich habe ein Cover und 20 Seiten Editorial bekommen. Vier Jahre später gab sie das Buch „100 Jahre Vogue“ heraus, und es gab für jede Epoche ein Foto, das die Zeit geprägt hat. Ich hatte mit den Neunzigern das letzte, die Supermodels in den Bikerklamotten. Für die zehn Jahre davor gehörte eines von den weggeschmissenen Fotos mit den weißen T-Shirts zu den wichtigsten Bildern der Dekade.
Sie haben den Vogue-Fotografen Richard Avedon abgelöst, der für diese Windhund-Geschichten steht. Sind Sie jetzt in einer ähnlichen Position?
Ich sehe mich nie in Positionen. Avedon hat natürlich damals gewusst, dass ich das Cover fotografiert habe. Er ist zu Anna Wintour gegangen und hat gesagt: Ich verstehe, was du willst, bitte mach den Wechsel mit mir.
Und wie hat Anna Wintour reagiert?
Dass es nicht glaubwürdig ist, erst das eine zu machen und dann etwas ganz anderes. Aber Avedon wollte es versuchen, und dann ist er auf die Straße gegangen und hat fotografiert – aber es war halt wie davor, nur in jung.
Wann ist Ihnen bewusst geworden, dass Ihre visuelle Heimat wichtig für Sie ist?
Irgendwann ist mir klargeworden, dass man nur aus sich selbst heraus zu einem ganz bestimmten Niveau kommen kann. Nicht, wenn man nur mitschwimmt, man kann das nicht faken. Ich habe in den siebziger Jahren aufgehört, als Künstler zu arbeiten, weil die amerikanische Konzeptkunst nach Europa kam. Das war so brillant und anders, plötzlich war das Denken die Kunst und nicht, irgendwelche Kringel aufs Papier zu setzen. Das hat mich so umgehauen, da habe ich am nächsten Tag mit der Kunst aufgehört. Dann habe ich acht Monate dagesessen und musste irgendetwas finden, das von mir selber kam. Dann habe ich einen Job als Fotoassistent angenommen, und nach drei Monaten wusste ich: Fotografie ist das Ding. Und dann ist es auch ein bisschen so geworden. Wenn man nicht sucht, was in einem ist, wird es immer B-Movie sein.
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