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Die Alte Münze, 200 Meter vom Roten Rathaus entfernt, war 70 Jahre lang die Prägeanstalt für Reichsmark, DDR-Mark, D-Mark und Euro.
© Britta Pedersen/dpa

Kommentar zur Alten Münze: Lasst uns die Stadt gestalten!

Der Mitbegründer des Verbandes Berliner Modedesigner befürchtet, dass das Areal der Alten Münze in Mitte nur zu einem weiteren Standort für Musik und freie Szene wird. Dabei gäbe es jetzt die Chance, dort die ganze Bandbreite von Kreativität in Berlin abzubilden, dazu gehört auch Mode und Design.

Seit 2005 schmückt sich Berlin mit dem UNESCO-Titel einer Creative City of Design. Mit der Ausgestaltung des Areals der Alten Münze zu einem „Kultur- und Kreativstandort“ hätte Berlin einmal mehr die Möglichkeit, diesem Titel Taten folgen und Design an einem zentralen Ort zur Geltung kommen zu lassen. Wie könnte die Alte Münze aussehen, ein Gewerbegebiet mit 15 000 Quadratmetern Nutzfläche unweit des Alexanderplatzes zwischen Molkenmarkt, Klosterstraße und Spree, mit Blick auf die Fischerinsel? Wenn man weiß, welche Kreativquartiere viele andere europäische Städte wie zum Beispiel Dublin mit dem Stadtteil Temple Bar, Barcelona mit den Art Factories und Helsinki mit der Cable Factory geschaffen haben, wird man ganz wehmütig.

Die Alte Münze könnte ein post-industrieller Ort werden, an dem die Identität Berlins als Stadt des Designs an zentraler Stelle zur Geltung kommt und Kreativität in all ihren Facetten gelebt und gefeiert wird. Eine Vielzahl an kleinen Designlaboren, Ateliers und Präsentationsflächen von und für Interaction-, Grafik-, Produkt- und Multimediadesigner könnte zusammen mit Kreativen aus den anderen zehn Teilsparten der Kultur- und Kreativwirtschaft einen Ort für einen Austausch zwischen all diesen Sparten ergeben. Dazu gehören: Bildende Kunst, Darstellende Kunst, Architektur, Buchmarkt, Presse, Rundfunk, Musik, Gamedesign, Film und Werbung.

Und mehr noch, in der Alten Münze könnte ein grenzüberschreitender interdisziplinärer Austausch mit Akteuren wissenschaftlicher, technologischer und wirtschaftlicher Kreativität stattfinden. Aber warum Kreativität auf „professionelle“ Akteure begrenzen? Die Alte Münze könnte auch ein Ort werden, an dem die Bürger Berlins mit Methoden des Design-Thinkings an kreativen Lösungen für verzwickte Zukunftsprobleme des urbanen Lebens arbeiten und Berlins Zukunft mitprägen. Hier wäre der Ort, stadtöffentlich darüber zu debattieren, was uns Berliner Bürgerinnen und Bürgern Kultur und Kreativität bedeuten, welchen Wert sie für uns haben, und welche Rolle sie für Berlin und die Stadtentwicklung spielen.

Alte Berliner Mischung: Musik, Clubs, Freie Szene

Um diese Vision Realität werden zu lassen, hätte das Abgeordnetenhaus im Mai 2018 aber vermutlich nicht ausschließlich den Senat für Kultur mit der Aufgabe betrauen dürfen, die Alte Münze als Kultur- und Kreativstandort zu sichern und zu entwickeln. Unter Leitung ihres Senators, Klaus Lederer, setzte die Kulturverwaltung im Februar 2019 ein partizipatives Verfahren auf, an dem 37 der insgesamt 40 Beteiligten ausschließlich Nutzungsinteressen der Sparten Musik und der Darstellenden Künste am Areal Alte Münze vertraten. Es ist, als hätte der Kultursenator die internationalen Entwicklungen in der Stadtentwicklung nicht zur Kenntnis genommen, die Kultur und Kreativität inzwischen grenzüberschreitend begreifen. In Berlin wird Kreativität offensichtlich immer noch auf Kultur, Kultur auf Kunst und Kunst auf Künstler begrenzt, die in der „Koalition der freien Szene“ Lobbyarbeit betreiben.

Das partizipative Verfahren bestand aus vier eintägigen Workshops zwischen Februar und Mai. Am 13. Juni wurden die erarbeiteten Empfehlungen während eines Forums öffentlich an den Kultursenator übergeben. Und einmal mehr lautet die Antwort auf die Frage nach der kulturellen und kreativen Identität der Creative City of Design Berlin: Musik, Clubs, freie Szene.

Partizipation – in Berlin ein schönes Wort

Dieses Ergebnis ist wenig kreativ. Es bedeutet, dass die Zukunft der Stadt Berlins ihre Vergangenheit ist. Trotzdem zeigte sich der Kultursenator dankbar und „schon ziemlich beeindruckt“ von der „bunten, vielfältigen kulturellen Nutzung (…) fern von Profitmaximierung und Gewinnmaximierung“. Lederer ist zwar rechtlich in den anstehenden Entscheidungen nicht an diese Empfehlungen gebunden, hat aber dieser alten Berliner Mischung nichts hinzuzufügen. Diese entspricht nämlich sehr genau den Vorstellungen, die er in einem Bericht zur Alten Münze im August 2018 dem „ergebnisoffenen“ Partizipationsverfahren diktierte: Das Ergebnis eines Kulturstandorts mit den Schwerpunkten Musik und freie Szene war auf diese Weise vorgegeben, noch bevor der Prozess begonnen hatte.

