Mode und Stil: Leben in der Papierwüste
Ein Heft ist nicht nur zum Vollkritzeln, ein Karton nicht nur Stauraum. Beides sollte mehr sein, ein Accessoire des Lebens, findet Maxime Brenon. Seine Firma „Papier Tigre“ zeigt, was er damit meint.
Oft wird etwas erst richtig interessant, wenn man es nicht mehr braucht. Papier zum Beispiel in papierlosen E-Mail-Zeiten. Das kann man noch mal ganz neu kennenlernen. Falten, knicken, umwerten, aufpolieren. Und daraus haben Maxime Brenon, Agathe Demoulin und Julien Crespel, die früher als Grafikdesigner Plakate, Broschüren, Briefköpfe und Muster entwarfen, ein kleines Unternehmen gemacht.
Das war vor vier Jahren. Angefangen haben sie mit Briefbögen, die man zu einem Kuvert zusammenfalten kann. Heute gibt es von ihnen Notizhefte, Schreibtischunterlagen, bunte Pappboxen. Ihr Label Papier Tigre wird in 25 Läden weltweit verkauft, von denen der Pariser Kultshop Colette einer der ersten war.
Die Papierprodukte von Papier Tigre haben mit schnödem Bürobedarf wenig zu tun, eher mit Lifestyle. Der Berliner Papier-Tigre-Laden liegt entsprechend in der modelustigen Mulackstraße in Mitte, und natürlich gibt es hier auch Radiergummis, Bleistifte und Notizblöcke. Aber die sollen nicht nur funktionieren, die sollen auch gut aussehen.
Maxime Brenon ist sich sicher, dass das Internet ihnen in die Hände spielt. Zum einen fördert das Virtuelle die Sehnsucht nach etwas, das man anfassen kann. Zum anderen zeigen Blogs und Onlinemagazine massenhaft Bilder von schönen Dingen. Im Blog „Freunde von Freunden“ sieht man vor sich sinnierende Menschen an Küchentischen sitzen mit wie zufällig, aber hübsch herumstehenden Gegenständen vor, hinter, neben sich. Bilder, die an Wänden lehnen, Kleider, über Stuhllehnen geworfen.
Pappboxen ersetzen Schubladen, fluoreszierende Sternenkarten und Postkarten das Gemälde an der Wand
Papier ist ein dankbares Material, um schnell für ein individuelles Erscheinungsbild der eigenen vier Wände zu sorgen und es wie ein Outfit immer wieder zu verändern: Pappboxen ersetzen Schubladen, fluoreszierende Sternenkarten und Postkarten das Gemälde an der Wand. Es werden nicht mehr ganze Räume tapeziert, eine Bahn reicht zur Dekoration. Auch Papier Tigre bringt im Herbst eine kleine Tapetenkollektion heraus.
Im Laden steht ein mannshoher Kaktus, zusammengesteckt aus Sperrholz mit orangefarben bemalten Blüten. Maxime Brenon mag Kakteen, deshalb ließ er einen als Dekoration für das Schaufenster in Paris bauen. Die Kunden mochten den Kaktus und wollten ihn unbedingt kaufen. Jetzt gibt es ihn auch als kleines Modell fürs Sideboard.
„Welches Muster mögen Sie am liebsten?“, fragt Brenon, als er vor dem Regal mit den Dutzenden bunt gemusterten DIN-A5-Heften steht, und wartet gespannt auf eine Antwort. Aber wie soll man sich entscheiden? Jede Saison kommen neue Muster dazu, die Hefte sind in Japan schon Sammelobjekte. „Sie sind für uns, was die Accessoires in der Mode sind“, sagt er.
Auf jeden Fall ist Brenon die Frage nach dem richtigen Muster wichtiger als die nach einer Geschäftsstrategie. „Wir kümmern uns nicht groß darum, wir arbeiten eher nach Gefühl. Marketingkonzepte funktionieren doch nicht mehr. Die Welt braucht nichts mehr!“, sagt er.
Die Drei von Papier Tigre arbeiten jenseits des Trends
Vielleicht funktioniert Papier Tigre deshalb so gut, weil die drei sich nicht darum scheren, was gerade als das große Ding ausgerufen wird, wie zum Beispiel Ausmalbücher für Erwachsene. „Ah, Ausmalbücher für Erwachsene?“ Der Grafikdesigner hat davon noch nichts gehört. Das meint er nicht ernst, oder? Die Bücher gibt es überall, die Buntstiftindustrie spürt die steigende Nachfrage. „Wirklich? Erwachsene, die zur Entspannung vorgegebene Formen kolorieren, das gibt es?“ Da ist sein Interesse geweckt: „Das würde doch gut zu uns passen, oder? Vielleicht liegen bei uns auch in einem halben Jahr solche Bücher.“ Auch, was das Wort Papiertiger im Deutschen bedeutet, wusste Maxime Brenon bislang nicht. Im Französischen klingt es nur nett.
Genug zum Basteln haben sie jedenfalls jetzt schon, Pappwürfel mit verschiedenfarbigen Seiten, die man zusammensetzen und dann dekorativ auf Anrichten herumliegen lassen kann. Oder einen Stammbaum, den Maxime Brenon für weibliche Bekannte entwarf, die schwanger wurden. Für den Laden haben sie einen Stammbaum mit den Babys von Kate Middleton und Prinz William zusammengebastelt.
Und dann kommt noch Henri dazu. Der ist vor ein paar Jahren mit seinem alten Citroen aus Südfrankreich nach Berlin gefahren, um aus seinem Auto heraus Kaffee zu verkaufen. Seit Dezember macht er seinen Kaffee nun im Laden von Papier Tigre hinter einem großen Tresen.
Direkt hinter dem Laden haben die Designer noch ein Büro, damit sie hier nicht nur verkaufen, sondern auch neue Dinge entwerfen können. Unbedingt wollen sie auch mit Berliner Designern zusammenarbeiten, konkret ist aber noch nichts geplant. Aber das wird sich schnell ergeben, da ist sich Brenon sicher. Bestimmt komme er demnächst mal vorbeispaziert und dann könne es losgehen.Zum „International Design Festival“ stellt Papier Tigre die Entwürfe der Pariser Möbelmarken Hartô und Red Edition in ihrem Laden (Mulackstraße 32, Mitte) aus. Infos unter papiertigre.fr