Normalerweise entfalten Partizipationsprozesse gerade in der Stadtentwicklung eine enorme soziale Dynamik mit überraschenden Ergebnissen. Die Dynamik im Verfahren zur Alten Münze in Berlin beschränkte sich augenscheinlich auf eine gelungene Orchestrierung von parteipolitischer Klientelpolitik und gut vernetzten, etablierten kulturpolitischen Lobbys mit großem Mobilisierungspotenzial.

Verpasste Chancen auf vielfältige Vielfalt

Um es deutlich zu sagen: Die fehlende Spartengerechtigkeit im Binnenverhältnis der Kultur- und Kreativwirtschaft ist nicht der ärgste Skandal. Vielmehr wurde verpasst, anlässlich einer Diskussion über die Entwicklungspotenziale der Alten Münze eine wahrhaft stadtgesellschaftliche Debatte über die Identität Berlins anzustoßen. Welche Stadt möchte Berlin sein? Was bedeutet der Titel einer Creative City of Design für die Stadt? Welche Kultur und Kreativität wollen wir haben? Ist wissenschaftliche, technologische und unternehmerische Kreativität mitgemeint? Wie steht es mit der Kreativität „normaler“ Bürger?

Die Entwicklung dieses „Kleinod in der Mitte der Stadt“ (Lederer) berührt in hohem Maße das Thema der Stadtentwicklung. Wenn man sich eine Achse von der Museumsinsel über das Humboldt Forum zur Alten Münze denkt, könnte die Alte Münze ein Ort sein, der mitten in Berlin die Zukunft der Stadt symbolisiert, diskutiert und greifbar macht. Das Nicolaiviertel ist im Zentrum der Stadt doch ein peripheres Gebiet und könnte von einer Interaktion mit der Alten Münze ebenso profitieren wie die Fischerinsel.

Stadtentwicklung ohne Plan

Der Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte, Stephan von Dassel, war allerdings am partizipativen Verfahren bislang nicht beteiligt. Das Areal der Alten Münze taucht in den Stadtentwicklungsplänen 2030 gar nicht auf, wie auch der UNESCO-Titel einer Creative City of Design generell keine Rolle spielt. In der Stadtentwicklung gehört es längst zum guten Ton, dass alle städtischen Verwaltungsressorts, die von Stadtentwicklungsprojekten betroffen sind, in abteilungsübergreifenden Projekten zusammenarbeiten. So arbeitet beispielsweise die Kulturverwaltung Helsinkis im Fall des Kreativquartiers „Cable Factory“ Hand in Hand mit den Abteilungen Immobilien und Stadtentwicklung. Nur durch einen offenen Dialog der Stadtgesellschaft einerseits und durch ressortübergreifende Kooperation andererseits kann man die gesellschaftliche Komplexität annähernd abbilden und bearbeiten, die ein Stadtentwicklungsprojekt dieser Größe, Bedeutung und Zentralität hat.

In Berlin dagegen wurden die Geschicke dieses Areals, wie gesagt, allein in die Hand der Kulturverwaltung gelegt. Warum wurden die Senatsverwaltungen für Finanzen und Stadtentwicklung nicht in die operative Projektarbeit eingebunden, warum winkte die Senatsverwaltung für Wirtschaft desinteressiert ab? Teilhabe heißt eben auch: Teilnahme der relevanten Verwaltungsressorts und des betroffenen Stadtbezirks Berlin-Mitte.

Ist es für eine offene Debatte der Stadtgesellschaft zur Alten Münze zu spät?

Am 21. Oktober wird der Kultursenator im Kulturausschuss sein finales Nutzungskonzept für die Alte Münze vorstellen, das anschließend als Grundlage für die Bedarfsplanung dient. Durch die Empfehlungen des partizipativen Verfahrens politisch gestärkt und mit dem Anstrich der Legitimität versehen, muss Klaus Lederer in den anstehenden Entscheidungen zur Ausgestaltung der Alten Münze lediglich noch die Interessen von Musik und freier Szene unter einen Hut bringen, statt weit vielfältigere stadtgesellschaftliche Interessen an Kultur und Kreativität auszubalancieren.

Noch wäre Zeit, die Alte Münze im einem stadtgesellschaftlichen Diskurs zu einem Ort zu entwickeln, an dem alle Facetten der Kreativität zum Ausdruck kommen. Doch es steht zu befürchten, dass Berlin lediglich einen weiteren Musikstandort erhält, während die Vision eines kreativen Quartiers, die in vielen anderen Städten bereits realisiert ist, ein Traum bleibt.

Dr. Olaf Kranz ist Soziologe und war am partizipativen Verfahren zur Alten Münze beteiligt. Als Mitbegründer des Labels Brachmann und des Verbandes Berliner Modedesigner warb er dort für die Etablierung von Produktions- und Präsentationsflächen für die Berliner Modeszene. Er ist seit April wissenschaftlicher Leiter eines EU-Projektes zum Thema Creative Cities.

Olaf Kranz

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